Ihr Glück als Autorin hat die ehemalige „ARD-Morgenmagazin“-Moderatorin Anne Gesthuysen gleich mit ihrem literarischen Debüt gemacht – über drei schicksalsgeprüfte fast 100-jährige Damen in ihrer alten Heimat bei Xanten. „Wir sind doch Schwestern“ wurde zum Millionenerfolg – und der Heimspiel-Charme mit weitem Blick über den regionalen Tellerrand fast schon ein Markenzeichen. Sprachlich und kulinarisch wiederum unverkennbar Niederrhein, spricht der druckfrische Roman „Mädelsabend“ Frauen aller Kontinente und Generationen an. Die große Frage: Wie viel Ehe verträgt ein erfülltes Leben?

Für Ottilie in Ihrem Roman gehört Asti Spumante aus der Milchflasche zu einem „gepflegten Mädelsabend“. Und für Sie selbst?
Ach, wenn es so richtig krachen darf, dann auch gerne Gin Tonic.

Was macht „Mädelsabend“ zum perfekten Titel für Ihren Roman?
Tatsächlich bin ich, während ich das Buch schrieb, sehr häufig zu „Mädelsabenden“ eingeladen worden, da lag der Titel in der Luft. Es ist auch eine Mischung aus Mädel und Lebensabend, was zu der Romanfigur Ruth passt. Ich mag darüber hinaus das Wort „Mädels“ – vor allem im Plural. In meinen Ohren schwingt dabei ein gutes Selbstbewusstsein mit einem Schuss Ironie mit. Etwa nach dem Motto: Unterschätzt mich ruhig, aber ich weiß, was ich will, und mache das auch. „Frau“ hingegen ist eine ganze Zeit lang als Kampfbegriff benutzt worden. Das ist mir zu explizit.

Die Hauptpersonen sind Großmutter Ruth und Enkelin Sara – ein Herz und eine Seele. Was macht die tiefe Verbundenheit zwischen der 88-Jährigen und der Mittdreißigerin aus?
Ruth war für Sara in vielen Lebenssituationen Mutterersatz, gleichzeitig gibt sie Sara die bedingungslose Liebe einer Großmutter, die nicht für die Erziehung zuständig ist. Und Sara sieht in ihrer Großmutter eine lebenskluge Frau, die enormes Interesse an Sara und ihrem Umfeld hat und durch ihre Wärme und Herzlichkeit die jungen Leute in ihren Bann zieht.

Gemeinsam haben Ruth und Sara, dass sie in Beziehungskrisen geraten – genauer gesagt: dass der Alltag mit den Männern an ihrer Seite zum Kräftemessen wird. Warum hängt der Haussegen schief?
Im Grunde, weil beide eine Emanzipation, die gesetzlich und als Lippenbekenntnis längst vollzogen ist, für sich in Anspruch nehmen. Nach 65 Ehejahren hat Ruth die Nase gestrichen voll vom Patriarchat, was Walter zunächst verblüfft und dann verärgert. Sara meldet als Mutter eines kleinen Kindes Karrierebestrebungen an, die über den Halbtagsjob als Ärztin hinaus gehen. Ihrem Mann, eigentlich ein moderner, guter Typ, geht es plötzlich wie dem 90-jährigen Walter. Er versteht die Welt nicht mehr.

Wie ist der Balanceakt zwischen Beziehungsglück und eigenen Bedürfnissen zu schaffen?
Man muss jeden Tag neu justieren. Beides gleichzeitig zu je 100 Prozent halte ich nach sechs Ehejahren für völlig utopisch.

„Mädels, lasst euch nicht ver­ein­nahmen!“

Während Ruth und Sara über Weichenstellungen grübeln, erproben die Frauen in ihrem Umkreis die unterschiedlichsten Lebensphilosophien. Wozu wollen Sie ermutigen?
Mädels, lasst euch nicht vereinnahmen, nicht mal von der guten Sache, um mal ein berühmtes Zitat abzuwandeln. Am Ende musst du vor dir selbst Rechenschaft ablegen.

Als ganz junge Ärztin war Sara beseelt vom Helfen – auch bei „Ärzte ohne Grenzen“ in Afrika, genauer gesagt in Burundi, wo es an allem fehlt, auch an medizinischer Grundausstattung. Woher haben Sie Ihre genauen Kenntnisse und was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Eine junge Frau in meiner Familie war als Ärztin ohne Grenzen unterwegs und hat mir Erlebnisse geschildert, die ich so ähnlich meiner Romanfigur Sara angedichtet habe. Ich bewundere die Ärzte dieser Organisation sehr – und wünschte ich hätte deren Fähigkeiten und Mut.

In der Beziehung von Sara und Ihrem Lebensgefährten Lars machen sich die ersten Spannungen bemerkbar, als die beiden Beruf, Beziehung und Baby gleichermaßen gerecht werden müssen. Wie glückt der Balanceakt?
Kind und Beruf ist heutzutage kein Thema mehr. Das gesteht man Müttern selbstverständlich zu, erwartet es gesellschaftlich sogar. Aber wehe, eine Mutter wird von dem Ehrgeiz gepackt, an die Spitze zu kommen. Da gibt es eine Menge Diskussionsbedarf. Das liegt allerdings nicht nur an den Männern. Es muss sich noch viel in den Köpfen der Frauen ändern.

