Zum Gütesiegel für literarisches Ausnahmetalent wurde das Pseudonym Alina Bronsky gleich beim furiosen Debüt der Berliner Autorin. Seit ihrem Bestseller „Scherbenpark“, der für das Kino verfilmt wurde, glückt ihr ein Romanerfolg nach dem anderen. Nun bringt sie in „Pi mal Daumen“ zwei Menschen aus verschiedenen Welten zusammen – durch die Leidenschaft für Mathematik!

Mathematik ist für viele ein Schreckensfach. Was löst Mathe bei Ihnen aus? Eher Alpträume oder Aha-Erlebnisse? Welche Matheerfahrungen haben Sie geprägt?
In der Schule fand ich Mathe eher langweilig. Ich kam zwar ganz gut zurecht, fand aber wenig Spannendes darin. Schulmathematik besteht ja bis heute überwiegend aus Berechnungen, die immer komplizierter werden. Mit echter Mathematik hat all das wenig zu tun. Später in meinem Leben hatte ich Mathe-Vorlesungen besucht und erst dabei entdeckt, was Mathematik überhaupt sein kann: endlos, zauberhaft, begeisternd.

Wie hat Ihr Mathematikstudium Ihr Leben verändert?
Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe kein vollwertiges Mathe-Studium abgeschlossen. Ich bewundere alle, die ein solches absolviert haben. Aber schon meine paar Semester haben meine Art zu denken verändert. Seitdem habe ich die Zuversicht, dass komplexe logische Zusammenhänge grundsätzlich erschließbar sind – wenn auch nicht unbedingt durch mich. Seitdem fürchte ich auch keine komplizierten Spielanleitungen mehr und ärgere mich, wenn irgendwas unlogisch ist.

„Das Pragmatische und das Irrationale.“

Wie kamen Sie von der exakten Welt der Mathematik auf den Titel „Pi mal Daumen“?
Der Titel stand für mich ganz früh fest. Ich liebe diesen Ausdruck, weil er beides in sich vereint: das Pragmatische und das Irrationale.

Ihr neuer Roman beginnt in einem Hörsaal bei einer Mathe-Vorlesung. Was hat Sie an diesem Setting gereizt?
Es ist ja nicht irgendeine Vorlesung, es ist die erste Vorlesung im ersten Semester. Also ein Moment für die Studienanfänger, wo alles ungewohnt ist und wo kaum jemand weiß, was auf ihn zukommt. Und in der Regel wird man dann gerade in Mathe erst einmal von den abstrakten Inhalten erschlagen. Ideal für meine Heldin, um für zusätzliches Chaos zu sorgen.

Vom ersten Satz an ist klar, dass es spannend wird mit Ihren zwei Hauptfiguren. Wie kamen Sie auf diese außergewöhnliche Konstellation und welchen Phänomenen spüren Sie nach?
Ich wollte zwei Helden beschreiben, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Von Charakter, Geschlecht, Alter, Herkunft her sind Moni und Oscar komplette Gegensätze. Es gibt im Grunde nur eine Gemeinsamkeit: Faszination für Mathematik. Dann ist es besonders spannend, die Gemeinsamkeiten und die Annäherung auszuloten.

Wie einst in Ihrem Erfolgsdebüt „Scherbenpark“ schreiben Sie auch in „Pi mal Daumen“ aus der Sicht eines Jugendlichen: Oscar. Was ist für Sie das Besondere und Bewegende an dieser Lebensphase?
Vielleicht, dass man nicht mehr Kind ist, aber auch noch nicht ganz erwachsen. Man ist der Welt da draußen relativ schutzlos ausgeliefert. Je älter ich werde, desto mehr Mitgefühl habe ich für Menschen in dieser Lebensphase.

Ihr Protagonist Oscar ist 16, aber kein gewöhnlicher Teenager. Welches Statement oder Lebensmotto ist am typischsten für ihn?
„Ich bin es gewohnt, eine Ausnahme zu sein.“

„Oscar versucht, der realen, physischen Welt aus dem Weg zu gehen.“

Mit welchen drei oder vier Stichworten würden Sie Oscar beschreiben?
Oscar ist hochbegabt, kommt aus einer sehr wohlsituierten Familie und versucht die ganze Zeit, der realen, physischen Welt aus dem Weg zu gehen.

