Millionen Fans fiebern jedem neuen Buch von Krimi-Queen Charlotte Link entgegen. Wir ebenfalls. Zu ihrem fulminanten Thriller „Dunkles Wasser“ waren wir schon mit ihr zum Interview verabredet. Doch dann musste sie gesundheitsbedingt sämtliche Termine bis Ende 2024 absagen. Wir wünschen Charlotte Link alles erdenklich Gute! Und wir nehmen beim Wort, was sie auf Instagram gepostet hat: „Meine berühmtesten Figuren Kate und Caleb müssen es jetzt allein schaffen.“ Weil Ex-Detective Chief Inspector Caleb Hale gerade in eine ziemlich riskante Angelegenheit verstrickt ist, befragten wir Kate Linville.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Beförderung, Kate! Detective Inspector Linville klingt gut.
Danke! So richtig kann ich es noch gar nicht fassen. Anerkennung war für mich ja nicht gerade alltäglich. Damals in London kam ich mir manchmal vor wie die unfähigste Polizistin bei Scotland Yard. Und hier in Scarborough fühlte ich mich im Rang des Detective Sergeant schon fast wie eingemauert.

Haben Sie denn Ihre Beförderung gebührend gefeiert?
Kommt darauf an, was man unter feiern versteht. Bei uns im CID, also im Crime Investigation Department der North Yorkshire Police, gab es Kuchen und ein Glas Sekt im Pappbecher für alle Kollegen, die danach Dienstschluss hatten. Und es gab eine kleine Ansprache.

Lob für Sie?
Ja, es war richtig schön. Glücklich gemacht haben mich besonders die Worte meiner Vorgesetzten. Detective Chief Inspector, DCI, Pamela Graybourne sagte: „Ich bin sehr stolz auf Sie!“ Das ist eigentlich schon eine Auszeichnung an sich. Und dass sie es war, die sich für meine Beförderung stark gemacht hat – obwohl wir nicht immer auf einer Linie waren.

DCI Pamela Graybourne scheint sie gut zu kennen, oder?
Manchmal denke ich: fast zu gut. Sie sagte, dass sie niemand kennt, der sich so tief wie ich in einem Schneckenhaus vergräbt, in einem Schneckenhaus aus Misstrauen und Vorsicht.

„Ich habe einfach keinen riesigen Pool an Freunden.“

Fühlen Sie sich durchschaut? Oder verstanden?
Darüber möchte ich mir lieber nicht den Kopf zerbrechen. Vermutlich hat Pamela recht. Zumindest kann ich nicht eben mal so zum Feiern oder für irgendwelche Unternehmungen am Wochenende Freunde zusammentrommeln. Ich habe einfach keinen riesigen Pool an Freunden. Aber ich habe meine Arbeit …

DCI Graybourne scheint Ihnen zu vertrauen …
Ja, doch. Das kann man wahrscheinlich so sagen. Sie hat mich sogar darüber ins Vertrauen gezogen, dass sie eine schlimme Diagnose bekommen hat. In dem Moment hätten wir einander beinahe umarmt, beinahe. Aber dafür bin ich wohl nicht der Typ. Und Pamela auch nicht. Sie ist eine Chefin, die aus professionellen Prinzipien keine Freundschaften innerhalb des Teams pflegt.

Was beschäftigt Sie und Ihr Team in „Dunkles Wasser“ am akutesten?
Ein verschwundenes Mädchen: die 14-jährige Eva Hanson. Sie hat immer gute Noten, bei ihren Lehrern und Mitschülern ist sie beliebt – eigentlich nicht der klassische Typ einer Ausreißerin. Eva hat keine Probleme, heißt es bei ihr Zuhause. Aber was wissen Eltern von Teenagern schon über deren Leben?

„Als Erstes wurde Evas Schuluniform gefunden …“

Und was weiß die Polizei inzwischen über Eva?
Noch nicht sehr viel. Als Erstes wurde Evas Schuluniform gefunden – in einer finsteren Ecke, die von keiner Überwachungskamera erfasst wird. Klar, dass das schlimmste Befürchtungen weckt. Ein Gewaltverbrechen, aber …

Gab es eine dramatische Wendung?
Ja, erstaunlich spät, nämlich erst über eine Woche nach Evas Verschwinden, kam doch noch ein Erpresserschreiben bei den Hansons an.

Wie kommen Sie voran?
Offiziell gar nicht. Mir ist der Fall entzogen worden.