Welche Fragen hatten Sie im Hinterkopf, als Sie über all die Zerreißproben schrieben?
Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Emanzipation nicht nur auf der Stelle tritt, sondern sogar den Rückwärtsgang eingelegt hat.
Während ältere Frauen sich irgendwann vom Patriarchat befreien, begeben sich auch gerade junge Akademikerinnen wieder in die traditionelle Rolle. Ich möchte das zunächst einmal nur beschreiben, die Bewertung überlasse ich jedem Leser selbst.

Seit Ihrem Debüt sind Ihre Romane inspiriert durch Ihre Umgebung beziehungsweise durch vertraute Menschen. Welche persönlichen Bezüge hat „Mädelsabend“?
In meinem Umfeld sind tatsächlich einige Mütter, die sich in pointierter Form bei den Mädels rund um Sara wiederfinden. Die Figur Josefine Gielen findet ihr Vorbild in meiner Großmutter väterlicherseits, die ich sehr gemocht habe. Und auch einige Szenen aus dem Seniorenheim habe ich in unmittelbarer Umgebung so ähnlich erlebt und meinen Romanfiguren zugeordnet. Mich interessieren nun mal vor allem „echte“ Geschichten.

Die meisten Schauplätze Ihres Romans liegen in der Gegend, in der Sie aufgewachsen sind: am Niederrhein. Wie hat die Gegend Sie geprägt?
Denis Scheck hat ja über „Wir sind doch Schwestern“ gesagt: „Nie wurde der Niederrhein so berührend beschrieben.“ Darüber habe ich mich wahnsinnig gefreut. Allein, es ist mir nicht bewusst. Der Niederrhein steckt so sehr in mir, dass ich den Menschenschlag gar nicht besonders finde. Für mich sind die alle nicht verkehrt.

Oma Ruth charakterisieren Sie als „eingefleischte Niederrheinerin“ mit entsprechendem Wortschatz. Was lieben Sie an diesem Dialekt? Was sind für Sie die schönsten Begriffe aus Ihrer niederrheinischen Muttersprache?
Die „Welt im Döschen“ gefällt mir sehr als Redewendung, auch „Döneken“ und „Elführken“ als Wortschöpfung. Natürlich „Vergackeiern“, weil ich als Kind „Verkackeiern“ daraus gemacht habe. Im Grunde findet man alle Worte, die ich mag, auch in Mädelsabend wieder.

Niederrheinisch ist auch die Kochtradition – von Altbiersuppe bis zum Jägerkohl à la Ruth van Rennings. Welche Gerichte tischen Sie auch Ihrer Familie auf?
Oh je, das ist ein Thema, bei dem ich mit meinem Mann immer aneinander gerate. Also kein Kommentar

Das Zentrum Ihres Romans ist Winnenthal, eine alte Wasserburg. Was macht dieses historische Bauwerk zum idealen Romanschauplatz?
Burg Winnenthal ist ein wunderschönes altes Gemäuer, in dem man sich alles vorstellen könnte, von Thriller bis zum Liebesroman. Ich war in meiner Jugend häufig auf der Burg. Sie hat meine Fantasie immer schon angeregt.

Warum empfindet es Ruth als Glück im Unglück, dass sie und ihr Ehemann Walter in Winnenthal gelandet sind?
Im eigenen Haus hatte Walter das Sagen. Nun im Seniorenheim haben sich die Machtverhältnisse umgekehrt. Es gibt deutlich mehr Frauen, und die nehmen Ruth gegen ihren Mann in Schutz. Außerdem hat sie tägliche Ansprache durch Pflegepersonal, und da sie ein kontaktfreudiger Mensch ist, fühlt sie sich wohl wie ein Fisch im Wasser.

Zu den Highlights im Alltag von Winnenthal gehört der Singkreis. Das Beglückende daran?
Ein Freundeskreis, mit dem Ruth ihre größte Leidenschaften teilen kann: singen, proten, das Essen bekakeln.

Und singen Sie selbst auch?
Wenn mich keiner hören kann.

Ziemlich am Schluss Ihres Romans kommt es zu einem furchtbaren Krach zwischen Sara und Lars. Ein reinigendes Gewitter? Der Anfang vom Ende? Wieviel Auseinandersetzung muss sein?
Ich stamme aus einer konfliktfreudigen Familie, ich lebe mit einer konfliktfreudigen Familie, ich finde, Konflikte gehören ausgetragen. Doch auch wenn ein Wort das andere gibt, dürfen die Grenzen des Respekts und der Achtung nie überschritten werden. Der Streit von Sara und Lars geht über diese Grenzen hinaus und wird ein Fall für die Polizei!

Würden Sie den Schluss Ihres Romans als Happy End bezeichnen? Oder eher als Hauch von Tragikomödie? Oder vielleicht beides?
Bislang habe ich im Tod immer etwas Tragikomisches gefunden. Es macht dieses jähe Ende erträglicher.

Der Fernsehmoderator und Autor Hajo Schumacher hat ein Buch mit dem schönen Titel „Restlaufzeit“ geschrieben und sich Gedanken gemacht, wie Alter gelingt. Welche Ihrer Romanfiguren entspricht Ihrem Ideal am ehesten?
Man ändert sich vermutlich im Alter nicht mehr, bleibt, wie man schon in jungen Jahren war. Insofern ist Ottilie zwar ein Ideal, aber unerreichbar. So nonchalant, so positiv und optimistisch wie Ottilie bin ich nicht. Mir imponiert Herr Angenendt, der sein erstes Leben bis zum Tod seiner Frau, also bis zu einem Ende geht. Dann aber scheut er sich nicht, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und sich mit Inbrunst in ein neues Abenteuer zu stürzen. Das gilt für jedes Alter, denke ich. Erkenne deine Chancen und lebe sie.