Kästner & Kästner sind ein Dreamteam – zwei grundverschiedene Persönlichkeiten, die einander perfekt ergänzen. Andreas Kästner bringt gut 30 Jahre Erfahrung als Wasserschutzpolizist mit, seine Ehefrau Angélique die Sensibilität der langjährigen Psychotherapeutin. Das Erfolgsprojekt der beiden: waschechte Hafenkrimis aus dem Herzen Hamburgs, ihrer Heimatstadt. Authentizität und True-Crime-Elemente, Lokalkolorit und Spannung sind garantiert in allen „Tatort Hafen“-Bänden, ob „Tod an den Landungsbrücken“, „Tod im Schatten der Elbflut“ und nun im aktuellen Fall: „Die letzte Fähre nach Dockland“.

Der Hamburger Hafen scheint für Sie beide der Schicksalsort schlechthin zu sein. Wann und wie haben Sie sich einst hier kennen- und liebengelernt?
Angélique: Ich habe 2013 Dienstunterricht bei der Wasserschutzpolizei gegeben: „Wie überbringt man eine Todesnachricht?“ Andreas hat mich hinterher in sein Büro gebeten – und wollte nur plaudern, hatte keine Frage. Merkwürdig.
Andreas: Sie hat mir gefallen und ich wollte unbedingt ihre Telefonnummer haben.
Angélique: Ich hab nix gemerkt und Andreas hat mir dann die schwere Tasche zum Auto getragen …
Andreas: … unter dem Gespött meiner Kollegen, ich wollte Zeit schinden, um an ihre Nummer zu kommen. Vergeblich. Kurze Zeit später brauchte sie aber statistische Zahlen von mir und schrieb mich per Mail an. Meine Chance. Ich habe sie auf ein Glas Wein eingeladen. Sie meinte, sie trenne berufliches und privates und sei noch verheiratet.
Angélique: Er hat geschrieben: „er wolle mich nicht heiraten, nur ein Glas Wein trinken“. Ganz schön frech. Aber meine Neugier war geweckt, ich lebte ja schon Jahre von meinem Mann getrennt. Unsere erste Verabredung scheiterte, weil ich zur Betreuung eines Angehörigen nach einem Tötungsdelikt gerufen wurde und ihn versetzt habe.
Andreas: Ich stand ewig vor dem Restaurant. Wir hatten nur dienstliche Mail-Adressen voneinander. Wie sollte ich sie erreichen?
Angélique: Am nächsten Tag schrieb er, dass es „ja wohl etwas schwierig mit mir sei und er sich einfach jeden Tag in das Restaurant setze, bis ich käme.“ Ich hab kein Wort geglaubt. Aber … ich gebe es zu, ich bin hingefahren. Er war da! Ein schöner Abend. So fing alles an …

Wie wurde die Idee zu Ihrer True-Crime-Reihe geboren?
Angélique: Ich habe vorher schon Kriminalromane als Angélique Mundt geschrieben und wollte unbedingt gemeinsam mit Andreas schreiben, aber …
Andreas: … ich konnte mir das nicht vorstellen. Jeden Tag Dienst und dann abends und am Wochenende auch noch Leichen. Ich hab’ „Nein“ gesagt.
Angélique: Tatsächlich haben wir dann mit einem anderen Projekt begonnen. Andreas hatte eine schwierige Zeit im Osten der 80er Jahre und ist vor der Wende nach Hamburg gekommen. Er hat mir viel über ihre Männerclique erzählt, seine Stasi-Akte gezeigt. Ich war geschockt, berührt und wusste: Darüber muss ich schreiben.
Andreas: Wir waren bzw. sind eine Männerclique seit der ersten Schulklasse. Wir sind mit der Stasi aneinandergeraten, haben Fluchtversuche unternommen. Einige von uns sind im Knast gelandet, nicht alle haben überlebt, aber noch heute sind wir befreundet und leben alle in Hamburg. Ich dachte nicht, dass man diese Geschichte erzählen kann. Wir haben vier Jahre dafür gebraucht. Heute bin ich sehr stolz auf unser Buch „Die Freiheit so nah“ und wusste, wir können als Paar schreiben. Da habe ich meine Meinung gegenüber den Hafenkrimis geändert.

