ZUR TRAUMSTADT wurde Amsterdam nicht erst in unseren Tagen, sondern schon im 16. Jahrhundert – durch großartige Schöpfungen von Rembrandts Malerei bis zur einzigartigen Grachtenlandschaft. Wie damals die holländische Handelsstadt zur Weltmetropole aufstieg, erzählt Sabine Weiß in ihrem Epos „Krone der Welt“. Mit Begeisterung hat die Hamburger Autorin für dieses furiose Leseabenteuer vor Ort recherchiert. Auf opulenten 688 Seiten spiegelt sie die atemberaubende Vielfalt des „Goldenen Zeitalters“.

Mit Ihren Studienfächern Geschichte und Germanistik hatten Sie beruflich die Wahl, etwa Lehrerin zu werden oder eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen. Verlockender fanden Sie es, Schriftstellerin zu werden. Warum?
Während eines Praktikums in einer Schule habe ich festgestellt, dass ich nicht zur „Dompteurin“ tauge – und das muss man als Lehrerin auch sein. Als Schriftstellerin machen meine Figuren das, was ich von ihnen möchte – meistens zumindest.

„Hansetochter“ bezeichnet nicht nur die Titelheldin eines Ihrer frühen Romane, sondern trifft auch auf Sie selbst zu. Wie hat Sie die Hamburger Geschichte, Stadtlandschaft und Atmosphäre geprägt?
Wenn ich an den Hafen oder an Elbe und Alster komme, geht mir das Herz auf. Ich schätze die Vielfalt in der Stadt, die Toleranz. Auch sonst fühle ich mich Hamburg sehr verbunden, schließlich haben meine Eltern im Michel geheiratet. Während meines Studiums haben mich zudem die Veranstaltungen bei den Historikern Peter Borowsky und Joist Grolle sehr geprägt, die mir einen neuen Blick auf die Hamburger Geschichte eröffnet haben.

Was beflügelt Sie persönlich und literarisch an Küste und Meer?
Ich liebe die Weite, das Spiel des Wassers, die Möglichkeit, von einem Augenblick zum anderen in ein neues Leben aufbrechen zu können. Gleichzeitig fasziniert mich, wie facettenreich Küste und Meer sind. Wenn man sich die Zeit nimmt, genau hinzuschauen, kann man in jeder Sekunde etwas Neues entdecken. Keine Welle, keine Wolke und kein Sandkorn ist gleich – das bringt mich immer wieder zum Staunen.

Am Anfang Ihrer Laufbahn als Autorin standen zwei Romane über eine historische Persönlichkeit, deren Name jedes Kind kennt: Madame Tussaud. Was imponiert Ihnen an ihr?
Marie Tussaud muss eine enorm willensstarke Frau gewesen sein. Sie hat es von „ganz unten“ (Enkelin eines Henkers) nach „ganz oben“ (Vertraute von Adeligen und Politikern) geschafft. Mit gefällt es, wenn Menschen sich nicht unterkriegen lassen.

„Ich blättere einen Kosmos auf“

In Ihrem neuen Roman ziehen Sie größere Kreise denn je. Was macht für Sie den besonderen Stellenwert von „Krone der Welt“ aus?
„Krone der Welt“ ist epischer als meine früheren historischen Romane, das stimmt. Ich erzähle Amsterdams Aufstieg im sogenannten „Goldenen Zeitalter“ auf verschiedenen Ebenen, blättere einen ganzen Kosmos auf – von der Weltpolitik, Glaubenskriegen und Intrigen über Architektur, Malerei und die Entdeckung neuer Welten bis hin zu persönlichen Dramen. Das war eine großartige Herausforderung.

Welche Idee ist der rote Faden Ihres literarischen Großprojekts?
Mein Leitthema war Architektur im weitesten Sinne. Also nicht nur der reine Grachten- und Hausbau, sondern auch die Struktur von Lebenswelten, von Familiengefügen und der sinnliche Bauplan persönlicher Beziehungen.

Was macht Amsterdam für Sie so faszinierend und inspirierend?
Ach, alles natürlich! Das Stadtbild, die Aufbruchsstimmung, die Vielfalt der Menschen und Lebensbilder. Amsterdam hat sich schon damals durch eine große Toleranz ausgezeichnet. Es gab Familien, in denen Calvinisten, Katholiken und Wiedertäufer friedlich zusammenlebten. Rechtlich galt auch zu dieser Zeit der Begriff „gedogen“: Manche Dinge sind zwar nicht erlaubt, aber man duldet sie und sieht durch die Finger. Dieser tolerante Umgang ist damals wie heute wichtig und menschenfreundlich.

© Markus Weber, Guter Punkt München

Im Mittelpunkt Ihres großen Figurenaufgebots steht die Familie Aardzoon. Der verwitwete Familienvater Wim Aardzoon muss in größter Not versuchen, das Richtige zu tun. Was verkörpert er für Sie?
Obgleich er selbst einen Verlust erlitten hat, der ihn zu zerschmettern droht, muss Wim für seine Kinder der Fels in der Brandung sein und sich selbst überwinden. Das finde ich bewundernswert.

