AN EXZENTRIKERN herrscht bekanntlich kein Mangel in England. Doch kaum jemand dürfte den Clan der Mitfords an Glamour und Skandalpotenzial übertreffen. Die sechs skurrilsten Schwestern der englischen Aristokratie mischten zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht nur die englische Gesellschaft auf. Perfekter Erzählstoff also für die neue Familiensaga von Jessica Fellowes, die als Autorin der Nummer-1-Bestseller zu „Downton Abbey“ beste Voraussetzungen mitbringt. 

Dem Auftaktband Ihrer neuen Romanreihe stellen Sie ein Zitat von Arthur Rimbaud voran: „Ich ist ein anderer“. Reine Bewunderung für Rimbaud? Oder klingt darin für Sie die Quintessenz Ihrer neuen Romanreihe an?
Mich fasziniert die Vorstellung, dass Menschen selten das sind, was sie zu sein scheinen oder was andere vielleicht in ihnen sehen. Das Zitat war ein bewusster Wegweiser für das erste Buch, aber – da haben Sie Recht – ich glaube, auch für die ganze Romanreihe.

Die gesellschaftliche Kulisse Ihrer neuen Romanreihe liefern Ihnen die berühmt-berüchtigten Mitfords. David Bertram Ogilvy Freeman-Mitford, der 2. Baron von Redesdale, soll gesagt haben: Ich bin normal, meine Frau ist normal, aber unsere sechs Töchter sind verrückt. Fühlen Sie sich da versucht, ihm zu widersprechen?
Nein, ich glaube, er hatte recht. Gerade deshalb finde ich die Schwestern so unwiderstehlich. Ich versuche zu verstehen, was die Töchter so verschieden von ihren Eltern und untereinander machte.

Grundverschieden waren die Mitford-Schwestern auch in ihren politischen Orientierungen und Desorientierungen …
Genau das macht sie interessant! Insbesondere weil wir heute offenbar unfähig sind, uns auf vernünftige Weise mit jemandem auszutauschen, der eine andere Meinung hat. Da ist es dann faszinierend zu sehen, wie die Mitfords einander weiterhin lange Briefe schrieben – trotz ihrer grundlegenden Meinungsverschiedenheiten.

„Ich finde die Schwestern un­wider­steh­lich …“

Wie nähert man sich einer Fanatikerin wie Unity Mitford halbwegs unvoreingenommen? Sie soll ja sogar Adolf Hitler unheimlich gewesen sein …
Hmmm … (überlegt länger) Aus der Schwierigkeit muss ich erst noch herausfinden. Es ist eine ziemliche Herausforderung. Ich gebe mir die allergrößte Mühe zu verstehen, wie Menschen solche Ansichten haben konnten. Leider gibt es in der Gegenwart zahlreiche Beispiele, die uns da Anschauung bieten.

Wenn Sie die Mitfords aus der Sicht von heute betrachten: Was macht die Familie interessant für unsere Zeit?
Die sechs Schwestern und ihr Bruder wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg volljährig. Alle sieben Geschwister beleuchten jeweils etwas Wichtiges in dieser Zeit: sei es Glamour und Aristokratie, Politik oder Wirtschaft. Zwischen damals und heute gibt es deutliche Parallelen – die rasende Geschwindigkeit der technischen Veränderungen, neues Standing der Frauen, rundum gesellschaftlicher Wandel – so vieles macht die Mitford-Ära für uns interessant.

„Alle beleuchten etwas Wichtiges!“

Wie sieht Ihre Planung für die Reihe aus?
Jede der Schwestern bekommt einen Band, der Bruder ebenfalls.

