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Ein grandioser Überraschungserfolg aus Spanien! Obwohl Beatriz Serrano als Journalistin bei „El País“ den Buchmarkt genau kennt, staunt die Madrider Mittdreißigerin, dass sich so viele Leser:innen wiedererkennen in ihrem Debütroman: „Geht so“ über Marisa und ihr Überlebenstraining im Joballtag. Eine schonungslose Realsatire auf unsere Arbeitswelt!
Mit Ihrem Debütroman scheinen Sie einen sensiblen Nerv unserer Zeit getroffen zu haben. Haben Sie mit einem so enormen Echo gerechnet?
Kein bisschen. Als ich anfing zu schreiben und den Charakter meiner Protagonistin Marisa zu erschaffen, dachte ich, dass niemand sie mögen würde. Ich stellte sie mir als Antiheldin vor, als Außenseiterin. Eine Frau, die einem viel über die Probleme der modernen Gesellschaft erzählen kann, mit der man aber niemals befreundet sein möchte, weil sie alle Träume mit einem einzigen, scharfen Satz zerschmettern würde.
Über welche Reaktionen auf „Geht so“ haben Sie am meisten gestaunt?
Ich war völlig überrascht, dass meine Protagonistin Marisa hier in Spanien zu einer Identifikationsfigur wurde. Und dass viele Leser – neben Frauen in den Dreißigern auch Männer in den Fünfzigern – mir sagten: „Ich bin Marisa.“ Da machte es bei mir im Kopf Klick. Mir wurde klar, dass wir alle ähnlich empfinden, nämlich dass etwas nicht stimmen könnte mit der Art und Weise, wie wir unser trauriges, kleines Leben führen. Dass wir alle die gleichen Frustrationen erleiden, nachdem wir alle die gleichen Hoffnungen und Träume hatten. Und es gibt eine Menge Traurigkeit. Aber weil wir nicht genug darüber reden, sind wir alle sehr einsam.
„Es gibt nicht nur einen einzigen Heureka-Moment …“
Wie kamen Sie auf die Idee zu „Geht so“?
Es gibt nicht nur einen einzigen Heureka-Moment, sondern viele. Da war das Gefühl, dass sich alle meine Bekannten in ihren Dreißigern über ihre Jobs beklagten. Und die Erkenntnis, dass viele von ihnen Pillen gegen Depressionen oder Angstzustände einnahmen. Die Arbeit in einem blöden Job während einer weltweiten Pandemie. Ottessa Moshfeghs Buch „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ und die Überlegung: „Was würde passieren, wenn die Protagonistin arm wäre?“ Der Film „Fight Club“ und die Frage: „Wie gehen Frauen mit der alltäglichen Gewalt um?“ Die Arbeiten von David Graeber und das Buch „Nichts tun“ von Jenny Odell. Oder mein Heimweg von der Arbeit in der U-Bahn, wenn ich müde und traurig bin und denke: „Ist es das, worum es im Leben geht?“
In Spanien erschien Ihr Roman unter dem Titel „El descontento“: „Unzufriedenheit“. Warum?
Ich glaube, das Hauptproblem eines Lebens in ständiger Unzufriedenheit ist, dass sie zu nichts aktiviert. Diese Art Unzufriedenheit führt nicht dazu, auf die Straße zu gehen und ein paar Mülltonnen anzuzünden oder etwas politisch zu organisieren, um die Dinge zu ändern. Und ich glaube, genau das war es, was mich interessiert hat.
Welchem Lebensgefühl spüren Sie am Beispiel von Marisa nach?
Es gibt eine Konstante in unserer Gesellschaft: Sich schlecht zu fühlen, aber nicht so schlecht, dass man sich kein neues Kleid von Zara kauft oder sich nicht freitags mit seinen Bekannten einen guten Wein gönnt. Wir sind Teil einer Gesellschaft, in der wir trotz Hypervernetzung zunehmend isoliert leben, in der wir von Bürgern zu Konsumenten geworden sind und in der wir bis zum Einschlafen scrollen, um nicht über unsere individuellen Probleme – die auch kollektiv sein können – nachzudenken. Das Gefühl, schlecht zu sein, aber eben nicht ganz schlecht, bewirkt, dass die Welt weiterfunktioniert. Und das ist sehr traurig.
