BEIM BUMMELN ÜBER den Markt schon wieder viel zu viel eingekauft und dann im Kühlschrank vergessen? Taufrisch sieht das Gemüse nun nicht mehr aus? Ab in den Müll damit? Das kommt nicht in die Biotüte bei Melissa Raupach (MR) und Felix Lill (FL). Die Rettung: „Regrowing“, also neues Wachstum wecken. Aufwand und Ausstattung? Minimal! Kleine Naturwunder auf der Fensterbank erleben – kinderleicht! Die Autoren und Mitbegründer des digitalen Gartenmagazins Plantura verraten, wie alles klappt mit Lauchzwiebeln, Romana-Salat & Co.

Wie wurde Ihre Freude an grünen Themen geweckt?
MR: Bei mir war es wohl vor allem meine Oma. Wir haben gemeinsam Obst und Gemüse selbst angebaut und waren im Herbst auf Pilzsuche – solche Kindheitserinnerungen haben mich geprägt.
FL: Bei mir war das ganz ähnlich – auch meine Liebe zum Garten haben vor allem meine Großeltern geweckt. Seit ich denken kann, haben mich Pflanzen einfach fasziniert. Während der Oberstufe am Gymnasium kam mir die Idee, einen Versandhandel mit seltenen Obstgehölzen aufzubauen. Zum Sortiment haben zum Bespiel Exoten wie der Erdbeerbaum oder die nordamerikanische Indianerbanane gehört, aber eben auch altbewährte Apfel- und Birnensorten, die es im konventionellen Anbau kaum noch gibt. Eigentlich eine Schande, weil uns dadurch so viel an Vielfalt und Qualität verloren geht.

Bitte eine kompakte, ganz einfache Erklärung: Was versteht man unter Regrowing?
MR: Regrowing bezeichnet das Nachwachsenlassen von Gemüseresten, die ein neues Leben geschenkt bekommen und somit wiederverwendet werden können. Wenn man also den Strunk eines Romana-Salats nicht in den Müll wirft, sondern ihn erst in Wasser, dann in Erde setzt, ist man schon ein Regrower, der nach ein paar Wochen die frisch nachwachsenden Blätter ernten kann.

„Regrowing ist super einfach …“

Wann und wie haben Sie Regrowing für sich entdeckt?
MR: Ich bin auf den Trend des Regrowings bereits vor einigen Jahren aufmerksam geworden als ich auf ein paar grünen Blogs im US-amerikanischen Raum nach neuen Inspirationen gesucht habe.
FL: War bei mir ähnlich; als ich in den Vorbereitungen für unser digitales Gartenmagazin Plantura relevante Trenddaten ausgewertet habe, bin ich auch auf ein Video zum Regrowing auf Facebook aufmerksam geworden.

Sogar Sie selbst waren im ersten Moment ein bisschen skeptisch, oder? Was hat Sie dann schnell überzeugt?
MR: Ja, total skeptisch. Wenn man irgendwelche Inhalte im Netz findet, sollte man ja auch durchaus kritisch sein. Überzeugt war ich dann natürlich, weil meine ersten Versuche gleich ziemlich gut geklappt haben.

Wie lief Ihr erster Versuch?
MR: Ich habe es zuerst mit Lauchzwiebeln und Romana-Salat ausprobiert und war echt erstaunt, wie gut das gleich auf Anhieb geklappt hat. Ich erinnere mich noch, dass das ein ziemliches Erfolgserlebnis für mich war, weil es so unglaublich praktikabel ist.
FL: Mein erstes Versuchsobjekt war ein Avocadokern, oder besser gesagt gleich drei. Einer ist leider nichts geworden, die anderen beiden haben sich aber nach einiger Zeit prächtig entwickelt und stehen heute noch bei meinen Eltern.

