

Auch als Hörbuch auf Hugendubel.de erhältlich.
Seit Jahrzehnten engagiert sich Ernährungs-Doc Matthias Riedl für Aufklärung, wenn es um eine gesunde, artgerechte Ernährung geht. Kein Wunder, dass seine Thesen im Hinblick auf ein möglichst langes Leben brandaktuell sind. Dr. Riedl schöpft aus eigener Praxiserfahrung und zeigt in seinem jüngsten Buch auf, wie machtvoll sich unsere Ernährung auf unseren Körper und damit unsere Lebenserwartung auswirkt.
„Longevity“ scheint aktuell ein Trendthema zu sein. Welche Definition legen Sie zugrunde?
Darunter verstehe ich schlicht, länger als der Durchschnitt zu leben. Aber hier kommen vor allem die gesunden Lebensjahre ins Spiel. Da der Körper aus miteinander kommunizierenden Organen besteht, ist es wichtig die Organe im Gesamten solange wie möglich gesund zu halten. Denn wird ein Glied aus dieser Kette krank, verkürzt sich die Lebenszeit enorm. Da die Ernährung die wichtigste Ursache für Krankheiten darstellt, sehe ich in der Verhinderung ernährungsbedingter Erkrankungen den wichtigsten Ansatz, um möglichst lange und gesund zu leben. Deutschland liegt im Vergleich der Lebenserwartung mit anderen Industrienationen leider weit hinten – wir haben also viel zu tun!
In der Forschung laufen einige Projekte, die als Ziel vor Augen haben, lebensbeschränkende Faktoren mittels geeigneter Medizin zu beeinflussen. Sehen Sie da tatsächlich in absehbarer Zeit hilfreiche Ergebnisse?
Wir sollten uns nicht allein auf die Forschungsergebnisse verlassen. Da gibt es zwar viele erfolgversprechende Entwicklungen, zum Beispiel können viele Krebserkrankungen durch neue Behandlungsmethoden besser therapiert werden. Es gibt auch Medikamente in Erprobung, die die Metastasierung von Krebserkrankungen verhindern werden. Noch ist aber Altern ein Prozess, der im Wesentlichen durch unsere Art zu leben bestimmt wird. Und da sollten wir ansetzen!
Sie sind Arzt – und dennoch kritisch, wenn es um Blut- oder Stuhltests oder besondere Therapieofferten geht, die als Ziel eine Steigerung der Lebenserwartung in Aussicht stellen. Was stimmt Sie skeptisch?
Die Industrie übernimmt häufig vorschnell Blut- oder Stuhltest aus der Medizin, um sie in der breiten Öffentlichkeit zu vermarkten. Solche Tests, wie zum Beispiel die Untersuchung der Darmflora, brauchen aber eine klare Indikation und sie müssen vom Fachmann ausgewertet werden.
„… auf individuelle Sollbruchstellen sollten wir unser Augenmerk lenken.“
Sie setzen auf sinnvolle Vorsorge und ausgewogene Ernährung. Welche Vorsorgeangebote erscheinen Ihnen besonders hilfreich?
Jeder Mensch sollte sich über die in der Familie vorgekommenen Krankheiten informieren, denn häufig werden genetische Veranlagungen weitervererbt. Das betrifft insbesondere Krebs, die altersbedingte Erblindung und die Neigung zu Herzerkrankungen. Aber auch Diabetes und Bluthochdruck gehören dazu. Das sind quasi unsere individuellen Sollbruchstellen, auf die besonderes Augenmerk gelegt werden sollte. Mit diesem Hintergrundwissen sollte jede:r ihr/sein Vorsorgeprogramm planen.
Schon in Ihren früheren Büchern erläutern Sie die Macht der Ernährung. Was gehört unbedingt dazu?
Für jedes Lebewesen gibt es eine artgerechte Ernährung. Wird davon abgewichen, kann das Tiere wie Menschen krank machen. Australische Wissenschaftler haben das in den letzten Jahrzehnten auch für den Menschen nachgewiesen. Wenn Menschen in der freien Natur leben würden, dann würden sie eine ganz bestimmte pflanzenbasierte Ernährung zu sich nehmen. Sehr salzreiche und sehr zuckerreiche Lebensmittel sind in der Natur selten. In der Entwicklungsgeschichte der Menschheit waren die Menschen ursprünglich reine Pflanzenesser. Das hat sich vor 2 Millionen Jahren gewandelt, in eine pflanzenbasierte Ernährung mit tierischer Beikost. Das ist bis heute so geblieben und wir sehen bei Naturvölkern, dass sie die Zivilisationskrankheiten, die wir bekommen, nicht haben. Insbesondere essen Naturvölker keine hochverarbeiteten Lebensmittel, die zunehmend zum Problem für uns geworden sind. Vor allem durch die Kombination von Chemie, viel Zucker, viel Salz und das Fehlen von Ballaststoffen und gesunden Fetten schaden wir uns. Dazu kommt, dass die westliche Bevölkerung, insbesondere auch in Deutschland, mehr als 2 bis 3 Mahlzeiten am Tag verzehrt. Das nennt man Snacking und darin liegt ein wichtiger Faktor für die Steigerung der Entzündlichkeit im Körper. Die Entzündungsförderung wiederum bedeutet gleichzeitig auch ein schnelleres Altern des Körpers. Aber auch Bewegungsmangel mit einem einhergehenden höheren Bauchfettanteil oder Stress schaden uns sehr.