Ihre weibliche Hauptfigur ist Moni Kosinsky. Welche Äußerung ist charakteristisch für ihr Selbstbild oder ihre Situation?
Obwohl Moni ein loses Mundwerk hat und eine realistische Selbsteinschätzung, würde ich sie nicht über Äußerungen charakterisieren. Sie hört vor allem zu.

Welche drei bis vier Stichworte charakterisieren Moni am besten?
Sie ist bescheiden, fröhlich, realistisch und optimistisch zugleich.

Moni versucht, neben der Uni mehrere Nebenjobs und ihre drei Enkel unter einen Hut zu bringen. Inwiefern schöpfen Sie aus eigenen Erfahrungen als vierfache Mutter und Autorin?
Es ist natürlich unvermeidlich, sich von eigenen chaotischen Alltagssituationen inspirieren zu lassen. Wenn zum Beispiel mehrere Verpflichtungen gleichzeitig anstehen, die sich eigentlich nicht miteinander vereinbaren lassen – und man es trotzdem versucht.

„Ich mag Geschichten, in welchen Frauen unterschätzt werden …“

In Ihren Romanen sind es oft Frauen, die das Geschehen vorantreiben. Welche Charaktere und Haltungen interessieren Sie besonders und wie passt Moni aus „Pi mal Daumen“ in diese Reihe?
Ich mag Geschichten, in welchen Frauen unterschätzt werden und es einfach so hinnehmen, ohne sich der Außenwelt unbedingt beweisen zu wollen. Ihr ganzes Potential erschließt sich mit Verspätung und auch dann nur auserwählten oder aufmerksamen Menschen. Genau das passiert Moni. Ansonsten ist sie für mich eine eher ungewöhnliche Protagonistin, weil sie so gar nichts Boshaftes an sich hat.

Der hochbegabte Oscar setzt zuerst auf sein Ausnahmetalent und auf Alleingang. Was lockt ihn aus der Reserve und was bringt ihn zur Teamarbeit mit Moni?
Oscar ist es gewohnt, bemuttert zu werden, und nimmt Monis Fürsorge als selbstverständlichen Service hin. Zugleich ist er weniger als andere in seinem akademischen Umfeld geneigt, ihr besondere Dummheit zu unterstellen. Oscar findet ja grundsätzlich alle nicht ganz so schlau. Damit räumt er Moni, ohne es zu merken, mehr Chancen ein als andere Menschen.

Oscars großes Idol ist Daniel Johannsen. Was macht diesen Professor für den 16-Jährigen zur alles überstrahlenden Größe?
Die Fields-Medaille ist ja so etwas wie der Nobelpreis der Mathematik. Das reicht für Oscars Bewunderung aus.

Prof. Herbst erzählt, dass ihm in einer Lebenskrise die Mathematik zum Rettungsanker wurde. Was ist für Sie selbst das Faszinierende an diesem Fach?
Dass man ganz klein und einfach anfängt und daraus in einzelnen logischen Schritten eine Gedankenwelt baut, der man als Durchschnittsmensch teilweise nicht mehr folgen kann.

„Ich freue mich, wenn jemand beim Lesen lacht.“

Alina Bronskys „Romane sind keine Komödien, aber ein Mekka für guten Humor“, befand der Deutschlandfunk. Wie würden Sie es selbst formulieren?
Ich freue mich, wenn jemand beim Lesen lacht. Oder überhaupt bessere Laune kriegt. Wenn ich über ernste Dinge schreibe, dann versuche ich es sprachlich möglichst dezent zu machen. Der Leser braucht keine besonderen Hinweise, was er lustig und was traurig finden soll.

Verstehen Sie Ihren Roman als Ermutigung, seinen eigenen Träumen zu folgen und einen Neubeginn zu wagen – notfalls allen Widerständen zum Trotz? Was ist Ihnen am wichtigsten?
Ach, ich wäre schon absolut zufrieden, wenn man nach dem Lesen das Gefühl hätte, eine spannende und bewegende Geschichte gelesen zu haben. Tipps zur Lebensführung würde ich ungebetenerweise nie geben.

Sehen Sie Ihren Roman als Komödie oder eher als Tragödie?
Warum Tragödie? Geht doch alles nicht so schlecht aus.