WEIBLICHER Erfindungs­reichtum kennt keine Grenzen: Vom Kaffee­filter bis zur Geschirr­spülmaschine und vom Schalen­modell der Atomkerne bis zum solar­betriebenen Wasser­reinigungs­system reicht das Spektrum brillanter Ideen, die Frauen zu verdanken sind – und ihrer Unerschütter­lichkeit, Barrieren wie die alten Geschlechter­rollen zu überwinden. 44 imponierende und inspirierende Beispiele aus Geschichte und Gegenwart schildert Melanie Jahreis, Kuratorin am Deutschen Museum in München. Ihre Hommage an Frauen mit rebellischem Geist ist eine Ermutigung, entschlossen den eigenen Weg zu gehen.

Sie haben von der Forschung in die Vermittlung von Wissen gewechselt. Was waren Ihre Beweggründe?
Forschung ist spannend und wichtig, aber was nützt all die Forschung, wenn wir das erlangte Wissen nicht verständlich vermitteln? Dafür ist die Sprache der Wissenschaft jedoch viel zu trocken. Da ich schon zu Schulzeiten meine Freundinnen mit meiner Redekunst begeistert habe, war es klar, dass ich später diesen Weg gehen werde.

Sie sind an einem der interessantesten Museen Deutschlands tätig. Wie haben Sie das Deutsche Museum als idealen Wirkungsbereich für sich entdeckt?
Mein Schlüsselerlebnis war ein Besuch im Deutschen Museum während meiner Studienzeit: In der Ausstellung „Pharmazie“ habe ich mich in einem begehbaren Modell einer 350.000-fach vergrößerten menschlichen Körperzelle wiedergefunden. Ich war total begeistert darüber, wie anschaulich hier das Lehrbuchwissen vermittelt wurde. Diese Zelle ist auch heute noch der Ort, den ich aufsuche, um mich inspirieren zu lassen.

2019 hatten Sie und Ihre Kollegin Sara Marquart enorme Resonanz mit Ihrer Ausstellung über den „Kosmos Kaffee“. Wie typisch ist es für Ihre Arbeitsweise, dass Sie über den eigenen Teller- beziehungsweise Tassenrand schauen?
Als Naturwissenschaftlerin muss man über den eigenen Tellerrand schauen, sonst bleiben uns spannende Zusammenhänge verborgen. Ein Beispiel: Kaffee ist ein hochtechnisiertes und ökonomisiertes Naturprodukt, das als Massenware durch die Welt reist und dabei die unterschiedlichsten Kulturen prägt.

Klar, dass Sie beim Thema Kaffee nicht um Melitta Bentz herumkamen. Was verkörpert sie für Sie und wofür dürfen all die Kaffeetrinker ihr täglich von früh bis spät dankbar sein?
Selbst ist die Frau. Sie hat eine neue Kaffeeära begründet und der bitterbraunen Brühe mit krümeligem Kaffeesatz in der Tasse den Garaus gemacht.

Wie viele Tassen umfasste Ihre durchschnittliche Tagesdosis bei der Arbeit an Ihrem neuen Buch? In welcher Zubereitung vorzugsweise?
Ich bin ein Kaffee-Nerd. In meine Tasse kommen nur frisch gemahlene Bohnen, handgefiltert und schwarz. Man sagt ja, sechs Tassen pro Tag fördern die Gesundheit – und ich fühle mich quicklebendig.

„Frauen, die erfinden, sind rebellisch!“

Was steht für Sie hinter dem plakativen und progressiven Titel „Rebel Minds“?
Ganz klar: Frauen, die erfinden, sind rebellisch. Denn sie haben nicht nur mit den normalen Schwierigkeiten zu kämpfen, die damit verbunden sind, eine außergewöhnliche Idee in die Tat umzusetzen, immer müssen sie sich auch gegen zahlreiche Barrieren und Vorurteile durchsetzen, die sich ihnen als Erfinderinnen in den Weg stellen.

