BBH? Dieses Kürzel steht für das Motto „Bücher besser hören“ und für die Institution, die es seit 60 Jahren umsetzt. Zum Jubiläum hat sich die Bayerische Blindenhörbücherei nun einen neuen Namen gegeben: Bayerische Hörbücherei für Blinde, Seh- und Lesebeeinträchtigte (kurz: BH). Ob Klassiker der Weltliteratur, Krimis oder Kulinarik, Sachbücher oder Satire: Die Auswahl kostenlos entleihbarer Hörbücher umfasst alles, was das Büchermenschen-Herz begehrt – aus eigener BH-Produktion in fünf hochmodernen Studios und eingespielt von 25 professionellen Sprechern. Zwei von ihnen bieten uns Einblicke aus erster Hand: Wolfgang Hartmann (WH) und Martin Pfisterer (MP)

So lange, wie Sie beide schon für die Bayerische Hörbücherei im Einsatz sind, kann man davon ausgehen, dass Sie sich am richtigen Platz fühlen und Ihre Arbeit mögen …
MP: Stimmt! Ich bin seit 1994 dabei, drei Mal pro Woche für Aufnahmen von Hörbüchern. Ich spreche vor allem Gegenwartsliteratur, also Romane. Die meisten begeistern mich, vor allem, weil ich selbstverantwortlich und oft sehr intuitiv die Charaktere sprechen kann – und so erlebbar und spürbar für die Hörer.
WH: Mein Lieblingsobjekt, das Buch, so in klingende Sprache zu transportieren, dass es nachhaltig Gehör findet – das empfinde ich schon als freudestiftend. Wörter zum Klingen zu bringen ist eine sehr schöne Berufung.

Ihr persönliches Lieblingsprojekt bei der Bayerischen Hörbücherei?
WH.: Der Essayband „Nachtmeerfahrten“ der Kulturwissenschaftlerin Simone Stölzel. Sie nimmt den Leser mit auf eine wunderbare literarische Reise zu den dunklen Seiten der Romantik. Die Essays werden begleitet von Beispieltexten aus der Weltliteratur. Für das Hörbuch wurden sie von allen Sprechern der BH eingelesen – ein spannendes, lehrreiches Potpourri, das größtes Vergnügen bereitet.
MP: Mein Lieblingsprojekt? Sicher alle Bernhard-Romane, die ich bisher sprechen durfte, und Wolfgang Herrndorf, einer der größten deutschen Gegenwartsautoren.

Für besonderes Hörvergnügen sorgen Sie auf zweierlei Weise, live bei Lesungen und durch Hörbuch-Einspielungen im Studio. Worin besteht jeweils die spezielle Herausforderung?
MP: Studioaufnahmen bedeuten viel Disziplin, um wirklich 100-prozentig im Text zu bleiben – also in der Gegenwart der Worte! Ich bin maximal zwei Stunden im Studio – danach bin ich leer und gleichzeitig erfüllt.
WH: Studioaufnahmen verlangen ein hohes Maß an Konzentration und Einfühlungsvermögen – und das bei nicht vorhandenem Publikum. Da ringt man schon allein mit sich und dem Wortdämon.

Und bei Live-Lesungen?
WH: Da ist es zwar ähnlich. Aber die Präsenz der Zuhörer lässt Schwingungen wahrnehmen, die man in die Performance, in den Vortrag, mit einbringt – oftmals zum Gewinn für beide Seiten.
MP: Als Schauspieler kann ich auf Live-Lesungen mehr Power, Leidenschaft, auch „Verrücktheit“ zeigen. Das liegt mir, genau wie Übertreibungen etc. Im Studio bin ich stiller, leiser, intimer. Ich versuche, in die Tiefe der Worte einzudringen und möglichst entspannt … mich sprechen zu lassen.

„Bei uns beiden wird auf hohem Niveau gestritten …“

Sie beide sind ein bestens aufeinander eingespieltes Team bei szenischen Lesungen. Wie gestaltet sich die Erarbeitung? Wie kommt die Geschichte vom Buch auf die Bühne
MP: Textstreichungen sind fast immer sehr schmerzhaft! Du musst dich entscheiden und das tut manchmal weh … Wir kennen uns gut – auch privat. So sind unsere Proben einerseits sehr diszipliniert und professionell, aber zugleich auch sehr heiter und entspannt. Von der ersten Idee bis zur Aufführung sehen wir uns mehrere Male – jeder bereitet sich auch intensiv für sich selbst vor.
WH: Bei uns beiden wird auf hohem Niveau gestritten, was wie zum Besten gegeben wird. Die Auswahl bereitet da weniger Sorge, weil wir literarisch an einem Strang ziehen. Doch ob Schonkost, Deftiges oder Haute Cuisine: Das gemeinsame Feilen mit der Stimme am Wort hat immer größte Bedeutung für uns – der Rest gesellt sich von selbst hinzu. Das Redigieren eines großen Textes ist zweifelsohne ein Sakrileg. Wir versuchen jedoch stets die Balance zu halten, um die Essenz hörbar zu machen.