Die spanische Ausgabe hat im Romantitel die Ergänzung „temas de hoy“: „Themen von heute“. Um welche Phänomene unseres Hier und Jetzt geht es Ihnen besonders?
Einsamkeit und Miete.
„Marisa ist die Personifizierung eines Teils meiner Generation.“
Was verkörpert ihre Protagonistin Marisa für Sie?
Für mich ist sie die Personifizierung eines Teils meiner Generation: Menschen, die auch, wenn sie sich – mal mehr, mal weniger – bemühen, glücklich zu sein, nie wirklich glücklich sind. Sie wissen nicht, was in ihrem Leben fehlt. Und deshalb wissen sie auch nicht, wie sie glücklich sein könnten.
Wer oder was prägt Marisas Leben am meisten?
Routine, Langeweile und dann ein paar rettende Elemente wie das Prado-Museum, ihr Nachbar Pablo, leckeres Essen und YouTube-Videos.
Warum musste es Marisa ausgerechnet in die Werbebranche verschlagen?
In dem Buch gibt es einen Moment, in dem Marisa erklärt, wie sie in der Werbung gelandet ist. Sie dachte, es wäre nur vorübergehend. Aber sie hatte Angst, ihren Träumen zu folgen, weil sie nicht klar waren. Sie sagt, sie hatte die Wahl, glücklich zu sein oder sich etwas leisten zu können – und sie entschied sich, schöne Dinge zu kaufen. Durch Zufall ist sie in der Werbebranche gelandet. Das Problem ist, dass sie gut in ihrem Job ist und gleichzeitig weiß, dass das, was sie tut, um ihre Miete zu bezahlen, unmoralisch und obskur ist. Jeden Tag wacht sie also auf, geht zur Arbeit und hat das Gefühl, dass das, was sie tut, die Welt zu einem schlechteren Ort macht.
Was macht Marisas Arbeit zum „Bullshit-Job“, wie es der Soziologe und Autor David Graeber nannte?
Gut, dass Sie Graeber erwähnen, denn seine Arbeit hatte einen großen Einfluss auf mich, vor allem bei der Entwicklung dieser Geschichte. Deshalb habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wo ich Marisa unterbringen könnte. Am Anfang dachte ich an einen eher routinemäßigen, langweiligen und sich wiederholenden Job, etwa einen Aktenvernichter, wie der Protagonist im Roman „Allzu laute Einsamkeit“ von Bohumil Hrabal. Ich wollte aber ein Gefühl der Distanzierung, sogar der Entfremdung hinzufügen. Also habe ich über Werbung nachgedacht. Das ist der perfekte Bullshit-Job.
„ … einen Job, den sie moralisch ablehnt.“
Worin sehen Sie den Bullshit-Faktor?
Mir gefiel die Idee, dass Marisa einen Job hat, den sie moralisch ablehnt, den sie aber machen muss, um die Miete zu bezahlen. Marisa weiß ganz genau, dass ihr Job nicht nur nichts Gutes für die Gesellschaft bewirkt, sondern sogar schlecht für die Menschen ist. Der Soziologe David Graeber würde sagen: Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn es Jobs wie den von Marisa nicht gäbe.
Was ist Marisas Job-Dilemma in der Werbebranche?
Marisa trägt dazu bei, Menschen, insbesondere Frauen, zu verunsichern und nicht vorhandene Bedürfnisse zu erfinden, z.B. den Bedarf eines klitzekleinen Staubsaugers für die winzigen Ecken. Marisas Job trägt zu ihrem eigenen Unbehagen bei, denn wie der Soziologe David Graeber feststellte, sind sich Menschen mit solchen Bullshit-Jobs ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit in der Kette voll bewusst. Und sie wissen auch, dass, wenn sie eines Tages verschwinden würden, jemand anderes ihre Stelle übernehmen und das Rad sich ohne sie weiterdrehen würde.
Welche Strategie hat Marisa entwickelt, um sich durch die Arbeitstage zu retten?
