Die Seele der Österreicher und ihre verhaltens­auffälligen Neigungen liefern dem Wiener David Schalko unerschöpf­lichen Stoff für seine preis­gekrönten Filme und Fernseh­formate: von „Aufschneider“ mit Josef Hader bis zu Serien wie „Braunschlag“ und „Altes Geld“. An erster Stelle versteht er sich als Autor – im Geist von Karl Kraus, der „Österreich als Versuchs­anstalt des Welt­untergangs“ sah. Schalkos neues Bravour­stück des erhellend schwarzen Humors: „Bad Regina“!

Sigmund Freud bezeichnete Österreich 1919 als „ein Land, über das man sich zu Tode ärgert und wo man trotzdem sterben will“. Wie würden Sie Ihre Sicht heute formulieren?
Ich glaube, da hat sich nicht viel geändert. Die Welt hat Wien zwar mehrmals zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt, aber vielleicht sollte man auch die Kategorie „sterbenswerteste“ Stadt der Welt einführen.

Vor fast genau zwei Jahren hatte auf der Berlinale Ihr bisher wohl größtes künstlerisches Wagnis Weltpremiere: Ihre Hommage an Fritz Langs Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Was machte Ihnen dieses Projekt so bedeutsam?
Für mich war es relevant, weil ich viele Parallelen zur damaligen Zeit empfand. Wenn ich im Film die Bilder der Ausgehsperre sehe, dann muss ich atmosphärisch an den Lockdown denken. Es ist ein Abbild der gesellschaftlichen Depression und der politischen Gemengelage, in der wir leben.

 Wie wählen Sie Ihre Erzählstoffe und Themen aus?
Es ist wie Fischen. Wenn man den richtigen Fisch in der Hand hält, weiß man es einfach.

Welchen Ursprung hat ihr neuer Roman „Bad Regina“?
Der Ursprung war die Geschichte des Ortes Bad Gastein. Ein mondäner Kurort, der dem Verfall überlassen wird.

„Wir schauen uns selbst beim Verschwinden zu.“

Sie sehen die Sache aber nicht nur lokal, sondern kontinental, oder?
Durchaus. Ich glaube, der Verfall dieses Kurortes steht auch für den Verfall Europas. Auch wir leben bis zu einem gewissen Grad in der Vergangenheit. Und schauen uns selbst beim Verschwinden zu.

Wie würden Sie die Ausgangslage in Ihrem Roman auf den Punkt bringen?
Ein Immobilientycoon kauft einen Ort auf und lässt ihn absichtlich verfallen.

Dass Bad Regina einst sogar das „Partyherz von Europa“ war, ist maßgeblich Ihrem Protagonisten Othmar zu verdanken. Wie würden Sie ihn vorstellen?
Othmar ist ein verwahrlostes Kind der 80er und 90er Jahre. Ein Mensch des 20. Jahrhunderts, der sich im digitalen 21. Jahrhundert nicht mehr zurechtfindet.

Sie haben Bad Regina mit einigermaßen skurrilen Gestalten bevölkert. Welches Spektrum repräsentieren Ihre Romanfiguren für Sie?
Die Figuren spiegeln das 20. Jahrhundert in Europa. Jede Figur steht auch für einen Teil unserer Gesellschaft.

Wie sehen Sie Othmar und die anderen Verbliebenen?
Es ist auf jeden Fall keine Heldengeschichte. Es ist eine Geschichte von menschlichen Ruinen. So würde ich das sagen.

Die Demografie von Bad Regina scheint nicht etwa der vermeintlich ewige Kreislauf zwischen Geburt und Tod zu bestimmen, sondern ein gewisser Chen. Was hat es auf sich mit diesem Phantom, das plötzlich im weißen Auto in der Schneelandschaft auftaucht?
Es geht um die Übernahme Europas. Die Kolonialisierung findet heute umgekehrt statt.

„Ein tiefer Einschnitt in die Kulturgeschichte“

Die Weltlage bringt es mit sich, dass die Einwohnerzahl von Bad Regina vorübergehend zunimmt. Wie kamen Sie auf dieses Intermezzo und was steht dem Gelingen solcher Veränderungen im Mikrokosmos Bad Regina und oft auch im Rest der Welt im Weg?
Das Ende, auf das Sie anspielen, würde ich nicht als Intermezzo bezeichnen, sondern als tiefen Einschnitt in die Kulturgeschichte Europas. Ich empfinde es als Wiederbelebung. Andere würden es vermutlich als bedrohlich empfinden.

„Geschlossene Gesellschaft“ signalisiert in Bad Regina nicht nur das Schild an der letzten gastronomischen Bastion, sondern eigentlich der ganze Ort. Inwiefern geht es Ihnen da um ein ähnliches Experiment wie Sartre in seinem Drama „Geschlossene Gesellschaft“?
Natürlich ist der Roman auch eine Versuchsanordnung, was mit einem Ort oder Kontinent passiert, wenn er ausstirbt.

Die letzte Bar von Bad Regina haben Sie „Luziwuzi“ genannt – der Spitzname des jüngsten Bruders von Kaiser Franz Joseph: Erzherzog Ludwig Viktor. Was prädestiniert ihn als Galionsfigur oder Schutzpatron?
Ich habe mich für diese Figur schon länger interessiert. Und in den alten Kurort, der auch an seiner Dekadenz zugrunde geht, passt er sinnbildlich gut hinein.

Moschinger, eine Ihrer Romanfiguren, ist ein Bewunderer von Thomas Bernhard. Welche Bedeutung hat der Schriftsteller für die Österreicher und den Rest der Welt?
Thomas Bernhard ist für Österreich ein wichtiger Teil des 20. Jahrhunderts – ein Aufbrecher der alten Nazistrukturen. Er hatte eine ähnliche Funktion wie Waldheim.

„Alles wird über Bande gespielt.“

Auf Seite 462 wettert Moschinger unter anderem, dass in Österreich die Aufklärung nie stattgefunden hat. Spricht er Ihnen aus dem Herzen?
Österreich ist Weltmeister im Verdunkeln und Verdrängen. In Österreich gibt es nicht das Bedürfnis nach Wahrheit. Alles wird über die Bande gespielt. Das Ausweichmanöver ist quasi Teil des österreichischen Humors.

In Bad Regina hat jeder so seine Strategie, Widrigkeiten zu trotzen. Welche bewährt sich bei Ihnen selbst? Satire?
Humor ist immer die angenehmste Form der Bewältigung.

Als akustisches Pendant …

serviert uns David Schalko passend zum morbiden Charme Bad Reginas auch noch folgende Spotify-Playlist …