Jetzt kommen wir zum Knackpunkt: der Langlebigkeitsernährung! Die Natur ist reich an Gewürzen, Aromen, Gemüse- und Salatpflanzen, Nüssen … die alle wertvolle Inhaltsstoffe frei Haus liefern. Müssen wir also nur zugreifen?
Genauso ist es! Alles, was die Natur liefert und von der Pflanze kommt, ist grundsätzlich gesund und sollte den Großteil unserer Ernährung darstellen. Das Gleiche gilt auch für die Versorgung mit Eiweiß. Hier wissen wir, dass die Wahrscheinlichkeit für Herz-Kreislauferkrankungen besonders sinkt, wenn wir 2/3 bis 3/4 unserer Proteine aus dem Pflanzenreich essen.
„Verarbeitete Lebensmittel überlasten unser Immunsystem.“
Unpassende Essgewohnheiten nennen Sie „Brandbeschleuniger“ für Alterskrankheiten. Was sind die größten Übel?
Ganz klar: höchst verarbeitete Lebensmittel und hoher Zuckerkonsum. Hochverarbeitete Lebensmittel stören die Darmflora, machen den Darm durchlässiger und überlasten damit auch unser Immunsystem. Dazu kommt der hohe Salzkonsum in deutschen Gerichten. Mit anderen Worten: die hochverarbeiteten Lebensmittel und die Art, wie wir im Westen leben, sind Brandbeschleuniger der Alterung und stören bei uns viele Systeme.
Sie motivieren auch ältere Personen, vom positiven Nutzen einer entsprechenden Ernährungsumstellung zu profitieren. Wie schnell kann sich eine Verbesserung einstellen?
Bei einer Ernährungsumstellung sehen wir schon nach wenigen Tagen eine Verbesserung des Gesundheitszustandes. Am längsten dauert es, stille Entzündungen als Förderer des Alterns zu beeinflussen. Hier brauchen wir mehrere Monate, bis Verbesserungen eintreten. Aber viele unserer Zivilisationskrankheiten werden schon weitaus vorher positiv beeinflusst. Und damit sinkt das Risiko, frühzeitig zu sterben.
Sie machen Ihren Leser:innen Mut und sprechen von Bonusjahren, die erreichbar sind. Was ist ein gutes Beispiel, wie man leicht selbst etwas tun kann?
Als gutes Beispiel dient die Zahn- und Zahnfleischgesundheit. Parodontitis steigert das Risiko für Krebs, Komplikationen bei der Geburt, Bluthochdruck, Diabetes, Demenz und Depression. Viele Zahnärzte behaupten auch, dass neben der Zahnhygiene eine gesunde Ernährung unabdingbar ist: mit gesunden Fetten und vielen Ballaststoffen. Nur so lässt sich Parodontitis heilen. Das erlebe ich auch immer wieder in der täglichen Praxis. Bestimmte Bakterien in der Mundflora gehen mit einem erhöhten Demenzrisiko einher. Die richtige Zahnpflege mit entsprechender Ernährung baut also nicht nur einem eventuellen Zahnverlust vor, sondern fördert unsere allgemeine Gesundheit.
„Die allermeisten Nahrungsergänzungmittel sind unnötig.“
Das Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln ist groß, ebenso der wirtschaftliche Umsatz mit diesen Produkten. Was halten Sie von ihnen?
Die allermeisten Nahrungsergänzungsmittel sind unnötig. Viele dieser Produkte sind für die Hersteller Umsatzbringer. Leider vermittelt die Werbung dem Kunden, dass diese Produkte ihnen helfen werden, länger und gesünder zu leben. Aber der Schlüssel zum längeren und gesünderen Leben ist eine pflanzenbasierte artgerechte gesunde Ernährung. Bevor man ein Nahrungsergänzungsmittel nimmt, sollte man sich mit einem Ernährungsmediziner kurzschließen und einen eventuellen Mangel im Blut bestimmen. Denn nur ein nachgewiesener Mangel sollte mit Nahrungsergänzungsmitteln substituiert werden. Das gilt insbesondere für Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren.