Sie beherrscht ihr „Bürospiel“ wie ein Champion. Das „Bürospiel“ ist eine Strategie, die wir alle in unserem Joballtag praktizieren: Wir nicken, stimmen zu, lächeln, machen dumme Witze und verfolgen dumme Fernsehsendungen. Das tun wir nur, um etwas zu haben, worüber wir mit Leuten reden können, die „es nicht kümmert, ob du lebst oder stirbst“, wie Morrissey in „Heaven knows I’m miserable now“ singt. Obwohl Marisa im „Bürospiel“ großartig ist, fühlt sie sich völlig distanziert. So nimmt sie zusätzlich eine Menge Pillen gegen ihre Angstzustände.
Welches psychologische Phänomen haben Sie im Fokus?
Als ich das Buch schrieb, las ich „Wir alle spielen Theater“, eine Theorie des US-amerikanischen Soziologen Ervin Goffman, die in den 50er Jahren (!) veröffentlicht wurde. In dieser Theorie verwendet der Autor das Imaginäre des Theaters, um über soziale Interaktion zu sprechen. Und er behauptet, dass wir Menschen, wenn wir unser Zuhause verlassen, mehr oder weniger schauspielern. Nur wenn wir zu Hause sind, finden wir uns hinter den Kulissen wieder, können uns entspannen und wir selbst sein. Ich habe viel über diese Theorie nachgedacht, als ich dieses Buch geschrieben habe. Ich habe über unsere Identität nachgedacht und darüber, wie wir uns mehr von unserer wahren Identität entfernen, wenn wir mehr als 8 Stunden pro Tag arbeiten. Oder wenn wir Zuhause immer noch WhatsApp-Nachrichten von Kolleg:innen oder Vorgesetzten beantworten. Und wenn wir in der Einsamkeit, in unserem Wohnzimmer, dumme Inhalte online stellen.
„ … die Verantwortlichen waren immer Männer.“
Was interessiert Sie an der Zusammenarbeit und an den Spannungen im Agenturalltag?
Ich dachte, es wäre interessant, darzustellen was ich in jedem Job, den ich in der Vergangenheit hatte, meistens vorfand. Und ich hatte meistens mit Frauen zu tun, aber die Verantwortlichen waren immer Männer. Es ging mir nicht darum, über diese Konflikte zu schreiben, sondern eher darum, die Verhältnisse darzustellen, die ich selbst beobachtet habe.
Marisa hat das Image der „Agentur-Feministin“. Wie zutreffend ist das?
Wir leben in einer Zeit, in der unser Wissen, unsere Interessen und sogar unsere Ideologie immer wieder durch das Produktionssystem vereinnahmt werden. Wenn du z.B. als Feministin auftrittst, ein Bild von einem Virginia-Woolf-Cover auf Instagram postest oder im Büro einen Kommentar zu aktuellen Frauenthemen abgibst, wird ein Kollege, der Chef oder jemand, mit dem du gar nicht über Feminismus sprechen willst, früher oder später erwarten, dass man für ihn oder sie zur feministischen Leitfigur wird.
Als Journalistin haben Sie für Magazine von „Harper’s Bazaar“ bis zur „Vogue“ über unterschiedliche Facetten des Frau-Seins geschrieben, die auch Marisa beschäftigen. Welche Veränderungen haben Sie festgestellt?
Ich habe das Gefühl, dass sich der Schönheitskult in einen Wellnesskult für Frauen verwandelt hat. Das Narrativ hat sich geändert. Früher galt: „Du musst für deinen Mann schön sein oder um einen Mann zu bekommen.“ Jetzt wird postuliert: „Du verdienst es, für dich selbst schön zu sein.“ Aber der Druck ist im Grunde derselbe. Heute gibt es keine „Anti-Aging-Cremes“, sondern „Pro-Aging-Cremes“. Wir akzeptieren immer noch keinen dicken Körper, auch wenn wir viel über Body Positivity reden, aber jetzt sagen wir, dass wir uns Sorgen um die Gesundheit machen. Vielleicht machen wir keine verrückten Diäten wie die Zitronendiät oder die Atkins-Diät, aber wir sind immer noch besessen vom Essen und von der Art und Weise, wie wir uns ernähren, um schlank zu sein. Darüber hinaus wurden Schönheitsoperationen und Botox eingeführt, als ob es etwas Normales wäre. Am Ende ist alles dasselbe: Wir wollen jung, schlank und schön aussehen.