Hauptsächlich erzählen Sie die Schicksale der Geschwister Vincent, Ruben und Betje Aardzoon. Worauf kam es Ihnen bei den sehr unterschiedlichen Charakteren an?
Einerseits verkörpert jedes dieser Kinder einen für Amsterdam zur damaligen Zeit typischen Lebensentwurf. Wir haben den Baumeister, den weit gereisten Seemann und die lebenskluge Köchin, die zwischen den herrschenden Glaubensrichtungen hin- und hergerissen ist. Gleichzeitig war mir das Geschwisterverhältnis wichtig, das – wie im richtigen Leben – Höhen und Tiefen durchmacht.

„Amsterdam war ein Vorreiter.“

Vincent, der Älteste der Geschwister, verfolgt große Ziele. Was macht ihn zum typischen Kind seiner Zeit? Was an ihm ist außergewöhnlich?
Vincent ergreift Chancen, wenn sie sich bieten. Er arbeitet hart für seinen Erfolg, vergisst dabei aber auch das Mitgefühl nicht. Er will die Welt – seine Welt, Amsterdam – zu einem besseren Ort machen. All diese Aspekte sind letztlich typisch für Amsterdam zu dieser Zeit und wurden damals immer wieder von Reisenden hervorgehoben. Besucher staunten beispielsweise über die großen und sauberen Waisenhäuser und Zuchthäuser – und sorgten später dafür, dass diese Konzepte in anderen Städten nachgeahmt wurden. Nicht nur, was das angeht, war Amsterdam Vorreiter.

So unterschiedlich die religiösen oder politischen Überzeugungen und Werte auch sein mögen: Gemeinsam haben viele Ihrer Romanfiguren, dass sie versuchen, ihr Glück zu machen. Was wollten Sie an den individuellen Vorgehensweisen zeigen?
Aufgeben gilt nicht! Jeder Mensch hat sein spezielles Talent, ein erfülltes Leben zu gestalten – auch, wenn dieses Talent ihm selbst unbedeutend erscheint.

Sie schildern eine Welt zwischen Zerstörung und Aufbau. Was hat Sie interessiert und geleitet?
Vermutlich hat jeder schon einen Moment erlebt, in dem er dachte: Jetzt ist alles vorbei, das war’s. Dabei kann selbst aus Zerstörung etwas Neues entstehen – und oft genug etwas Besseres. Dieser Gedanke ist faszinierend und manchmal auch tröstlich für mich.

Bekannt sind Sie nicht zuletzt für Ihre intensiven Recherchen. Wieviel Zeit haben Sie Ihren Nachforschungen dieses Mal gewidmet?
Der Zeitrahmen lässt sich bei „Krone der Welt“ schlecht beziffern, weil ich mich mit einigen Aspekten bereits befasst hatte, ehe es das Projekt überhaupt gab. Wenn ich auf spannende Themen stoße, muss ich mich einfach damit beschäftigen. Recherchen dauern grundsätzlich Monate, manchmal Jahre. In diesem Fall habe ich zudem etliche niederländische Bücher gelesen, ohne Niederländisch zu können, was natürlich aufwändig und nicht ganz einfach war.

Was waren Ihre eindrucksvollsten Entdeckungen bei den Recherchen?
Faszinierend war für mich, die Recherchen durch Kunstwerke zu stützen. Was für eine Fülle genialer Künstler es zu dieser Zeit gegeben hat! Ob es jetzt die Gemälde von Grachten sind, von Schützenkompanien, Seestücke, Stillleben, Portraits von Malern wie Rembrandt, Frans Hals oder Judith Leyster oder auch die Werke des Architekten und Bildhauers Hendrick de Keyser. Vor meinem inneren Auge wurde mein Roman zu einem Film, in Ölfarben gemalt, in Stein gehauen.

„Atmosphäre schnuppern – großartig!“

Ihre Romane entstehen nicht nur am Schreibtisch, sondern das Reisen scheint für Sie als Autorin besondere Bedeutung zu haben. Welche?
Die Schauplätze aufzusuchen ist unabdingbar für mich. Atmosphäre zu schnuppern, einzutauchen in die Welt, die bislang nur auf dem Papier bestand, ist einfach großartig und beflügelt meine Fantasie. Amsterdam ist wunderbar und noch viele Reisen wert.

Sabine Weiß‘ persönliche Rezeptempfehlungen:

Wie gut, dass sich die in der ganzen Historie Amsterdams bestens bewanderte Autorin auch mit der Esskultur hervorragend auskennt und uns zwei ihrer Lieblingsrezepte verriet: Den typisch niederländischer Eintopf „Hutspot“, sowie den leckeren Granatapfel-Zitronen-Salat.