Wie würden Sie Ihr True-Crime-Krimikonzept auf den Punkt bringen?
Andreas: Die Realität des Hamburger Hafens als Schauplatz von Verbrechen und Schicksalen. Authentische Arbeit der Wasserschutzpolizei, nah an den Menschen, die hier arbeiten und leben, und immer mit einem Blick für die besondere Atmosphäre des Hafens.
Angélique: Wir stehen für Authentizität und Fachwissen der Wasserschutzpolizei sowie psychologischer Hintergründe.

„Der Hamburger Hafen – eine Terra Incognita.“

Was macht den Hamburger Hafen für Sie zum idealen Krimi-Setting?
Andreas: Der Hamburger Hafen ist riesig, beinahe so groß wie Kopenhagen, dazu sind viele Bereich gesperrt. Kaum jemand kennt sich dort aus. Im Grunde darf nur die Wasserschutz­polizei überall hin und kennt die Abläufe! Es ist eine Terra Incognita, die für die Leser:innen sehr interessant ist.

Herr Kästner, woran zeigt sich, dass Ihr Protagonist Tom bei der Wasserschutzpolizei genauso in seinem Element ist wie Sie selbst bis zu Ihrer Pensionierung 2023? Wie würden Sie ihn beschreiben?
Andreas: Tom ist begeisterter Teamplayer und fühlt sich sehr wohl mit seinen Kollegen … Wie ich es ebenfalls über Jahrzehnte tat. Tom ist lieber auf dem Boot als im Streifenwagen. Er liebt den Hafen bei Nacht. Im Trubel der Innenstadt würde er sich nicht wohlfühlen.

Und was unterscheidet Tom von Ihnen?
Andreas: Tom hängt sich richtig rein. Er versucht, es allen recht zu machen. Da wäre ich kantiger. Man kann nicht immer allen gefallen. Aber gut, dass er auch mal um die Ecke denkt, dafür mag ich ihn sehr.

Wie sieht die bisherige Erfolgsbilanz von Tom und seinem Team aus?
Angélique: Meinen Sie eine Aufklärungsquote? Nun ja, drei Bücher, drei Fälle, alle gelöst. Tippitoppi ☺

„Schmuggel ist im Hafen ein Dauerthema.“

Schneller als erwartet kommt eine akute Kooperationsanfrage vom Landeskriminalamt (LKA). Worum geht es im aktuellen True-Crime-Fall?
Angélique: Eine Terminaldisponentin nimmt nach Feierabend die letzte Fähre nach Dockland und bittet ihren Mann Fred, sie am Anleger abzuholen. Sie kommt nie dort an. Was ist passiert? Offenbar hatte Melanie Kenntnisse, die für kriminelle Kreise kaum mit Geld aufzuwiegen sind. War sie Täterin, Mitwisserin – oder ist sie jemandem zu nahe gekommen?
Andreas: Schmuggel ist im Hamburger Hafen ein Dauerbrenner. Aber in unserem neuen Fall geht es um mehr. Um Hafeninnentäter. Um Rache. Um einen zwielichtigen Ehemann, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird.

Und was macht Tom und Jonna zum perfekten Team?
Angélique: Die Mordermittlerin Jonna Jacobi, 56 Jahre, ist ein alter Hase. Sie ist neugierig geblieben, kennt sich aber im Hafen überhaupt nicht aus. Hier ticken die Menschen anders.
Andreas: Tom, 43 Jahre, sucht die Abwechselung, die Herausforderung. Er will seinen Hafen sauber halten. Er interessiert sich sehr für die Ermittlungen und wenn er der Seefahrt nicht sein Herz geschenkt hätte, wäre er bei der Kripo. Er führt Jonna in die Gepflogenheiten des Hafens ein.

Der Mord an Melanie Cullmann führt in die unterschiedlichsten Milieus, an Schaltstellen im Hafen und in Grauzonen. Was ist für Sie dabei besonders brisant und spannend?
Angélique: Wir haben uns zu den kriminellen Abläufen auf den Containerterminals von einem Verdeckten Ermittler des LKA beraten lassen. Das war auch für uns verdammt spannend.
Andreas: Ich habe in meiner Ausbildung zum Polizisten mit ehemaligen Kiezgrößen in Santa-Fu, der größten Haftanstalt Hamburg, sprechen dürfen. Eindrucksvoll und unvergessen.

