Kein Wunder, wenn bei „Suppenbrunzer“ gleich ein Verdacht aufkommt. Aber schon beim Titel täuscht der erste Eindruck – wie so oft in diesem Krimi. Deshalb sind wir der Sache vor Ort auf den Grund gegangen: in Niederbayern, wo alle Fäden zusammenlaufen. In der Werkstatt von Josef Krottenthaler suchten wir die Heilig-Geist-Kugel für unser Gewinnspiel aus. Vor allem gewannen wir Einblicke bei Nicole Lingen, für die „Suppenbrunzer“ ein Heimspiel ist – als Mundart-Muttersprachlerin und erfahrene Autorin von über 60 Drehbüchern und Reisereportagen.

Wie um Himmels willen sind Sie denn auf den Buchtitel gekommen, bei dem wohl jeder, der kein niederbayerischer Muttersprachler ist, der eigenen Fantasie auf den Leim geht?
Nicht nur der Nicht-Bayer, auch der waschechte Bayer war bei der Auswahl des Titels a bisserl irritiert. Denn der Bayer an sich kennt zwar das Brunzen, aber nicht unbedingt den Suppenbrunzer. Das ist die volkstümliche Bezeichnung für die Heilig-Geist-Kugel, übrigens oft Handarbeit und wunderschön. Früher hing sie bei vielen Familien über dem Küchentisch. Mittlerweile ist sie fast in Vergessenheit geraten, was mich selbst überrascht hat.

Was steckt für Sie hinter dem Titel?
Ein Bekenntnis zur Mundart, Liebe zur Tradition und ein kleiner versteckter Hinweis, dass in der Geschichte vieles nicht ist, wie es scheint.

„Suppenbrunzer“ könnte man vielleicht erklären mit Physik plus Schalk im Nacken. Wie würden Sie es formulieren?
Ich würde sagen: Die Dreieinigkeit aus Kohl-Dampf, Heiligem Geist und „Mia san mia“!

Sind Sie selbst mit so bildhaften Dialektausdrücken wie „Suppenbrunzer“ aufgewachsen? Oder mussten Sie sich als Zugereiste die sprachlichen Feinheiten erst erschließen?
Nix Zuagroaste! Im niederbayerischen Kelheim geboren, im oberbayerischen Rosenheim die Jugend verbracht und in München erwachsen geworden – da kommt der Dialekt ganz von allein.

„Muichdustl, Lätschnbene, Glabberl“

Welche Dialektworte sind Ihre persönlichen Favoriten?
Muichdistl für Löwenzahn, finde ich sehr schön, oder Lätschnbene, das ist ein Langweiler. Dann gibt’s noch die Glupperl für Wäscheklammern, Glabberl, also Sandalen, und Tschampsterer, das ist der Liebhaber.

Am Thema Familie kommt man bei Ihnen nicht vorbei, weder im „Suppenbrunzer“ noch bei Ihrer Laufbahn: Nach Ihrer Großmutter und Mutter sind Sie in dritter Generation Autorin. Wann und wie haben Sie Ihr Talent entdeckt?
Im Grunde hat mich meine Mutter entdeckt. Andere Eltern würden sagen: „Kind, lern´ erst einmal was Gescheites und dann schreib´…“ Ich dagegen habe erst etwas Gescheites gelernt, Sprachen studiert, und meine Mutter hat ständig gedrängt: „Wann fängst du endlich an zu schreiben?“ Und weil Kinder gelegentlich tun, was Eltern sagen, habe ich schon während meines Studiums angefangen zu schreiben und nie wieder damit aufgehört.

Waren Mutter und Großmutter Vorbilder?
Vor allem meine Mutter. Bei meiner Großmutter habe ich erst später begriffen, wie viele Romane sie geschrieben hat.

Wie dürfen wir uns den Alltag in Ihrer Drei-Autorinnen-Familie vorstellen?
Über 3000 Bücher, zwei Schreibzimmer, Tag- und Nachtarbeit, viel Kaffee, viel klassische Musik, viel Diskussionen und viel Diplomatie beim gegenseitigen Kritisieren der Arbeit. Als ich ernsthaft zu schreiben anfing, hatte ich allerdings schon meine eigene Wohnung …

Die „Suppenbrunzer“-Widmung liest sich wie eine Liebeserklärung und ein Dankeschön an Ihre Mutter. Wie hat Sie Ihr Krimidebüt beflügelt?
In allem. Zunächst habe ich alle ihre Übersetzungen gelesen – am liebsten Ruth Rendell – und meine Liebe zu Krimis und Thrillern entdeckt. Meine Mutter hatte jedoch auch einen großen Traum. Sie wollte nach etwa 350 Übersetzungen noch einmal einen Krimi veröffentlichen. Dazu kam es leider nicht mehr. Ich habe „Suppenbrunzer“ auch für sie geschrieben.