Auf der Homepage findet sich für 2014 der Hinweis auf eine Bayern-Tour mit Lesungen. Was war das Besondere an der Tour?
WH: Unsere Nutzer kennen die Stimmen unserer Sprecher nur aus den eingelesenen Hörbüchern – vom Band, wie wir früher sagten. Bei unseren Lesungen erleben die Hörer diese Stimmen nun hautnah, können sich den Betreffenden dabei besser vorstellen und lernen natürlich auch den Menschen kennen. Umgekehrt ist es sicherlich so, dass auch der Sprecher bei einer Lesung viel direkter mit dem Publikum in Kontakt tritt und mit dessen Reaktionen „spielen“ kann – und vermutlich froh ist, endlich einmal die nach Disziplin schreiende Enge des Tonstudios verlassen zu haben, nicht wahr, Martin!?

Wie dürfen wir uns die Studioaufnahmen vorstellen?
WH: Es bedarf sowohl der Studio- als auch der Mikrofondisziplin, zumal die Aufnahmen in der BH ohne Regisseur entstehen, also in Eigenregie. Da sollte man schon so fair und eigenverantwortlich arbeiten, dass man sich selber die eigene Aufnahme ruhigen Gewissens und gerne am Ende anhören würde.

Ihr verhängnisvollster Versprecher am Mikro?
WH: Oh je, Versprecher und Verdreher sind an der Tagesordnung. Da könnte man glatte eine Anthologie herausbringen. Meine zwei liebsten Versprecher sind: „Der Mann mit der weißen Kuckucks-Klan-Mütze …“ und „ … als am Abend dann Joseph von Arithmäa …“ Beide stammen allerdings von werten Kollegen.

Was haben Sie bei der Arbeit mit Menschen mit Sehbeeinträchtigung beeindruckt?
WH: Der einfühlsamste Vorleser, den ich je erlebt habe, ist blind. Dem Sprecher Rainer Unglaub gelingt es auf unnachahmliche Weise, mit seinen Fingerkuppen den Braille-Text zu streicheln und mit seiner wunderbaren Stimme zum Leben zu erwecken.

Über welche Reaktionen und Rückmeldungen haben Sie sich besonders gefreut?
WH: „Herr Hartmann, es war so schön, Sie mit Ihrer Stimme bei uns im Wohnzimmer gehabt zu haben!“ Auf solche Art willkommen zu sein, erfüllt mich mit Freude!

„Du hast eine so charismatische Stimme …“

Das schönste Kompliment, das Sie je für Ihre Stimme bekommen haben?
MP: „Du hast eine so charismatische Stimme, die nahezu verpflichtend ist, Wichtiges zu sprechen.“

Das Angebot an ausleihbaren Hörbüchern umfasst auch Einspielungen von Neuerscheinungen. Welche Titel sind – aus Ihrer jeweils persönlichen Sicht – beispielhaft für die Bandbreite der Neuerscheinungen?
WH: Da fallen mir spontan zwei Titel ein: Mary Beards „Frauen und Macht“, das Manifest zu #MeToo, und Esther Kinskys Roman „Hain“, der den diesjährigen Belletristikpreis der Leipziger Buchmesse erhielt. Zwei aktuelle „Spiegel“-Bestseller werden gerade aufgesprochen: Juli Zehs „Neujahr“ und Timur Vermes‘ „Die Hungrigen und die Satten“. Aktueller, auch was die Themen betrifft, geht es kaum.

Was ist für Sie der bemerkenswerteste technische Fortschritt, seit Sie Studioaufnahmen machen?
MP: Die oft albernen und heiteren Pausen zwischen den Aufnahmen mit Sprechkollegen und Technik! 
WH: Die digitale Aufnahmetechnik hat naturgemäß vieles effizienter gemacht. Dass wir mit derselben Software in den Studios die Aufnahmen fahren und diese anschließend an den Technikrechnern bearbeiten und mastern können, ist eine immense Erleichterung – wenn man da an die „Bandsalat“-Aufnahmen früherer Zeiten denkt!

Sie müssen ja beide immer gut bei Stimme sein. Ihr bewährtester Tipp, um sich in der Erkältungszeit zu wappnen? Oder, wenn es einen doch erwischt hat, möglichst bald wieder gesund zu werden?
MP: Halspastillen und schwarzer Tee mit Butter! Und tägliches Atem- und Stimmtraining!
WH: Ich halte es da mit Winston Churchill und sage nur: „No sports!“ Nein, im Ernst, mir helfen da immer Mund- und Rachenduschen mit Salbeitee. Und meine Halspastillen habe auch ich immer dabei. Hier, möchten Sie eine?