Der Ehemann des Mordopfers wirkt ziemlich undurchsichtig und unberechenbar. Was ist für Sie das Interessante an Cullmann, an seiner Entwicklung, den Risiken und Nebenwirkungen?
Angélique: Fred ist ein komplexer Charakter mit einer harten Schale und einem weichen Kern. Er ist diszipliniert, loyal und hat einen starken Sinn für Gerechtigkeit. Seine Vergangenheit hat ihn misstrauisch, gewalttätig und vorsichtig gemacht, aber auch gelehrt, wie wichtig es ist, einen moralischen Kompass zu haben.
Andreas: Die Ermordung seiner Frau reißt alte Wunden auf und zwingt ihn, in seine eigene Vergangenheit zurück, die er unbedingt hinter sich lassen wollte. Sein Kampf gegen die Versuchung der Rache und das Streben nach Gerechtigkeit spiegeln seine tiefe, innere Zerrissenheit wider.

„ … wenn die eigene Welt zusammenbricht.“

Frau Kästner, was Krisenintervention anbelangt, bringen Sie als Psychotherapeutin viel Erfahrung mit. Wie fließt sie in Ihren Krimi ein?
Angélique: Ich habe über 12 Jahre Todesnachrichten in ahnungslose Familien überbracht, Menschen nach einem tragischen Verlust betreut. Ich kenne die Reaktionen, wenn die eigene Welt zusammenbricht. Ich war immer berührt von der Stärke die Menschen in den schwärzesten Stunden entwickeln, auch wenn es nicht immer gleich so aussieht. Ich möchte unsere Protagonisten psychologisch mehrdimensional gestalten. Ihr Erleben und Verhalten soll nachvollziehbar, fachlich korrekt und menschlich dargestellt werden.

Je komplizierter die in einem Fall verwickelten Persönlichkeiten, desto dringender wird Charlotte Severin gebraucht. Welche besondere Rolle hat sie in Toms Team und Leben?
Angélique: Tom und Charlotte mögen sich. Charlotte findet in Tom den Halt den sie braucht, da sie und ihre Tochter bedroht werden. Sie hat einen anderen Blick auf die Fälle, als die beiden Ermittler Jonna und Tom. Sie nähert sich von der psychologischen Seite.
Andreas: Tom schmeichelt es, dass er gebraucht wird. Er fühlt sich gut in ihrer Gegenwart. Obwohl er verheiratet ist. Das verwirrt ihn. Er fängt an, die Welt mit neuen Augen zu betrachten.

Charlotte trägt selbst eine schwere Last. Worin sehen Sie ihr persönliches Dilemma?
Angélique: Sie ist hilfsbereit und empathisch. Das klingt erstmal positiv, hat jedoch auch eine Kehrseite. Sie kompensiert mit ihrer Aufopferung ein niedriges Selbstwertgefühl. Sie hat sich einst mit dem falschen Mann eingelassen, ein Kind mit ihm bekommen. Sie wirft sich immer wieder vor, dass ihr ein solcher Fehler unterlaufen ist. Sie ordnet ihre eigenen Bedürfnisse unter, um von anderen gemocht zu werden. Und sie kämpft wie eine Löwin um das Glück ihrer Tochter. Dabei muss sie an die Grenze des Erträglichen gehen … und eventuell sogar darüber hinaus. Sie ist Polizistin und muss vielleicht etwas Kriminelles tun, um endlich Ruhe vor ihrem psychopathischen Ex zu haben. Die Leser:innen mögen gerade diese Figur besonders gern.

Einer, den man beim Lesen sofort ins Herz schließt, ist Johann Hansen alias Schrotti. Was verkörpert er für Sie und worauf kommt es Ihnen bei seiner Lebensgeschichte an?
Andreas: Mein Lieblingscharakter in dem Buch. Er ist gebrochen durch einen fürchterlichen Verlust. Aber er kann sich nicht einfach von der Welt verabschieden, sich das Leben nehmen, da er darauf wartet, dass die Elbe die Leiche seiner Ehefrau freigibt. Er ist kauzig, er erzählt wilde Geschichten, er trinkt zu viel und als Kind des Hafens liebt er es, Seemannslieder zu singen. Trotz allem ist er für Fred ein verlässlicher Freund.