Was versteht Marisa unter dem „Lipstick Effect“?
Der „Lipstick Effect“ ist eine Theorie, die besagt, dass die Verbraucher in Zeiten wirtschaftlicher Krisen dazu neigen, sich wenigstens kleine Luxusgüter wie Lippenstifte zu leisten. Diese Theorie ist umstritten, sie kann wahr sein oder nicht. Es gibt jedoch einige Studien, die belegen, dass dies während des Zweiten Weltkriegs oder nach dem 11. September der Fall war. Marisa glaubt, dass alle Menschen auf dieser Welt, insbesondere die potenziellen Konsument:innen der von ihr zu bewerbenden Produkte, in einer ständigen Krise leben. Sie wollen, dass sich etwas in ihrem Leben ändert, und vertrauen dabei auf Konsumgüter. Ein teures Parfüm, ein schöner roter Lippenstift. Etwas, das für eine kleine Abwechslung in all der Eintönigkeit sorgt und ein aufregendes Erlebnis verspricht.
„Marisa ist selbst Opfer der Konsumgesellschaft.“
Marisa sieht die Konsumgesellschaft zwar kritisch, aber sie ist auch aktiver Teil davon. In welche Widersprüche verstrickt sie sich?
Marisa ist selbst Opfer der Konsumgesellschaft – ein aktives Opfer. Sie weiß, dass sie beim Kauf eines geblümten Kleides von Zara die Vorstellung hat, eine neue Frau zu sein … auch wenn es nur für einen Nachmittag ist. Sie weiß, dass das eine Falle ist, weil sie selbst daran arbeitet, diese Art von Fallen für andere Menschen zu stellen. Aber sie kann der Macht des Kapitalismus nicht entkommen.
Welche Funktion erfüllt YouTube für Marisa, die sich von früh bis spät durch Videos klickt?
Marisa nutzt YouTube zwanghaft. Für sie ist es ein Hintergrundgeräusch, mit dem sie versucht, den Lärm ihrer Gedanken zum Schweigen zu bringen.
Marisa hat einen enormen Tablettenkonsum. Was ist das Alarmierende daran?
Ich weiß nicht, wie die Situation in Deutschland ist. Laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen ist Spanien das Land mit dem höchsten legalen Konsum von Benzodiazepinen, d.h. Beruhigungsmitteln – und zwar weltweit! Ich wollte also den Fokus auf die Hilfsmittel legen, die wir benutzen, um weiterhin zu funktionieren und produktiv zu sein, egal was passiert. Es ist skurril, denn gleichzeitig neigen wir dazu, Menschen zu kriminalisieren, die am Wochenende Marihuana rauchen oder Kokain schnupfen oder während eines Musikfestivals eine Pille nehmen, als ob es nicht um dasselbe ginge: eine Zeit lang aus unserer Realität zu entfliehen.
Was verkörpert Elena, Marisas beste Freundin aus der Unizeit, für Sie?
Elena steht für mich für wahre Freundschaft. Eine, die sich nicht verändert, auch wenn wir uns verändern. Elena gibt Marisa dieses magische Gefühl, dass ihr jemand zuhört. Und nicht nur zuhört, sondern sie auch versteht.
Wie haben Sie das Romanschreiben erlebt und wie hat es Ihren Blick auf die Arbeitswelt beeinflusst?
Schreiben ist für mich die Tätigkeit, die mir auf legale Weise zu mehr Freude und Glück verhilft. Dieses Buchprojekt war für mich wie ein Exorzismus. Von meinem beschaulichen Zuhause aus konnte ich die kleine, aber ständige Gewalt erforschen, die gewöhnlich in der Unternehmenswelt herrscht, ohne selbst dort zu sein. Das ist die Macht der Fiktion. Es ist fast wie eine süße Rache, ohne Blut zu vergießen.