Von den Mitfords und über sie wurde viel geschrieben. Sie wetteifern gar nicht erst mit all diesen Büchern, sondern Sie haben sich etwas Besonderes einfallen lassen, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Was genau?
All die anderen Bücher behandeln die Fakten über die Mitfords. Aber ich wage zu behaupten, dass zum Teil die Fakten selbst strittig sind: Es gibt keine absolut gültige Version der Geschichte. Alle Ereignisse werden aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und die Sichtweise, die man hat, ist lediglich die, die man sich zufällig aus Büchern angeeignet hat oder die einem beigebracht wurde. Für meine Bücher möchte ich in die Lücken zwischen den Fakten schauen. Was brachte jede Schwester von einem bekannten Punkt zum nächsten? Mitunter ist das schwer zu sehen …

Wie würden Sie die Romanrolle Ihrer erfundenen Figur Louisa beschreiben?
Ich wollte eine Figur, die man mögen kann. Eine, die durchgängig in allen Büchern der Reihe auftritt. Als Gesellschafterin wird sie zum Bindeglied. Sie weiß sich sowohl unten in der Küche bei der Dienerschaft als auch oben bei der Herrschaft zu bewegen, was eine große Hilfe ist. Sie ist keine Aristokratin, denn ich wollte sicherstellen, dass wir auch die andere Seite des Lebens zur damaligen Zeit sehen.

„Zum Teil sind die Fakten selbst strittig …“

Bevor Louisa zu den Mitfords kommt, ist sie in größter Bedrängnis. Wollten Sie auch aufrütteln, was die Lebensumstände anbelangt? Wie wichtig sind Ihnen die sozialhistorischen Hintergründe?
Enorm wichtig. Wir müssen uns erinnern, dass den goldenen Zwanzigern große Schwierigkeiten vorausgingen, um die man sich nie richtig gekümmert hatte. Das führte zu den Schrecken der späten 30er Jahre. Aber Louisas Schwierigkeiten waren notwendig, damit sich die Leser mit ihr als der Heldin des Buchs identifizieren können.

Der Auftaktband ist Nancy Mitford gewidmet, die später Schriftstellerin wird. Zu Beginn des Romans ist sie noch keine 20. Was waren Ihre wichtigsten Quellen, um sie möglichst lebensecht zu porträtieren und sprechen zu lassen?
Ich habe ein paar Biografien gelesen, aber letztlich waren es ihre Romane, die mir am meisten über sie verrieten.

In Ihrem Roman kommt auch Florence Shore vor, das Patenkind von Florence Nightingale, der berühmten Krankenschwester und Krankenpflege-Reformerin. Warum liegt es Ihnen am Herzen, an sie zu erinnern?
Es bedeutete mir wirklich sehr viel. In meinem Roman sagt einmal jemand über die Krankenschwestern: „Man sieht sie nicht bei den Paraden.“ Man feierte sie auch nicht auf die gleiche Weise wie die Soldaten, obwohl sie doch ebenfalls in äußerster Gefahr waren und enormen Mut bewiesen. Ich wollte Florence und ihren Mitschwestern meine Hochachtung erweisen..

Viel Vergnügen muss die Recherche der mondänen Mode gemacht haben …
Ja, die Mode-Recherchen waren einfach fantastisch. Ich hatte allerdings auch großes Glück, weil ich fünf Jahre mit den Leuten von „Downton Abbey“ und den brillanten Kostümbildnern zubringen konnte. Bessere Bedingungen kann man sich nicht wünschen.

Ich habe immer die Gesellschaft kluger Menschen gesucht, sagte Diana Mosley, geborene Mitford, in reiferen Jahren in einem Fernsehinterview. Welche Gesprächspartner schätzen Sie besonders?
Am meisten Spaß habe ich, wenn ich mich mit meinen achtjährigen Sohn unterhalte. Er will immer mehr von der Welt wissen. Es ist eine reine Freude, sich mit ihm zu unterhalten. Auch mit meinem Onkel Julian Fellowes kann ich mich stundenlang austauschen. Es ist ein großes Privileg, aus seinem umfassenden Wissen zu schöpfen. Er weiß so ziemlich alles, von Geschichte bis aktueller Politik.

Wenn Sie die Zeit zurückdrehen und ein Jahr mit den Mitfords leben könnten: Wann und in welcher Rolle würden Sie das am liebsten tun?
Definitiv mit Nancy. Sie konnte ziemlich giftig sein, aber auch sehr komisch. Ich würde gerne mit ihr ein Apartment im Paris der 20er Jahre teilen.