Als Büchermensch ist Brigitte Riebe mit allen literarischen Wassern gewaschen: Ihre Laufbahn begann als Lektorin – bald in Leitungsposition. Kein Zweifel: Eine tolle Zeit und eine bereichernde Zusammenarbeit mit Autoren von Alberto Moravia und Hilde Spiel bis zu Miriam Makeba und Udo Lindenberg. Doch dann, um 1990, besann sich die Historikerin mit „Magna cum laude“-Doktorarbeit auf ihre große Leidenschaft für das Geschichtenerzählen – der Beginn ihrer Karriere als Autorin historischer Romane. Mut zum Neuanfang macht sie auch im Auftaktband ihrer großen Saga!

Wie würde Ihr Selbstporträt als Schriftstellerin in drei Stichpunkten aussehen?
Neugierig. Skeptisch. Glaubt trotzdem an Wunder.

Als Schriftstellerin tauchen Sie in die interessantesten Kapitel der Geschichte ein. Lassen Sie uns doch eine kleine Zeitreise in Ihre Kindheit machen … In welcher typischen Situation würden wir Ihnen begegnen?
Brigitte ist 5 und liebt schöne Geschichten über alles. Sie hat eine ganze Sammlung von Märchenschallplatten, die sie den anderen Kindern erzählt. Dabei vergessen alle, heim zum Mittagessen zu gehen – auch die Großen, die schon längst die Schule besuchen. Am meisten liebt sie Märchen und Geschichten, in denen sich jemand verwandelt „Die sieben Schwäne“ zum Beispiel. Ich glaube, sie ist schon als Geschichtenerzählerin zur Welt gekommen.

Trotz erzählerischem Naturtalent haben Sie eben nicht gleich eigene Bücher veröffentlicht, sondern wurden erst einmal Lektorin. „Buchdoktor“ hat das der amerikanische Autor J. D. Barker mal charmant genannt. Wie war Ihr Selbstverständnis als Lektorin?
Ich weiß nicht, ob ich immer jedes Komma gefunden habe, aber in zwei Dingen war ich ganz stark: Menschen und Ideen zusammen zu bringen. Und mich wie eine Löwin für meine Autoren zu engagieren. „Buchdoktor“ finde ich sehr schön!

Was muss man mitbringen, um als Lektor richtig gut zu sein?
Eine gute Nase. Fingerspitzengefühl für Themen und Menschen. Mut!!! Den Dingen immer ein Stück voraus sein … Eher unproduktiv sind Hochmut, Besserwisserei und Enge.

Es gibt schöne Geschichten von langjährigen literarischen Duetten zwischen Autor und Lektor, die fast schon wie Symbiosen wirken. Wie würden Sie das perfekte konstruktive Miteinander zwischen Autor und Lektor beschreiben? Mit wem hatten Sie so ein ideales Zusammenspiel?
Als besonders beglückend habe ich meine langjährige Zusammenarbeit mit Dr. Herbert Neumaier empfunden, der mich erst bei Droemer als Lektor begleitet hat und später in seinem „Unruhestand“ bei vielen weiteren Projekten. Was für ein feiner, kluger, gebildeter Mann! Immer freundlich, nie ungeduldig – das habe ich sehr genossen!

Wie beeinflussen Sie Ihre Erfahrungen als Lektorin, wenn Sie nun an Ihren Romanen sitzen? Beflügeln sie Ihren Schreibfluss, weil Sie ja wissen, wie es geht? Oder sind Sie umso kritischer mit sich selbst?
Die Lektorin kommt in den Schrank, wenn ich schreibe – und es sind jetzt ja fast 30 Jahre, dass ich als Autorin unterwegs bin. Sie stört mich nie!

Als Autorin führen Sie eine Art Doppelleben: als Brigitte Riebe, die für ihre historischen Romane bekannt ist, und als Krimiautorin Felicitas Gruber – ähnlich wie beispielsweise Ruth Rendell alias Barbara Vine. Was macht für Sie den Reiz aus? Und warum zwei Namen?
Weil es eben zwei sehr unterschiedliche Genres sind. Und bei Felicitas Gruber bin ich ja mit Gesine Hirsch unterwegs, einer der früheren Headautorinnen der Erfolgsserie „Dahoam is dahoam“. Den Namen haben wir uns aus den Namen unserer heiß geliebten Großmütter gebastelt – meine hieß Therese Gruber, ihre Felicitas Weber. So entstand Felicitas Gruber – ich glaube, unsere Großmütter hätten viel Freude daran. Aber mit Band 5 „Gschlamperte Verhältnisse“ ist nun leider Schluss mit der „Kalten Sofie“ – neue Aufgaben warten! Vielleicht ja irgendwann sogar eine ganz neue Art Krimi in ganz neuer Besetzung …

Wie verhält es sich eigentlich mit der Herausforderung beim Schreiben? Was macht die Herausforderung beim Krimi und beim historischen Roman aus?
Krimis sind wie ein Sprint: spritzig, schnell, auf das Ende hin erzählt. Historische Romane sind personenintensiver, langsamer, erfordern viel Recherche (gute Krimis allerdings auch!), haben einen viel größeren Bogen. Der Vergleich Marathonlauf passt da ganz gut – vor allem gegen Ende hin … Ich habe einiges, was ich beim Krimi gelernt habe, auch auf den historischen Roman „angewandt“: zum Beispiel schöne Cliffhanger.

