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Eine „Beziehungsexpertin wie ihre große Vorgängerin Jane Austen“: Treffender als Denis Scheck kann man die herausragende Stärke von Daniela Krien kaum beschreiben. Seit ihrem auch für das Kino verfilmten Debüt „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ reiht die Leipziger Autorin einen internationalen Erfolg an den anderen, z.B. „Die Liebe im Ernstfall“ und „Der Brand“. Nun erzählt sie in „Mein drittes Leben“ von einer Frau, die im tiefsten Dunkel entdeckt, wie viel Kraft in ihr steckt.
Der Romantitel „Mein drittes Leben“ klingt nach tiefen biografischen Einschnitten und Wendepunkten. Worum geht es Ihnen hauptsächlich?
Es geht um Verlust, Trauer und Wiederauferstehung in einer schicksalsfremd gewordenen Gesellschaft.
Ihre Protagonistin Linda spricht von ihrem „früheren Ich“. Wer war sie?
Sie war eine erfolgreiche, gutverdienende Frau in einem nicht ganz einfachen, aber stabilen Familiengefüge – mit einem Mann, einer Tochter und zwei Stiefkindern. Es war ein gutes Leben, und sie hatte keine Vorstellung davon, wie fragil das Ganze war.
Wer ist Linda nun? Ist sie am Anfang Ihres Romans schon in einem neuen Leben angekommen? Oder noch an einer Schwelle?
Ich würde sagen: in einem Zwischenstadium. Ihr Lebenskonzept und alles Sinnstiftende in ihrem Leben sind zerbrochen, ein neuer Sinn ist noch nicht gefunden. Es geht zunächst ums Überleben. Sie lebt in einem Haus, in dem die Vorbesitzerin noch spürbar ist – deren Bilder hängen noch an der Wand, deren Hund und Hühner sind noch da. Die Alte war ebenfalls eine Überlebende. Etwas von diesem Überlebenswillen geht auf Linda über.
„Es ist ein Fluchtort, keine Idylle.“
Zuflucht sucht Linda im Umland ihrer Heimatstadt Leipzig. Worauf kommt es Ihnen bei diesem Dorf-Setting an?
Es ist ein Fluchtort, keine Idylle. In der Stadt erinnert sie alles an ihre verstorbene Tochter Sonja. Das Dorf ist neutral, der Hof macht viel Arbeit – und körperliche Arbeit tut ihr gut. Es ist ein erster Schritt in die Heilung.
Inwiefern ist Lindas Dasein im Dorf eine Art Selbsttherapie?
Das Alleinsein entlastet Linda zunächst. Sie muss nicht mehr ertragen, die Kinder der Freunde weiter aufwachsen zu sehen, und zuschauen, wie diese nach dem Tod ihrer Tochter weiterleben. Sie ist nicht mehr den Erwartungen der Freunde und der Familie ausgesetzt, die sich natürlich wünschen, dass es ihr endlich besser ginge.
Lindas Trauer wandelt sich. Was kennzeichnet die wichtigsten Phasen und wie haben Sie sich eingefühlt?
Nach dem Kübler-Ross-Modell geht man in der Psychologie von fünf Phasen aus: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Aus Gesprächen und aus eigener Erfahrung weiß ich jedoch, dass es meist nicht ganz so nach Lehrbuch verläuft. Im Rahmen der Recherche zum Buch führte ich natürlich auch Gespräche mit Menschen, die lange getrauert haben. Die meisten konnten den Zorn und das Verhandeln nicht bestätigen. Sie sprachen vor allem über eine große Leere, die sie empfanden, und über die Sinnlosigkeit des Weiterlebens.
Welchen Entwicklungen spüren Sie in „Mein drittes Leben“ nach?
Der Liebe in Krisen, wie meistens in meinen Büchern.
„Die Kunst ist Richards Rettung.“
Würden Sie sagen, auch Lindas Ehemann Richard hat seinen Rückzugsraum, nämlich die Malerei?
Die Kunst ist Richards Rettung. Darin findet er Sinn und Bedeutung, und wer das hat, kann mit Krisen besser umgehen.
Ihre Romanfigur Brida Lichtblau räumt ein, dass sie als Schriftstellerin für ihre literarischen Erfolge das eigene Leben und das der Menschen um sie herum „ausbeutet“. Könnte dieses Bekenntnis auch von Ihnen stammen?
Ich würde das Wort nicht gebrauchen. Aber alle Schriftsteller bedienen sich ihrer eigenen Erfahrungen und der Geschichten, die sie erzählt bekommen oder selbst erleben. Literatur lebt von der genauen Beobachtung der uns umgebenden Menschen. Etwas aus moralischen Gründen nicht zu erzählen, mag achtsam sein, ist aber der Kunst nicht zuträglich, denn Kunst muss nicht moralisch sein. Kunst muss gut sein.
Was macht Lindas neue Freundschaft mit Natascha und deren Tochter Nine besonders und bedeutsam?
Zunächst einmal die Unbefangenheit. Die beiden schneien einfach so in Lindas Leben hinein, ohne Scheu. Sie erwarten nichts. Damit kann Linda gut umgehen. Dazu kommt, dass auch Natascha eine vom Schicksal Gezeichnete ist, wenn auch auf andere Weise. Das verbindet, ohne zu verbindlich zu werden.
Sie sind selbst Mutter von zwei – mittlerweile erwachsenen – Töchtern. Inwiefern fließen Ihre eigenen Erfahrungen in Ihren Roman ein?
Alles fließt mit ein. Ich kann meine eigenen Erfahrungen, Gedanken und Gefühle nicht sauber von meinen Romanfiguren trennen.
Irgendwann stellt sich für Linda die Frage, ob man nach einem großen Verlust und so viel Trauer je wieder glücklich sein kann. Welche Ihrer Romanfiguren teilt dazu am ehesten Ihre persönliche Sicht?
Ich denke, Richards Sichtweise kommt meiner eigenen Haltung am nächsten. Die Kunst ist Richards Rettungsanker. Auch ich kann alles, was mir widerfährt, nutzen, um etwas zu erschaffen, das über mein privates Fühlen und Denken hinausreicht.
„Eine Abenteuergeschichte mit ungewissem Ausgang.“
Wussten Sie eigentlich schon am Anfang, wie die Geschichte von Linda ausgeht?
Ich plane im Grunde nichts. Ich folge meinen Figuren auf ihrem Weg und versuche, so wenig wie möglich bewusst einzugreifen in die eigene Dynamik und Logik, die eine Geschichte entwickelt. Es ist auch für mich jedes Mal eine Abenteuerreise mit ungewissem Ausgang. Bei „Mein drittes Leben“ hatte ich etwa bei der Hälfte ein Schwarzbild im Kopf. Die Figur Linda war weg, ich konnte sie nicht mehr sehen. Ich dachte: Vielleicht ist sie tot? Dann fuhr ich nach Hiddensee und unternahm lange Wanderungen. Irgendwo zwischen Neuendorf und Kloster tauchte Linda plötzlich wieder auf. Ich war wahnsinnig erleichtert und schrieb sofort weiter.