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Ausnahmephänomen Clemens Meyer betrat die literarische Bühne schon mit einem Paukenschlag und hat daraus eine Tradition gemacht: von seinem sensationellen Debüt „Als wir träumten“ über „Die Nacht, die Lichter“ (Preis der Leipziger Buchmesse) und „Im Stein“ bis zu seinem neuen Opus magnum. In „Die Projektoren“ ist dem Leipziger Autor nach intensiven Recherchen ein bombastisches Feuerwerk der Imagination geglückt.
Ihr neuer Roman ist ein literarisches Wagnis, um nicht zu sagen: Wahnsinnsprojekt. Wie würden Sie die literarische Herausforderung auf den Punkt bringen, die Sie mit „Die Projektoren“ gesucht haben?
Schwer zu sagen. Sieben Jahre Arbeit, Recherchen, Skizzen, Pläne, aber auch der Versuch, die Sprache auszuloten. Es war mir seit 2016 bewusst, dass das etwas Großes werden wird, also von der Länge her, aber auch was das Formale betrifft. Ein Wagnis, ja. Aber auch: Traditionelles Erzählen trifft auf die Formen der Moderne.
Wie fließen historische Fakten und Fiktion ineinander? Worauf haben Sie dabei den größten Wert gelegt?
Ineinander, auseinander. Eine eigene Welt musste erschaffen werden. Mein Tito ist nur bedingt der historische Marschall Tito. Dr. May nur bedingt die historische Person. Alle handelnden Figuren, der Cowboy, die Völkerkundler, Negosava, Jaro sind alle ausgedacht, die Geschichte, also die Historie, ist nur das Fundament, und auch das ist unterhöhlt. Trotzdem musste ich mich über Jahre mit den geschichtlichen Fakten auseinandersetzen, wieder und wieder.
„Der Kompass der verrückten Idee.“
Ihr Roman führt von Leipzig nach Kroatien ins Velebit-Gebirge. Welcher Kompass hat Sie da geleitet?
Der Kompass der verrückten Idee, die Winnetou-Filme, die zum Teil im Velebit gedreht wurden, mit den Jugoslawienkriegen, die 1991 auch an den Drehorten ausbrachen, zu verbinden. Und ohne Leipzig, ohne die Anstalt der Dottores, von der in der Realität nur noch der Güntz-Turm zu sehen ist, ging es nicht. Dann ergab eins das andere, so dass die Helden plötzlich auch mal in New Leipzig, in North Dakota sind.
„Die Projektoren“ weckt Assoziationen an die Kinowelt. Was steckt für Sie alles in Ihrem Romantitel?
Die Projektoren sind die Bildwerfer, die die Filme auf die Leinwand bringen, sich erhitzen, weswegen es immer zwei braucht. Aber es sind auch Personen gemeint, Planer, finstere Kräfte, die stets das Böse wollen und auch tun, verfälschen, verwirren, die Bilder manipulieren usw. Mehrere dieser menschlichen Projektoren tauchen immer mal wieder im Roman auf.
„Karl May war eine Figur, die beinahe literarisch ist.“
Gleich am Anfang bringen Sie einen bekannten Namen ins Spiel: Dr. May. Gemeint ist Karl May. Was fesselt Sie so an ihm, dass er nach Ihrer Leipziger „Weltenschöpfer“-Ausstellung nun auch in ihrem Roman vorkommt?
Er war ein Phantast, ein Hochstapler, eine Figur, die beinahe literarisch ist. Seine Werke kann ich nur noch in Verbindung mit seiner Geschichte lesen: ein kleiner Mann, der sich im Gefängnis eine große Welt erdachte, die voller grotesker Helden ist, aber auch zutiefst humanistisch. Mein Dr. May reiste aber wirklich durch den Orient, zumindest wird es angenommen, ist weltberühmt, taucht immer wieder in den Schicksalen der handelnden Personen auf.
Was waren bei ihren Recherchen die bewegendsten Begegnungen und Entdeckungen?
Da gab es einige. Hundeattacken in Belgrad, der vollkommen leere Bahnhof in Budapest, der verschwindende Bahnhof in Belgrad, der nun nicht mehr angefahren wird, Begegnungen im Kosovo, im Velebit. Ohne meinen Freund Edo Popovic, einen kroatischen Schriftsteller, hätte ich es auch nie schreiben können. Er hat mich durch den Velebit geleitet.
Ihren Roman „Im Stein“ haben Sie als Ihr Konzeptalbum bezeichnet. Welchen Stellenwert hat nun „Die Projektoren“ für Sie?
Ich glaube, dass es mein Erzählungsband „Die Nacht, die Lichter“ war, den ich ein Konzeptalbum nannte. „Im Stein“ war ein Monolith, eine surrealistische Erkundung der Nacht, Sexus und Gier, Eros und Thanatos. „Die Projektoren“ ist auch ein Roman über den Krieg. Kritiker und Leser sollen es beurteilen.
„Die Herausforderung war Historie und Gegenwart zusammenzubringen.“
Wie lange haben Sie an Ihrem „Projektoren“-Epos gearbeitet und waren Sie sich während Ihres Schreibmarathons sicher, wohin das alles führen würde und wie Sie es meistern würden? Was war die größte Herausforderung?
Die Grundidee kam mir schon 2008, als ich mit dem Goetheinstitut von Osijek nach Split reiste und Edo Popovic kennenlernte. Da dachte ich, das ist doch eine Wahnsinnsgeschichte! Erst drehen sie romantische Western, Kroaten, Serben, Bosnier waren ja beteiligt, als Komparsen, im Produktionsteam. Dreißig Jahre später werden die Filmrevolver gegen wirkliche Waffen getauscht. Wohin das führen kann, erahnte ich dann im Sommer 2013, als ich die Drehorte der Filme besuchte und immer mehr erfuhr. Eine Spur, die über die kroatische Armee in den Irak führte. Das zusammenzubringen, Historie und Gegenwart, war die Herausforderung, das hat alles Kraft und viel Zeit gebraucht.