Trotz viel Lokalkolorit ist Ihr Buch kein konventioneller Regionalkrimi. Was war Ihr Ausgangspunkt und wie war Ihr Schreibplan?
Mein Ausgangspunkt war tatsächlich das Thema und die Frage, in welcher Form ich es erzählen kann und – darf. Schon vor über zwanzig Jahren bin ich auf diese Ungeheuerlichkeit gestoßen, über die ich leider nichts sagen kann, denn es würde zu viel verraten. Ich wollte das Tabu – so kann man es, denke ich, getrost bezeichnen – als Drehbuch unterbringen, doch Produzenten und Produzentinnen haben nur abgewinkt. Zu gewagt. Emons dagegen hat mir die Chance gegeben und dafür bin sich sehr dankbar. Was mich generell beim Schreiben interessiert, ist die Psychologie. Warum sind Menschen, wie sie sind? Warum tun sie, was sie tun? Das zu verfolgen und mich auch mit dem Feuertod zu befassen, war für mich sehr spannend.

„Ein wunderschöner, fast mystischer Ort …“

Wie wirken sich Ihre Erfahrungen als Reisejournalistin eigentlich auf die Verortung Ihrer literarischen Werke aus? Wie haben Sie für „Suppenbrunzer“ die Schauplätze mit stimmiger Atmosphäre gefunden?
Niederbayern kenne ich von unten und auch vom Heißluftballon aus ganz gut. So war es nicht schwer, einen geeigneten Schauplatz zu finden. Zumal ich schon einmal über die Holzkirchner Wallfahrt recherchiert habe. In dem Zusammenhang war ich auch auf dem Bogenberg war, einem wunderschönen, fast mystischen Ort, mit herrlichem Blick auf die Donau. Passau, Regensburg, Straubing, alles Orte, die ich immer wieder und gern besuche. Wobei ich, wo auch immer ich auf der Welt bin, immer das Besondere suche: das, was in keinem Reiseführer steht – zumindest nicht so, wie ich es wahrnehme. Es gibt immer und überall so viel zu entdecken.

Und wie haben Sie sich mit Traditionen und Brauchtum vertraut gemacht? Sind Sie auch nach Mariä Himmelfahrt auf den heiligen Berg der Niederbayern gepilgert? Oder haben Sie sich beim „Wasservogelsingen“ nasse Füße geholt?
Kein Pilgern, keine nassen Füße, außer zur kurzen Abkühlung in der Donau, aber viel Recherche.

Wie wichtig sind Ihnen – jenseits des Romanschreibens – Traditionen?
Beständigkeit. Vertrautheit. Heimatgefühl. Vielleicht auch, weil meine Familie im Zweiten Weltkrieg den Verlust von Heimat erlebt hat. Inneres und äußeres Zuhause. Manchmal durch die Menschen, die bestimmte Traditionen leben, oder aber durch Orte, an denen sie gelebt werden. Es ist ja auch eine Erinnerung an die Vergangenheit. Tradition erzählt, wer wir waren und sind.

Welche Traditionen haben besondere Bedeutung für Sie und warum?
Ich liebe nach wie vor die kirchlichen Traditionen wie Weihnachten, Ostern oder – wie im Suppenbrunzer – das Pfingstfest. Aber auch den Almabtrieb, das Aufstellen vom Maibaum oder den Schäfflertanz alle sieben Jahre, heuer war´s wieder mal so weit. Ich schau aber generell lieber zu und mach´ nicht mit!

„Heißblütige Melancholie und bayerische Bodenständigkeit“

Ihre Heldin Sophia Alvarez – bis vor kurzem: Wieser – vereint zwei Kulturen: die bayerische und die portugiesische. Warum haben Sie Sophia ausgerechnet diese beiden Kulturen mit auf den Lebensweg gegeben?
Als ich Sophia entwickelt habe, war ich in Lissabon. Da konnte ich gar nicht anders. Culture-Clash aus heißblütiger Melancholie und bayerischer Bodenständigkeit, den Sehnsüchten des Fado und dem Gstanzl als Spottgesang. Gegensätze ziehen sich an, Sophia ist dadurch immer ein wenig unberechenbar – für sich selbst und für die anderen. Das finde ich spannend. Auch deshalb macht es Spaß, über sie zu schreiben.