„Was bei Riebe drinsteht, stimmt.“

Wie würden Sie Ihre Leitlinie als Autorin historischer Romane auf den Punkt bringen?
Was bei Riebe drinsteht, stimmt.

Welche Charaktere interessieren Sie am meisten?
Ich bin eine große Freundin von Rebellinnen und Rebellen – immer schon. Die, die sich nichts gefallen lassen, die mag ich ganz besonders.

In Ihren Romanfiguren sind die Hauptfiguren meistens weiblich – in der historischen Überlieferung herrschen Männer vor. Worum geht es Ihnen und wie recherchieren Sie die weiblichen Lebens- und Gedankenwelten?
Nach einer Ewigkeit von „his-tory“ ist nun endlich mal Zeit für „her-story“. Das hat sich schon durch mein Studium der Geschichte gezogen, was damals noch sehr unüblich war. Ich gehe da mit der wunderbaren französischen Geschichtsschule „Annales“, die eine Einteilung in Epochen nach Kriegen und Friedensverträgen ablehnt. Die Perspektive von „Annales“: Eine Epoche ändert sich, wenn die Menschen anders begraben werden, anders heiraten – und anders denken. Als Frau fällt es mir leicht, den Frauen von früher ins Hirn zu schauen. Wie ich das mache? Recherche, Recherche – und noch einmal Recherche!

Ihre Romanschauplätze sind rund um den Erdball verstreut und lassen auf ein Faible für die Entdeckung von Neuland schließen. Wo haben Sie am meisten gestaunt?
Mit am spannendsten war eine Reise in den Harz auf den Spuren von Roswitha von Gandersheim, der ersten deutschen Dichterin. Es war Frühfrühling beziehungsweise Spätwinter, eisig, die Pfalzen winzig und schneeverweht – nur unter Tage war es heiß. Ich bin sogar bis tief in den Rammelsberg eingefahren und habe später mit einem jungen Schmied selbst einen Eisenring geschmiedet. Danach konnte ich mir vorstellen, warum ein junges Mädchen im 10. Jahrhundert auf Lateinisch zu dichten beginnt – nachzulesen in „Liebe ist ein Kleid aus Feuer“, einem meiner persönlichen Lieblingsromane.

Welche Umgebung oder welche Atmosphäre schätzen Sie zum Schreiben? Was hat es auf sich mit dem Toskana-Domizil und dem Küchentisch dort, an dem eigentlich von jedem Ihrer Bücher ein Teil entsteht? Was ist das Beflügelnde oder Magische?
Das eine ist mein wunderbares Arbeitszimmer, das mich jeden Tag wieder warm empfängt. Das andere ist der alte Küchentisch in Rappolano, wo ich seit nunmehr 18 Jahren mit meinem Mann jeden Juni hinreise. Karg, einfach, Blick auf die Weinberge, Zikadengesänge – und schon geht es los. Das Magische? Vielleicht ein zutiefstes Gefühl von Angekommensein.

Ihr neuer Roman versetzt uns nach Berlin: der Prolog ins Jahr 1932, dann in die Trümmerstadt von 1945. Warum ausgerechnet Berlin statt beispielsweise Ihre Heimatstadt München?
Welche Stadt nach 1945 könnte es mit Berlin aufnehmen, was den Stoff für Geschichten anbelangt? Vier Sektoren, Luftbrücke, Mauerbau – das gab es nur da. Außerdem ist Berlin meine alte Liebe, immer schon …

Die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wird oft als „Stunde Null“ bezeichnet. Wie zutreffend beziehungsweise korrekt aus genauer historischer Betrachtung finden Sie das?
Es gab keine Stunde Null – für mich ist das ein idiotischer Begriff. Es gab das Ende des Dritten Reichs, zumindest offiziell – das ja. Aber in den Köpfen der Menschen? Es gab Hunger, Not, Angst, den Wunsch zu überleben. Und es gab den Beginn einer Demokratisierung, das auch. Aber alle trugen ihr Päckchen aus der Nazizeit auch mit in diese „neue Zeit“ – und manche davon waren sehr schwer.