Weltweit erreichen immer mehr Menschen das Alter von 100 Jahren. Was sind Ihre Erkenntnisse als Ernährungsmediziner aus deren „Geheimnis“?
Es gibt fünf Regionen auf der Welt, in denen die Bewohner auffällig gesund alt werden. Das Geheimnis in diesen „Blue Zones“ genannten Regionen? Artgerechte pflanzenbasierte Ernährung mit wenig tierischen Produkten und Vermeidung von hochverarbeiteten Lebensmitteln. Typisch ist zudem auch eine religiöse spirituelle Verankerung und ein höheres Gemeinschaftsgefühl, frische Kost aus dem Garten, ausreichend Bewegung und ein maßvoller Umgang mit Rauschmitteln. Alles positive Faktoren für die Langlebigkeit.
„Neugierig und offen für andere Ernährungsweisen sein.“
Sie unterstützen bei der Ernährungsumstellung mit einer Schritt-für-Schritt-Empfehlung und passenden, ausgewogenen Rezeptvorschlägen. Was war Ihnen dabei am wichtigsten?
Am wichtigsten ist es, neugierig zu sein und offen für andere Ernährungsformen oder Gerichte! Lebensmittel testen, die man bislang nicht kannte. Und offen sein für Neues. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen, wenn sie die Rezepte erst einmal probiert haben, ganz neue Gewohnheiten entwickeln. Genau das ist die Chance auch für ein längeres Leben. Wir müssen umdenken von der jetzigen ungesunden westlichen Ernährung hin zu einer gesunden Ernährung. Und noch ein Hinweis: Wer die Schritt-für-Schritt-Empfehlung beherzigen will, dem rate ich zum 20:80 Prinzip. Das kann man einfach nachmachen.
Alle Rezeptvorschläge sind für 2 Personen ausgelegt. Ist es erfolgsversprechender, sich im Team eine bessere Ernährung anzugewöhnen?
Unbedingt! Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen soziale Unterstützung. Ich kenne Patienten, die sogar ihre Freunde mitgezogen haben und am Ende haben Männergruppen mit Passion Gemüse gegrillt und so gemeinsam neues Terrain erobert.
Manch einer befürchtet, ausgewogene Ernährung geht automatisch mit einem teuren Lebensmitteleinkauf einher. Stimmt das?
Nein, das stimmt nicht. Wenn wir regional-saisonal einkaufen und pflanzenbasiert essen, sparen wir uns auch das teure Fleisch. Saisonale Lebensmittel sind immer günstiger als exotische Produkte, auf die man eher verzichten sollte. Hochverarbeitete Lebensmittel erscheinen manchmal preisgünstiger, sind aber inhaltsleer und tragen zu unserer gesunden Ernährung kaum bei.
Blumenkohl, Feta, Quark, Äpfel – das gibt es überall. Kann eine darauf basierende Ernährung unseren Alterungsprozess tatsächlich so einfach positiv unterstützen?
Gerade am Beispiel von pflanzlichen Lebensmitteln wird schnell klar: Sie verlangsamen das Altern, senken den Blutdruck und das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Das beste untersuchte Lebensmittel ist der Knoblauch, der nachweislich eine entzündungshemmende Wirkung hat.
„Am Ende addieren sich Einzelmaßnahmen positiv.“
Einige Rezepte kennzeichnen Sie explizit mit einem „Longevity-Star“. Was macht sie besonders wertvoll?
Am Ende addieren sich Einzelmaßnahmen positiv. Es gibt Lebensmittel, die wir als Naturheilmittel betrachten, dazu gehören Meerrettich oder Knoblauch. Das Besondere ist die Vielzahl der Pflanzenstoffe und -eigenschaften aus diesen Rezepten. So werden sie zu hochkonzentrierten Langlebigkeitsgerichten. Je mehr man davon in seinem Leben genießt, desto besser!
Dem Selbstkochen haftet gerne der Makel „zeitaufwändig“ an. Würden Sie dem zustimmen?
Die Zubereitungszeit der Gerichte liegt bei ca. 20 Minuten. Das ist wirklich nicht viel Zeit, wenn man gleichzeitig für mehrere Personen kocht oder auch einfriert. Dann hat man für den nächsten Tag sogar echt gesundes Fastfood zur Hand. Außerdem sind hochverarbeitete Lebensmittel keine Alternative, weil sie unser Leben verkürzen. Das gilt auch schon für die Fertigsaucen, die mittlerweile auch vermehrt in Restaurants verwendet werden.