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Für grandiose Überraschungen ist Multitalent Jacqueline Kornmüller immer gut. In ihrer Wahlheimat Wien sorgt sie als preisgekrönte Regisseurin und Grenzgängerin zwischen den Künsten schon lange für Furore. Seit Neuestem bringt sie auch als Autorin Geschichten wie Rohdiamanten zum Funkeln. Dabei verwandelt sie ihre Erinnerungen in wunderbare Literatur: Ihr Debüt „Das Haus verlassen“, erschienen in Kat Menschiks „Lieblingsbücher“-Reihe, ist ein poetisches Kleinod. Nun verzaubert sie Leser:innen mit dem autofiktionalen Roman „6 aus 49“, einer Hommage an ihre außergewöhnliche Großmutter, die aus dem Nichts ihr Glück machte.
Sie bezeichnen Ihre Großmutter Lina als Ihren „persönlichen Sechser im Lotto.“ Was machte sie dazu?
Meine Großmutter wollte vom Leben immer wieder überwältigt werden. Stark war sie und unbeugsam. Schon von Beginn an zog sie sich wie an ihrer eigenen Hand aus dem Elend, in das das Leben sie geboren hatte, sie hatte einen unbedingten Glauben an das Glück, und den hat sie mir definitiv vererbt.
Man spürt, wie tief und innig die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Großmutter war. Was hat Sie beide verbunden?
Meine Großmutter glaubte an die Einzigartigkeit jedes Menschen. Diesen besonderen Respekt brachte sie jedem Menschen gegenüber auf, auch mir. Obwohl ich mich als Kind sicherlich in manchen Dingen von anderen Kindern unterschied, betrachtete sie meine Andersartigkeit als etwas Besonderes, als etwas Kostbares.
„Meine Großmutter sah den Zauber der Dinge.“
Inwiefern entspricht denn die Romanfigur Lina der Wirklichkeit?
In der autofiktionalen Erzählung kann ich mich in der Realität aufhalten, ich kann aber auch Grenzen überschreiten, ins Unterbewusste abtauchen, Fakten und Fiction changieren lassen. Meine Großmutter hatte den Blick für das Andere, sie sah den Zauber der Dinge und war deswegen die ideale Quelle für eine vielschichtige und sich immer neu erfindende Romanfigur.
Lina wurde im Jahr 1911 geboren und ist in großer Armut aufgewachsen. Wie prägte diese Erfahrung ihr Leben?
Lina hat die Armut, in der sie aufgewachsen ist, nie verdrängt. Noch am Ende ihres Lebens sagte sie zu mir: So eine Armut wie ich sie als Kind erlebt habe, gehört verboten. Sie betrachtete also die Armut nicht als Zeichen einer eigenen Schwäche oder Unwürdigkeit, – wie das leider viele Menschen tun –, sondern sie hat die Armut für sich enttabuisiert. Der Not anderer stand sie nie gleichgültig gegenüber, sie blieb ihr Leben lang ein empathischer Mensch.
An Linas Seite ist von Jugend an Maria. Was schweißt die beiden zusammen und was macht diese Freundschaft zu etwas Besonderem?
Lina und Maria beginnen, wie das damals so üblich war, früh – fast noch als Kinder – zu arbeiten. Beide kommen vom Land, landen in der Gastronomie und lernen sich in den 20ern in München kennen. Maria ist eher introvertiert, schüchtern, Lina hat ein offenes Wesen, lässt sich nicht so leicht einschüchtern und will etwas vom Leben. Marias Freundschaft und Loyalität berühren Lina. Als die beiden aufgrund unterschiedlicher Stellenangebote getrennt werden sollen, gibt Lina nach und reist mit Maria nach Garmisch. Die Freundschaft der beiden hält ein Leben lang und war für mich der Anlass für den Roman.
„‚Amalie‘– ein Ort, den man im Leben nicht wieder verlassen will.“
Lina und Maria pachten das Chalet „Amalie“. Was gelingt den beiden hier Besonderes?