„Kaufhaus – das war Moderne, Sinnesrausch …“

Friedrich Thalheim, der Vater Ihrer Heldinnen, wagt 1932 ein Großprojekt und investiert viel Geld in die Renovierung seines Kaufhauses. Was war oder ist das Eindrucksvolle an der Kaufhaus-Kultur damals?
Kaufhaus – das war Moderne, Sinnenrausch, Kapitalismus zum Anfassen. Hell, mondän, nicht so ein kleiner dunkler Kramerladen. Friedrich Thalheim und sein Freund Markus Weisgerber glauben an die Zukunft. Die Nazis taten es nicht. Sie hassten Kaufhäuser – besonders, wenn sie ganz oder halb in jüdischer Hand waren … Es gab kein einzelnes Vorbild für das Thalheim-Kaufhaus, sondern viele, viele, viele.

Das Metier der Thalheims ist Mode. Alma Thalheim, die erste Ehefrau von Chef Friedrich, staffieren Sie stilbewusst mit den schönsten Sachen aus. Wie waren Ihre Moderecherchen? In welchem Look hätten Sie gern mal das Café Kranzler besucht?
Alma ist eine wunderschöne Frau. Aber ist sie auch glücklich? Da gibt es dieses Brennen in ihr – das kann auch der schönste Bolero nicht wettmachen. Nach außen aber ist sie perfekt. Es gibt jede Menge Literatur zum Thema Vorkriegsmode, die ich gewälzt habe, dazu Filme jeder Couleur. Die Mode der Dreißiger war ja sehr elegant und weiblich. Das passt prima zu Alma. Ich ins Kranzler? Am liebsten in einem schicken blauen Kostüm, blaue Pumps, Zigarettenspitze – gerade weil die deutsche Frau nicht rauchen sollte!

Die Schwestern vom Ku’damm sind ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, Bruder Oskar und Freundin Miri Sternheim ebenfalls. Worauf kam es Ihnen beim Spektrum Ihrer Hauptfiguren an?
Will man nicht mit jedem Roman ein möglichst breites Spektrum des Lebens abbilden? Und noch etwas fasziniert mich als Einzelkind: Wie ist es möglich, dass ein Elternpaar vier so unterschiedliche Charaktere hervorbringt?

Wie würden Sie Ihren Stil und Ihre Modephilosophie beschreiben?
Ich mag schöne Dinge im Allgemeinen, unterliege aber keinerlei Modediktat. Ich mag es am liebsten, wenn es salopp ist, gerne mit ein paar edlen Tupfern, aber nichts Überkandideltes.Vom Markenfetischismus halte ich gar nix – ganz im Gegenteil. Das finde ich nur affig. Meine Lieblingsfarben sind Lila, Pink, Schwarz und Türkis – seit ich 16 bin. Und ich liebe Schals! Je mehr davon, desto besser …

Was ist im Frühjahr 1945 das wertvollste Startkapital der Thalheim-Schwestern Rike, Silvie und Florentine sowie der gemeinsamen Freundin Miri?
Unbedingt der Zusammenhalt bei aller Unterschiedlichkeit! Und dass Miri überlebt hat, womit ja keiner rechnen konnte! Meine Lieblingsszene ist die Trümmermodenschau, wo jede von ihnen eben das macht, was sie am besten kann. Danach haben alle wieder Mut. Natürlich hilft auch das über den Krieg gerettete Stofflager, diesen Mut in Kleider umzusetzen.

Was ist der schmerzhafteste Verlust der Schwestern?
Das Bild ihres Vaters. Die Mutter ist tot, aber den starken, beschützenden Vater der Vorkriegszeit gibt es auch nicht mehr. Und natürlich Oskar. Obwohl Silvie ja immer sagt, dass sie spürt, dass er noch lebt …

Worin besteht die größte Herausforderung für die Schwestern? Im Erkennen, dass nichts sicher ist in dieser Zeit des großen Umbruchs, persönlich und für die gesamte Gesellschaft?
Ja, der Umbruch ist da, und vieles muss nun neu erfahren und bewältigt werden. Die alten Rollen passen einfach nicht mehr, sind zu eng geworden und jucken. Die alten Klischees platzen. Rike ist nicht nur vernünftig, Silvie nicht nur lasziv, Flori nicht mehr nur ein Kind … alles ist im Wandel. Die wichtigste Lektion lautet: Erkenne dich selbst. In dir steckt noch so viel mehr.