Ein bisschen Biologie bitte: Wie funktioniert Regrowing eigentlich?
FL: Was man beim Regrowing eigentlich macht, bezeichnet der Pflanzenwissenschaftler als vegetative Vermehrung. Sprich: Man hat keine Mutter- und Vaterpflanze, bei denen das Genmaterial durch die Bestäubung durchgemischt wird und eine neue Pflanze entsteht. Statt dessen„klont“ man sozusagen die Mutterpflanze. Das heißt, dass die nachwachsende Pflanze die exakt gleichen Eigenschaften wie ihre Mutterpflanze hat. Aber keine Panik, dieser Vorgang ist ganz natürlich und wird zum Beispiel seit Jahrhunderten bei der Stecklingsvermehrung angewendet.

 

„… und ein Schritt zur Nach­haltig­keit!“

Was begeistert Sie an dieser Art der Selbstversorgung?
MR: Ich finde, das Schöne am Regrowing ist die super einfache Zugänglichkeit. Man braucht nicht viele Materialien, keinen Garten, ja nicht mal einen Balkon, und es ist ja auch noch kostenlos, da man verwendet, was für gewöhnlich in den Müll wandern würde.
FL: Auch wenn man natürlich kaum seinen Gesamtbedarf mit den nachwachsenden Gemüsen decken kann, ist das Regrowing für mich ein Schritt zur Einfachheit und Nachhaltigkeit. Man schenkt Gemüseresten neues Leben, schaut den Pflanzen beim Wachsen zu und versteht dann vielleicht auch noch besser, was für ein Wert eigentlich hinter Lebensmitteln steckt.

Stichwort gesunde Ernährung: Wie sieht es denn mit den Vitaminen und Nährstoffen bei wiederverwerteten Gemüsen aus?
FL: Generell steht das Gemüse aus dem Regrowing der Supermarkt-Ware in keinem Punkt nach. Während Supermarkt-Gemüse häufig aus hochmodernen Gewächshäusern stammt und teilweise sogar auf erdlosem Substrat – z.B. Hydrokultur – wächst, gedeiht das Regrow-Gemüse vom heimischen Fensterbrett langsamer und mit mehr Liebe. Das Resultat ist auch ein guter Nährwert mit Vitaminen und Mineralstoffen.

Welche Mindestausstattung tut es?
MR: Als Mindestausstattung braucht man wirklich nur ein Glas, das man mit Wasser befüllen kann, einen Blumentopf mit Erde und natürlich einen Gemüserest.

Und welche Investitionen lohnen? Was kann man sich hingegen getrost sparen?
FL: Eine Heizmatte kann absolut Sinn machen, vor allem, wenn im Winter geregrowt wird, unterstützt die Wärme von unten die Pflänzchen sehr. Ein Mini-Gewächshaus, das den Pflanzen eine gute Umgebung durch eine höhere Luftfeuchtigkeit schafft, ist eher optional. Im Buch erklären wir, wie man eine Art Gewächshaus auch ganz einfach selbst bauen kann.

Einfach loslegen? Oder doch lieber erst mal einlesen?
MR: Ich würde definitiv empfehlen, sich erstmal einzulesen. Jede Pflanze hat andere Ansprüche, was beispielsweise Licht, Wärme und Feuchtigkeit angeht, deshalb ist es für den Erfolg des Regrowings wichtig, die Vorlieben seines Zöglings zu kennen. In unserem Buch haben wir für jedes Gemüse und Obst eine Checkbox eingefügt, damit man auf den ersten Blick alle wichtigen Informationen sieht.

Welches wiederbelebte Gemüse verspricht das schnellste Anfängerglück?
FL: Ganz klar Lauchzwiebeln. Auch Romana-Salat und Lauch wachsen meist sehr gut.

„Romana-Salat gelingt meist sehr gut.“

Und was würden Sie eher der Regrowing-Meisterklasse zuordnen?
MR: Ananas zählt sicherlich zu den schwierigen Kandidaten. Ich habe schon ein paar schöne Ananaspflanzen nachwachsen lassen, aber eine kleine Mini-Ananasfrucht ist leider noch nie gewachsen. Dafür ist es hierzulande einfach zu kühl und nicht sonnig genug. Aber auch andere Pflanzen wie der Galgant sind eher etwas für sehr geduldige und schon erfahrenere Regrower.