„ … schießen, um zu überleben.“

Tom sorgt sich um seinen Kollegen und Freund Thilo Andersen alias „Quetsche“. Was macht ihm zu schaffen und worum geht es Ihnen bei diesem Einblick in die Polizeiarbeit?
Angélique: Der Gebrauch der Schusswaffe ist für einen Polizisten Hochstress und potentiell traumatisierend. Tom sorgt sich, weil Quetsche etwas getan hat, was Polizisten leider manchmal tun müssen: schießen, um zu überleben oder jemand anderen zu retten. Seitdem quält Quetsche die Frage nach dem Sinn und Wert seiner Arbeit. Er hadert mit dem gesellschaftlichen System, das von ihm fordert, seinen Buckel hinzuhalten, während alle anderen weglaufen. Wir wollten zeigen, wie dünn der Grat zwischen Pflichtgefühl und Selbstzweifel ist. Tom versucht, Quetsche mit einem Einsatz als Zivilfahnder auf einem Containerterminal zurück ins Leben zu holen, seinen Wert wieder zu erkennen.

Die Ermittlungen werden nicht zuletzt zur Entdeckungsreise durch den Hamburger Hafen und die Umgebung. Worauf kommt es Ihnen dabei an und was macht Ihnen das größte Vergnügen?
Angélique: Ich bin Hamburgerin und hatte doch so wenig Ahnung vom Hafen. Ich liebe es, wenn Andreas mir neue Orte zeigt. So wie die alte U-Boot-Bunkeranlage im Rüschkanal. Ein Lost Place direkt am Eingang zu einem bezaubernden Yachthafen auf Finkenwerder. Andreas braucht ja keinen Stadtplan mehr, er hat den Hafen vor seinem inneren Auge.

Optimisten könnten die letzten beiden Szenen als doppeltes Happy End deuten. Ohne zu viel zu verraten: Wie sehen Sie selbst das Finale?
Angélique: Wir möchten, dass der Kriminalfall in unseren Büchern am Ende gelöst ist. Das heißt aber nicht, dass alles wieder gut ist. Es sterben Menschen, andere finden einen Weg weiterzuleben. Es ist wie im richtigen Leben. Nach einem Verlust wird es nicht gut – es wird anders.

Als begeisterte Serientäter:innen haben Sie schon den nächsten Fall auf Lager. Was wird da für Tom & Co. am Moldauhafen zum Fluch?
Andreas: Während in Hamburg der Hafengeburtstag mit hunderttausenden von Menschen gefeiert wird und die Wasserschutzpolizei alle Hände voll zu tun hat, wird im alten Moldauhafen, einem Lost Place in Hamburg, in einem Auto eine männliche Leiche gefunden. Das Auto gehört dem Eigner eines Kreuzfahrtschiffes, der sich nur wenige hundert Meter weiter vor dem neuen Westfield-Center an Bord der Princess of the Sea amüsiert …
Angélique: … warte mal, wir dürfen noch nicht zu viel verraten. Die Leiche am Moldauhafen ist nicht das einzige Problem, das Tom und Jonna an diesem Hafenbecken erwartet. Und der Spagat zwischen diesem kleinen verlassenen Hafenbecken und dem Hafengeburtstag und dem luxuriösen Überseequartier könnte nicht größer sein.

Sind Kästner & Kästner eigentlich immer einer Meinung, was den Plot und die Erschaffung und Entwicklung von Protagonist:innen und deren Schicksal anbelangt? Wie hilft Ihnen Ihr jeweiliger professioneller Background als schreibendes Ehepaar?
Angélique: Nein, wir streiten auch. Das muss sein, damit wir um die beste Lösung ringen.
Andreas: Angélique ist ein Dickkopf, da muss ich gegenhalten, sonst dreht sie dramaturgisch durch …
Angélique: Gar nicht wahr. Wir schreiben doch kein Sachbuch, da muss ich doch meiner Fantasie freien Lauf lassen.
Andreas: Lieber nicht. Wir suchen den Kompromiss.