Die Schwestern haben wenigstens ein Dach über dem Kopf – im Gegensatz zu den vielen Flüchtlingen und Vertriebenen von 1945. Was liegt Ihnen bei dieser Thematik am Herzen? Wie präsent ist da Ihre eigene Familiengeschichte für Sie?
Meine eigene – mütterliche – Familiengeschichte spiegelt mein Roman „Marlenes Geheimnis“ wider. Meine Großmutter, meine Mutter und ihre Schwestern haben Vertreibung und Flucht aus Nordböhmen erlebt. Meine jüngste Tante, damals erst vier, hat ein Leben lang an dieser psychischen Last getragen und ist in diesem Jahr verstorben; die älteren Schwestern – inzwischen 90 und 89 Jahre – leben noch. Seit ich denken kann, war es bei uns daheim Thema, ohne dieses rückwärtsgewandte Landsmannschaftsgebrüll, das gab es nie bei uns. Und die kleine neugierige Brigitte hatte damals ihre Ohren fein gespitzt …Viele Leser hat mein Roman zum Nachdenken gebracht, viele auch zum Weinen; viele – und darauf bin ich besonders stolz – haben erstmals in IHREN Familien zu fragen und zu reden begonnen. Es ist unser Thema, immer noch. Eigentlich müssten wir Deutsche Fachleute beim Thema Flüchtlinge sein.

Wenn man über Flüchtlingsschicksale schreibt, kann man die Gegenwart ja fast nicht ausblenden, oder?
Genau deshalb entstand „Marlenes Geheimnis“ … Ich hatte viele Unterhaltungen mit meiner Mutter, die dieses Jahr 90 wurde und immer noch glasklar im Kopf ist. Sie kann sogar noch meine Fahnen Korrektur lesen und findet jeden Fehler!

Wie erging es Ihnen beim Schreiben? Welche Ihrer Heldinnen aus „Schwestern vom Ku’damm“ spricht Ihnen am meisten aus dem Herzen und warum?
Dieser erste Band ist aus Rikes Sicht geschrieben. Da war sie mir natürlich besonders nah. Ich mag das Spröde an ihr, ihre Ehrlichkeit, und dass sie sich selbst so gar nichts schenkt. Alles andere als ein „Püppi“, ist sie zwar die Große, musste aber auch oft zurückstecken. Deshalb gönnt man ihr ja auch ihren süßen italienischen Mann so sehr. Im zweiten Band übernimmt nun Silvie das Mikro – und das kann sie ja, wie wir inzwischen wissen. Und Sie werden sich alle noch sehr wundern … Ich mag sie alle drei – nein, vier, auch Oskar, den Rabauken, der sich in Band 2 als eine so interessante, vielschichtige Person darstellen wird …

Eine Ihrer außergewöhnlichsten Figuren ist Onkel Carl, der durch moralische Größe beeindruckt …
Carl ist toll, oder? Trotz seiner Fehler. Ja, einen Onkel wie Carl hätten wir uns alle gewünscht, glaube ich! Carl bleibt aufrecht, was immer er macht. Aber auch auf ihn warten in Band 2 viele Herausforderungen, die mit seiner Vergangenheit zusammenhängen.

Am Schluss beginnt ein glamouröses Kapitel der Berliner Kulturgeschichte. Was war am spannendsten beim Blick in die Archive?
Na ja, so glamourös war der deutsche Film am Start der 50er ja noch nicht. Mir ist da auch ganz schön Mief entgegen geweht, ehrlich gesagt. Aber lassen Sie sich überraschen. Die 50er haben ja gerade erst begonnen. Band 2 startet im Jahr 1952.

Wie viel Happy End muss sein?
Ein bisschen schon zum Ausatmen. Die Dinge müssen befriedigend zum Schluss gebracht werden. Ich persönlich liebe ja Romanschlüsse wie „Morgen ist auch noch ein Tag …“ Viele Leserinnen haben mir verraten, dass sie hinten reinschauen. Und ohne Happy End kaufen sie das Buch nicht, oder?

Am Ende Ihres Romans sind Grundsteine für die Zukunft gelegt. Welche Pläne haben Sie mit den Schwestern vom Ku’damm?
Jeder Schwester gehört ein Band, Rike Band 1. Silvie Band 2. Flori Band 3. Aber wer weiß? Vielleicht erzähle ich ja nach 1963 weiter …

Zu den Büchern, die Ihnen am meisten bedeuten, zählen Sie Flauberts „Madame Bovary“. Einer der am meisten zitierten Aussprüche Flauberts ist wohl folgender: „Madame Bovary – c’est moi.“ Also: „Madame Bovary, das bin ich.“ Was lieben Sie an Madame Bovary?
„Madame Bovary“ begleitet mich, seitdem ich 16 bin. Immer wieder gelesen, in immer wieder anderen Stationen meines Lebens. Diese Fülle, diese Tiefe, diese Verzweiflung – ach – unerreicht!

Unter uns – welche der Romanfiguren aus „Die Schwestern vom Ku’damm“ hat denn am meisten von Ihnen, Frau Riebe?
Ich denke, Flori – obwohl ich im Zeichnen eine Niete bin. Aber die wird uns alle noch sehr überraschen …