Lina und Maria stehen in ihrem Leben immer wieder vor dem Nichts. Und aus diesem Nichts machen sie etwas. Sie sind Meisterinnen darin, aus dem Nichts etwas zu machen. Ihre erste Anstellung in Garmisch bekommt Lina im „Clausings Posthotel“, und dort erfährt sie durch Zufall, dass die „Amalie“ verpachtet werden soll, ein wunderschönes kleines Chalet in zentraler Lage. Lina fasst sich ein Herz, und schafft es tatsächlich, den Besitzer, einen gewissen Professor Brittner, zu überzeugen, ihr die „Amalie“ zu überlassen. Lina und Maria schaffen den Sprung in die Selbstständigkeit und machen aus der „Amalie“ einen Ort, den man im Leben nicht wieder verlassen will.
Würden Sie zustimmen, dass Ihr Roman auch eine Hommage an besondere Frauen ist, die tatkräftig zu Glücksbringerinnen werden?
In meiner Kindheit war ich umgeben von starken Frauen. Frauen, die ihr Leben selbst bestimmten. Diese Selbstbestimmung wurde nicht mal ansatzweise in Frage gestellt. Alle Frauen in meiner Familie haben hart gearbeitet, haben mit ihrer Arbeit und ihren Ideen sich und ihre Familie beschützt. Ein Schutz, der über Generationen anhält. Lina gründete ihr Hotel, Maria eine Daunendeckenfabrik, sie haben also zwei Betriebe gegründet, geführt und erhalten. Zweifellos waren sie fantastische Chefs. Sie arbeiteten mit erstaunlicher Leichtigkeit und Würde. Sie lebten das, wofür wir Frauen bis heute kämpfen, und ja, wenn Sie mich so fragen: klar, es ist eine Hommage an Frauen, die sich nicht abhalten lassen, ihr Glück zu finden.
„Lina hatte ein gewinnendes Wesen.“
Hatte Lina eine spezielle Antenne für Glück? Wie würden Sie es nennen?
Lina hatte ein gewinnendes Wesen, man konnte sich ihrem Charme nicht entziehen, das Glück tat sich nicht schwer, sie zu erreichen.
Inwiefern hat Sie Ihre Großmutter zum Romantitel „6 aus 49“ inspiriert?
Meine Großmutter spielte leidenschaftlich gerne Lotto, sie ahnte, dass sie das Talent zu einem außergewöhnlichen Gewinn in sich trug. Sie saß auf der Veranda der „Amalie“, schrieb Antwortschreiben an Gäste, füllte nebenbei Lottozettel aus und träumte vom Glück.
Hat Lina Sie mit ihrer Lotto-Leidenschaft angesteckt?
Lange habe ich nicht gespielt, als ich anfing, „6 aus 49“ zu schreiben, spielte ich ab und zu, wobei ich in Österreich Lotto spiele. Hier heißt das Spiel „6 aus 45“, und die fehlenden vier Zahlen erhöhen naturgemäß die Chance auf einen Sechser.
„ … die Lust am Schreiben wuchs ins Unermessliche.“
Wie ist es Ihnen gelungen, Ihre eigene literarische Stimme zu finden?
Mein erstes Buch „Das Haus verlassen“ entstand durch einen Zufall. Ich wollte mein Haus in der Steiermark verkaufen und inserierte das Haus auf einer Internetplattform. Der erste Interessent kam, ein Mann aus dem Innenministerium, und ich wollte die Art und Weise, wie er mein Haus betrat und besichtigte, sofort aufzeichnen. Auch mein Haus schien beim bevorstehenden Verkauf ein Wörtchen mitreden zu wollen. Bei den Besuchen der Immobilientouristen verlor ich schnell das Interesse am Hausverkauf, aber die Lust am Schreiben wuchs ins Unermessliche. Jetzt ist es, als hätte diese Welt schon lange auf mich gewartet, und ich darf sie endlich betreten.
Wie definieren Sie Glück und was hat Sie zuletzt glücklich gemacht?
Mich kann man sehr einfach glücklich machen. Wenn „6 aus 49“ ein paar Menschen berührt, bin ich schon im Glück.