Portugiesischer Ginjinha und niederbayerischer Kirschkuchen, Sophias portugiesische Keramikschwalbe und die Taube in der Heilig-Geist-Kugel, Sophias bayerische und die portugiesische Großmutter … Balanceakt oder Bereicherung? Zwei Seelen in einer Brust? Worum geht es Ihnen bei diesen Spiegelungen?
Balanceakt und Bereicherung. Dadurch hat Sophia ein reiches Innenleben. Auch wenn sie selbst nicht immer weiß, mit wem sie es gerade zu tun hat: mit der Portugiesin, mit der Bayerin oder mit irgendetwas zwischen drin. Fremd sein in der inneren Heimat. Immer auf der Suche. Wer bin ich, was genau sind meine Wurzeln? Andererseits macht die Mischung Sophia zu etwas Besonderem, zu einem ganz eigenen Charakter. Auch deshalb kann sie sich oft besser in die Zerrissenheit anderer hineinfühlen, vor allem die der Täter, was sie wiederum zu einer hervorragenden Ermittlerin macht.

Am Anfang bekommt Sophia eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Warum tun Sie ihr das an?
Franzl Geiger – Regisseur von „Monaco Franze“ und „Der Millionenbauer“ – hat in meiner Anfangszeit als Drehbuchautorin einmal zu mir gesagt: „Setz´ dei´ Hauptfigur auf eine Palme und dann wirf so lange Kokosnüsse nach ihr, bis sie runterfällt. Wie und ob sie sich wieder aufrappelt, des is dei´ G´schicht!“

„Ginjinha-Likör und Zigarette als Lebensmittel“

Sophias Erste-Hilfe-Maßnahmen in eigener Sache? Ihre wichtigsten Trostpflaster beziehungsweise „Lebensmittel“?
Ginjinha und Zigarette. Kein Lebensmittel, aber unbedingt: ihre Kinder.

Sophia würde jeden Karriere-Coach in die Verzweiflung treiben. Was macht sie dennoch oder gerade deshalb zur idealen Ermittlerin?
Dass sie oft weniger auf ihren Verstand als auf ihren Bauch hört. Nicht so sehr privat, aber beruflich ist sie ganz bei sich, vertraut ihrem Instinkt, hat Menschenkenntnis, ist stur und will unbedingt, dass dem Opfer und seinen Angehörigen Gerechtigkeit widerfährt.

Die Strafversetzung nach Bogen einschließlich Degradierung von der Hauptkommissarin zur gewöhnlichen Polizistin kann man nicht übersehen – vom Spott der Mutter des Bogener Bürgermeisters ganz zu schweigen. Das Schlimmste an der Dienstkleidung bzw. Uniform für Sophia? Und was sagt uns das über sie?
Das Kind in ihr will einfach nur dazugehören. Nicht auffallen. So sein wie alle anderen. Gerade, weil sie als Kind immer die Außenseiterin war.

Ob Verhörmethoden, um Mordgeständnisse zu bekommen oder Versetzungsgründe: Sie kennen sich anscheinend genau aus. Wie haben Sie Einblicke in den Polizeialltag und Ermittlungsmedthoden gewonnen? Und was war das Interessanteste für Sie dabei?
Ein guter Freund ist beim LKA hat mich bei der Recherche sehr unterstützt. Gerade beim Verhör spielt die Psychologie eine große Rolle. Die Ermittler werden dahingehend sehr gut ausgebildet. Leider durfte Frank mir nicht alles verraten. Sehr interessant war auch das Gespräch mit Jürgen, einem Ermittler der Münchner Mordkommission. Was ich zum Beispiel nicht wusste, war, dass die Beamten oft auch die Nachsorge der Angehörigen übernehmen und sie ganz praktisch unterstützen. Von Reinhard Schneider, Dienstgruppenleiter vom Bogener Polizeirevier, Sophias neuer Heimat, habe ich obendrein einen guten Einblick in den Polizeialltag bekommen, auch wie man sich fühlt, wenn man in eine Zelle eingesperrt wird.