Wie kam es denn dazu?
Evas Vater, Tyler Hanson, verlangte es. Er verweigert jede Kooperation mit mir. Unser oberster Chief beim Crime Investigation Department versicherte mir zwar, dass ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen. Aber er legte mir dennoch dringend nahe, mich aus dem Fall zurückzuziehen. Widerspruch zwecklos.

Was haben Sie jetzt vor?
Das muss ich mir gut überlegen. Wahrscheinlich behält DCI Pamela Graybourne recht mit ihrer Vermutung, denn sie kennt mich inzwischen gut. Sie sagte zu mir: „Sie geben eigentlich nie auf, selbst dann nicht, wenn es besser für Sie wäre.“

Sie bewegen sich also auf dünnem Eis?
Ich fürchte, das trifft es. Zumal mich Caleb in eine unselige Sache hineingezogen hat.

„Wir haben alle Höhen und Tiefen miteinander erlebt.“

Caleb Hale, der früher fast ihr Chef geworden wäre, und Sie scheinen schicksalhaft verbunden zu sein?
Kein Wunder, wir haben alle Höhen und Tiefen miteinander erlebt. Und manchmal sind wir gemeinsam durch die Hölle gegangen. Caleb war 2014 Detective Chief Inspector und er war an meiner Seite, als ich damals den einzigen Angehörigen verlor, den ich noch hatte, den für mich wichtigsten Menschen – meinen Vater. Nachdem er auf brutalste Art ermordet worden war, leitete Caleb die Ermittlungen.

Verständlich, dass damals die Welt für Sie zusammenbrach.
Ja. Mein Vater war Detective Chief Inspector – und nicht nur für mich ein Vorbild. Alle haben ihn geschätzt – bis auf seinen Mörder.

Damals wurde Caleb Hale für Sie zum Freund?
Caleb hat sich nicht davon abhalten lassen, sich um mich zu kümmern, obwohl ich anstrengend und ablehnend war. Er spürte, wie einsam ich war. Weil er selbst einsam ist. Immer in den kritischen Momenten meines Lebens ist er vor meiner Tür aufgetaucht. Oft hatte er Pizza dabei …

„Irgendwann wurde er vom Dienst suspendiert.“

Jetzt sorgen Sie sich um Caleb Hale?
Manchmal möchte ich ihn beschützen. Vor sich selbst, vor seinen Ängsten und Zweifeln, vor dem Alkohol. Mehrfach hat er einen Entzug versucht. Vergeblich. Irgendwann wurde er vom Dienst suspendiert. Er bekam wieder eine Chance, weil er ein so hervorragender Ermittler war. Mit einer bemerkenswert hohen Aufklärungsquote. Aber er hatte immer die Whiskeyflasche im Schreibtisch. Und alles ging von vorne los.

Obwohl Caleb Hale längst nicht mehr im Polizeidienst ist, scheint nun der Ermittler in ihm wieder erwacht zu sein …
Und der Nothelfer. Oder eine Art Ritter. Ausgerechnet in seiner Frankreich-Auszeit. In der Provence hat er eine Engländerin aufgelesen, die in Not geraten war: Iris Shaw, deren Reisebegleitung und beste Freundin Tanya mit dem VW-Bus verschwunden war. Und mit Iris‘ Gepäck, ihren Papieren und ihrem Handy. Sie hatte nichts mehr. Und sie ist eine betörende Schönheit. Und sie wirkte hilflos. Da war es um Caleb geschehen.

Sie wirken skeptisch, was Iris anbelangt …
Caleb nennt es Eifersucht. Vielleicht hat er recht. Iris rückt oft erst spät mit Informationen heraus. Beispielsweise hat sie Caleb erst mal die Vorkommnisse mit dem Stalker verschwiegen. Und dass sie schon vor über einem halben Jahr einen Drohbrief bekommen hat: „Ich bin schon sehr nah. Du wirst Dir wünschen, tot zu sein.“ Will sie einfach nicht hinschauen?

Manche denken ja an einen Zusammenhang mit den Kilbride-Morden von 2008. Sie auch?
Man kann nichts ausschließen. Zumal Iris damals die einzige Überlebende war. Sie könnte in größter Gefahr sein. Und Caleb somit auch.

Stehen Sie aktuell mit Charlotte Link im Austausch?
Als Polizistin soll man mit Versprechen ja vorsichtig sein. Ich wage es dennoch: Charlotte, wir schaffen das. Für Dein Vertrauen in uns liebe ich Dich noch mehr!