Welches Regrowing-Erlebnis hat Sie selbst am meisten beglückt?
FL: Das ist keine leichte Frage, eigentlich freut man sich ja immer, wenn aus den Strünken neues Leben wächst.
MR: Ich bin ziemlich stolz auf einige meiner Avocadobäume, die sind echt super gewachsen und in der Wohnung einfach auch ein optischer Hingucker.

Was macht Regrowing so ideal für Kinder?
MR: Kinder können beim Regrowing schon von Anfang an selbst mit Hand anlegen. Vorsichtig den Kern aus einer Avocado zu nehmen, kriegen auch schon die Kleinsten ganz super hin. Auf dem Fensterbrett kann man beobachten, wie das Pflänzchen stetig wächst. Und am Ende steht natürlich das Erfolgserlebnis, dass geerntet wird und das Essen auf dem Teller landet.

Ihre Empfehlungen für die schönsten Regrowing-Familienerlebnisse?
MR: Nicht nur Kinder lernen beim Regrowing viele neue Dinge dazu – das gilt ja auch für die Erwachsenen. Das gemeinsame Lernen und Ausprobieren finde ich das Tolle – einfach verschiedene Gemüse, Kräuter und Obst durchzuprobieren: Was klappt gut, warum hat etwas vielleicht nicht geklappt? Das ist ja manchmal auch fast schon Detektivarbeit, zu verstehen, warum ein Pflänzchen sich vielleicht nicht so prächtig entwickelt hat.

Ganz wichtig sind Ihnen Müllvermeidung und Nachhaltigkeit: Welche haushaltsüblichen Gegenstände eignen sich zum Regrowing?
FL: Alles, was sich als spätere Pflanzgefäße anbietet, sollte auf jeden Fall aufgehoben werden, zum Beispiel alte Konservendosen oder leere Marmeladen- und Gurkengläser. Der Kreativität sind dabei aber wirklich keine Grenzen gesetzt.

„Eier­schalen las­sen sich prima ver­wenden!“

Was empfehlen Sie als Alternative zum Kunststoff-Aussaattöpfchen?
MR: Man kann seiner Kreativität freien Lauf lassen, zum Beispiel Eierschalen verwenden, aber auch halbierte und ausgehöhlte Avocados, Granatäpfel, Zitronen oder Kokosnussschalen bieten sich prima an.

Als Extra bieten Sie im Buch auch zu den einzelnen wiederbelebten Gemüsen kulinarische Tipps. Ihre einfachsten Rezept-Favoriten?
MR: Wir sind beide der Überzeugung, dass eine gesunde und ökologisch nachhaltige Ernährung wichtig ist. Ich lebe daher seit vier Jahren vegan, weshalb auch alle Rezept-Ideen in unserem Buch für vegan lebende Menschen geeignet sind. Ich finde es aber auch toll, wenn Menschen, die noch nicht so viel mit dem veganen Lebensstil zu tun hatten, durch leckere Rezepttipps auf den Geschmack kommen, mehr Gemüse und Obst in ihre Ernährung zu integrieren.

Noch ein letzter Exkurs besonders für Großstadtmenschen: Angenommen man hat sehr großzügig in einem Blumentopf ausgesät – und nun gedeiht alles prächtig. Was tun, damit alle Pflänzchen wieder genug Platz haben?
FL: Da das Nährstoffangebot für so viele Pflanzen in einem Topf nicht ausreicht, sollte man natürlich einzelne Pflanzen in neue Töpfe mit frischem Substrat setzen. Was die Platzproblematik angeht, gibt es viele kreative Ideen, um allen Töpfen Platz in der eigenen Wohnung zu geben. Toll sehen zum Beispiel auch hängende Töpfe aus oder Regale, die von oben bis unten mit verschiedenen Pflanzen bestückt sind. Grün in den eigenen vier Wänden bereichert ja auch nicht nur das Ambiente, sondern auch die Luftqualität.

 

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