Wie haben Sie die Heldinnen für Ihre Hall of Fame ausgewählt?
Ich habe über hunderte starker Frauen recherchiert und am Ende war es ein sehr schmerzlicher Kompromiss. Die Heldinnen dieses Buches kommen aus allen Gesellschaftsschichten, haben unterschiedlichste Nationalitäten und Lebensgeschichten. Ich wollte Vielfalt schaffen und damit zeigen, dass jede Frau ein „Rebel Mind“ werden kann.

Welche Errungenschaften würden der Menschheit am meisten fehlen, wenn die Frauen nicht so entschlossen und mutig Ihre Projekte vorangetrieben hätten?
Spontan würde ich sagen: die Currywurst! Davon verlassen pro Jahr allein in Deutschland über 800 Millionen Stück die Ladentheke.

Haben Sie bei den im Buch porträtierten Frauen eine Art DNA für Erfindungsgeist herausgefunden?
Alle Frauen besaßen Mut und Tatkraft – egal, in welcher Lebenssituation sie sich befanden.

Was war das wichtigste Startkapital für die Frauen?
Der Glaube an sich selbst.

Worin bestanden die größten Hürden für die erfinderischen Frauen?
Frauen waren vielen Vorurteilen ausgesetzt. Sie mussten einen steinigen Weg gehen, um ihre Ziele zu erreichen, denn ihnen war lange Zeit Bildung verwehrt: Sie durften keine Patente anmelden und ihre Erfindungen wurden oft ihren männlichen Partnern zugesprochen.

Wer sind Ihre drei ganz persönlichen Favoritinnen?
Malala Yousafzai, Temple Grandin und Deepika Kurup – todesmutig, kunterbunt und selbstlos.

„Mode spiegelt immer auch den Zustand einer Gesellschaft.“

Vertreten sind in Ihrem Buch natürlich auch Modeschöpferinnen. Wodurch haben sich die ausgewählten Frauen verdient gemacht?
Mode spiegelt immer auch den Zustand einer Gesellschaft wider. Mit Mary Quants Minirock konnten sich die Frauen der „Swinging Sixties“ nicht nur frei bewegen, vor allem konnten sie endlich frei denken. Und auch Coco Chanel befreite mit ihrer Mode die Frauen aus dem Korsett, wie sie gerne von sich behauptete.

Schon in der Einleitung kommen Sie auf Vorurteile und Hürden zu sprechen, vor denen speziell Frauen stehen. Wie reagieren Sie selbst eigentlich auf Frauen-und-Technik-Witze?
Ziemlich gelangweilt.

Was bringen Initiativen wie der „Girls Day“?
Die Reihe der Frau ist keinesfalls mehr die zweite; allerdings sind die traditionellen Rollenbilder längst noch nicht verblasst und manche Frauen sind auch schlichtweg zu bescheiden. Initiativen wie der „Girls Day“ sind im Deutschen Museum immer sehr beliebt. Die Begegnungen mit weiblichen Vorbildern motivieren junge Mädchen bei ihrer Berufswahl und machen neugierig auf Naturwissenschaft und Technik.

Wem würden Sie Ihr Buch gern persönlich in die Hand drücken?
Meiner Schwiegermutter und allen anderen Frauen, die in den typischen Rollenbildern verharren, aber auch all den jungen Frauen, die in ihrem Leben große Ziele haben.

Mit welcher Hoffnung oder welchem Ziel haben Sie sich an die Arbeit an Ihrem Buch gemacht?
Die Geschichten dieses Buches sollen jegliche Zweifel an den weiblichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zerstreuen und alle Frauen ermutigen, ihre rebellischen Talente zu entdecken!

„Die Jugendlichen von heute sind die Erfinder von morgen.“

Wer sind denn für Sie heute die Role Models?
Rückblickend: mein Spiegelbild. Ich würde in meinem Leben (fast) alles wieder genauso machen. Und für die Zukunft? Da finde ich es wichtig, dass die jüngere Generation gute Vorbilder hat, denn die Jugendlichen von heute sind die Erfinder von morgen.