„Eine Reise in das Denken und Fühlen des Täters“

Nicht zuletzt bietet Ihr Krimi Einblicke in die Gedanken und Gefühle des Täters – in einer Art von Tagebuch-Schlaglichtern. Wie haben Sie sich in seine Situation und all die Extreme hineinversetzt?
Es war tatsächlich auch für mich eine Reise in das Denken und Fühlen dieses, nun, sehr speziellen Täters mit seinen sehr unterschiedlichen Facetten. Im Schreiben habe ich, auch mit Hilfe eines Psychologen, mit dem ich mittlerweile schon seit zehn Jahren zusammenarbeite, viel über ihn erfahren. Vor allem, dass er nicht nur Täter ist sondern vor allem Mensch, und niemand einfach nur „schlecht“ auf die Welt kommt. Schuld ist manchmal eine sehr komplexe Angelegenheit.

Die Playlist in Ihrem Krimi reicht von Bushido bis zur Fado-Melancholie. Musik spielt eine bedeutende Rolle. Welche?
Schreiben hat für mich sehr viel Ähnlichkeit mit dem Komponieren. Anspannung – Entspannung. Sprachmelodie. Dramaturgie. Manchmal ist eine Person durch Musik besser zu beschreiben als durch Worte, denn Musik erreicht unser Unterbewusstsein, das, wofür es keine Sprache mehr gibt … Ich gebe häufig meinen Figuren einen Song. Höre ich ihn, ist es wie ein konditionierter Reiz, und ich erfühle den Charakter mehr, als dass ich ihn mit dem Verstand erfasse.

Ob Andrea Bocelli oder Avicii – das ist nicht nur Geschmacksache, sondern eine weltanschauliche Grundsatzfrage. Inwiefern?
Den Großvater, und mich übrigens auch, stört vor allem, dass Andrea Bocellis „Time to say goodbye“ sehr oft auf Beerdigungen gespielt wird, ohne darüber nachzudenken, ob es zum Verstorbenen passt oder nicht. Für seine Enkelin wollte der Großvater die Musik, die für sie richtig ist und nicht für die Eltern.

Wie in einem Musikstück variieren Sie bestimmte Motive, beispielsweise Mütter. Ihre Idee oder Ihr Erkenntnisinteresse? Und Sophias Problem?
Für mich war es wichtig zu erzählen, dass es nicht DIE Mutter gibt, sondern ganz viele unterschiedliche Arten von Müttern und vor allem, dass eine Mutter eben nicht nur die Unberührbare ist, die heilige Kuh, wie Sophia es einmal nennt. Eine Mutter trägt viel Verantwortung, aber sie ist nicht perfekt. Dennoch ist der Anspruch da, bei den Müttern, in der Gesellschaft und deshalb auch bei Sophia. Aber im Gegensatz zu anderen Müttern macht sie erst gar nicht den Versuch, perfekt zu sein, hat deswegen immer ein schlechtes Gewissen und auch dahingehend zwei Seelen in ihrer Brust.

„Mich interessieren Menschen in Grenzsituationen.“

Zu Ihren Erfolgsromanen zählt „Das Leben drehen“. Den Titel könnte man – trotz Ihrer Vielseitigkeit – fast als Gesamtmotto Ihrer Bücher verstehen. Würden Sie da zustimmen?
Absolut. Mich interessieren Menschen in Grenzsituationen. Wie handeln sie in der Krise? Was machen sie daraus? Wachsen oder scheitern sie?

Sophie scheint am Schluss eine Doppel-Drehung zu machen. Ihre Zukunftsaussichten?  Wie stehen die Chancen auf ein Wiedersehen in Niederbayern oder München?
Gut, hoffe ich. Allerdings entscheidet darüber der Verlag. Es gibt jedenfalls noch so viel über Sophia Alvarez zu erzählen …

Sophia Alvarez, hat für uns ihre besondere Playlist zusammengestellt. Reinhören können Sie hier:

Wer etwas mehr zu den „Suppenbrunzern“, bzw. Heilig-Geist-Kugeln erfahren möchte, dem legen wir unsere Reportage über den in Zwiesel ansässigen Holzbildhauer Josef Krottenthaler ans Herz, der mit langjähriger Erfahrung und viel handwerklichem Geschick auch die Heilig-Geist-Kugel angefertigt hat, die wir hier verlosen.