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Niall Williams hat sein persönliches Paradies im Westen Irlands gefunden. Seit 40 Jahren lebt und schreibt er in Kiltumper, seinem Gartenreich der Ruhe und Inspiration. Williams macht der großen poetischen Tradition der grünen Insel mit seiner melodischen Literatur alle Ehre. Sein Roman „Das ist Glück“ ist die ereignisreiche Geschichte des jungen Sinnsuchers Noel Crowe und des Dorfes Faha an der Schwelle zu einer neuen Zeit.
Ihre Lebensstationen reichen von Dublin und New York bis zum irischen Dorf. Wo leben und schreiben Sie am liebsten?
Ich ziehe es vor, hier in Kiltumper in der Grafschaft Clare zu leben und zu schreiben, wo ich nun schon seit fast vierzig Jahren wohne.
Was liegt Ihnen an Irland so am Herzen, dass Sie 1985 aus den USA in Ihre alte Heimat zurückgekehrt und geblieben sind?
Meine Ehefrau Christine und ich zogen 1985 in den Westen Irlands zurück, um zu versuchen, unser eigenes Leben nach unseren eigenen Vorstellungen umzusetzen. Wir kamen, um zu sehen, ob wir in der Landschaft kreativ leben können, denn wir wollten beide schreiben und Christine wollte auch malen.
Ihren Roman „Das ist Glück“ haben Sie in Kiltumper geschrieben. Was verbindet Sie mit dieser Gegend und welche besondere Atmosphäre beflügelt Sie hier?
Wir wohnen in dem Haus, das Christines Großvater als Teenager verließ, um Anfang 1900 nach Amerika zu gehen. Er kehrte nie zurück, aber das Haus war noch da. Ich habe festgestellt, dass Irland ein wunderbares Land zum Schreiben ist. Es gibt eine lange und ehrwürdige Tradition der Literatur und der Künste, und außerdem gibt es überall Schönheit.
Was inspirierte Sie zu „Das ist Glück“?
Ich war erstaunt über die Tatsache, dass es in Teilen des Westens Irlands erst in den späten 1950er Jahren Strom gab. Ich hatte einen Mann kennengelernt, der sich daran erinnern konnte, wie er von der Schule nach Hause kam und als Erster den Schalter an der Wand umlegen durfte, und wie fasziniert er war, als die Glühbirne anging – und er erstmals sah, dass die Dachsparren voller Staub waren. Mitte des 20. Jahrhunderts verließen also einige ländliche Gegenden erst das 19. Jahrhundert. Dies wurde das Rückgrat des Romans.
Wie wichtig sind Ihnen Ihre eigene Familiengeschichte und persönliche Erfahrungen als literarische Inspirationsquelle?
Nicht wirklich wichtig. Ich bin ein Geschichtenerzähler. Alles, was ich erlebt, bemerkt, gefühlt oder gesehen habe, fließt in einen Roman ein, aber nicht auf direktem Weg.
„Faha ist ein Ort, an dem man leicht vorbeifährt.“
Als Romanschauplatz haben Sie keinen bekannten Ort gewählt, sondern Faha. Ein fiktiver Ort?
Ja, mein Faha ist ein fiktiver Ort. Es gibt übrigens noch etwa fünf existierende Orte namens Faha, das ist in Irland nicht unüblich. Mein Roman-Faha liegt an der Shannon-Mündung im Südwesten von Clare. Es ist ein Ort, an dem man leicht vorbeifährt, ohne ihn zu bemerken. Es gibt nichts Bemerkenswertes an ihm, abgesehen von den Menschen, die, wie alle Menschen überall, außerordentlich lebendig sind.
Wer oder was prägt den Alltag der Dorfbewohner:innen am meisten?
Der Regen, der Fluss Shannon und die Notwendigkeit, einen weiteren Tag zu überstehen.
Als Erstes stimmen Sie eine wahre Sinfonie von Regenvariationen an. Welche wichtige Rolle kommt dem Wetter – und speziell dem Regen – in Ihrem Roman zu?
Regen ist eine Bedingung der irischen Landschaft. Er ist unvermeidlich, und er ist allgegenwärtig. Um hier zu leben, muss man ihn also vergessen, wie vielleicht alle anderen Härten auch.
Ihr Protagonist heißt Noel Crowe. Wie würden Sie ihn kurz vorstellen?
In Irland nannte man ihn einen „gescheiterten Priester“. Er verließ das Priesterseminar und kam zum Haus seiner Großeltern, um herauszufinden, wie er sein Leben leben wollte. Er ist ein Bücherwurm, schüchtern und hat keine Ahnung von der Welt.
„Ich bin verliebt in Wörter, ihre Klänge und Bedeutungen.“
In der Schule hatte Noel den Spitznamen „Know-all“, außerdem reimt sich die Abkürzung Noe gut auf seinen Nachnamen Crowe. Worauf legen Sie beim Umgang mit Sprache Wert?
Sprache ist alles. Ich bin verliebt in Wörter, ihre Klänge und Bedeutungen. Ich schreibe laut, d.h. ich spreche aus, was ich schreibe, und teste so den Rhythmus der Sprache. Ich bin mir der Tradition des Geschichtenerzählens in Irland bewusst, mit dem Anspruch, Zuhörer:innen wie Leser:innen im Sessel zu halten.
Was reizte Sie daran, aus der Perspektive von Noel zu erzählen?
Alle unschuldigen Zeiten sind süßer und trauriger, wenn man sie aus eigener Erfahrung kennt. Als ich über Elektrizität schrieb, wollte ich das mit der Zeit verbinden, in der wir uns alle am meisten elektrisiert fühlen, nämlich wenn wir uns zum ersten Mal verlieben.
„Er hat seinen Glauben an Gott verloren.“
Was treibt Noel aus Dublin nach Faha? Welche Nöte machen ihm besonders zu schaffen?
Er hat seinen Glauben an Gott verloren. Er sucht Zuflucht im Haus seiner Großeltern und deren einfachem Leben. Seine Mutter ist gestorben, und er findet, dass die Welt keinen Sinn mehr hat.
Warum ist Faha genau der richtige Fluchtpunkt für Noel?
Es ist ein sicherer Ort, weit weg von den Zwängen der Welt.
Was macht Noels Großmutter Doady und seinen Großvater Ganga zu ganz besonderen Menschen?
Sie lieben ihn und sie haben die Weisheit des Landes. Sie haben Not und Armut erlebt und trotzdem einen Weg gefunden, zufrieden zu sein.
Von seinem Großvater Ganga bekommt Noel mit 10 Jahren eine Fiddle und die Ermutigung, sich im Musizieren zu versuchen. Welchen Stellenwert hat Musik ab da in seinem Leben?
Es ist ein Schlüssel, von dem er nicht weiß, dass er ihn bekommen hat. Später findet Noel auf der Suche nach dem legendären irischen Fiddler Junior Crehan eine neue Religion, die die verlorene ersetzen soll. Die Musik wird das sein, dem er sein Leben widmet.
„Die Musik wird das sein, dem er sein Leben widmet.“
Als beschlossen wird, dass Faha an das Stromnetz angeschlossen werden wird, herrscht helle Aufregung. Was ist für Sie das literarisch Interessante an dieser historischen Weichenstellung?
Es ist ein Schwellenmoment. Alles wird sich in dem Moment ändern, in dem das Dorf an das nationale Netz angeschlossen wird. Davor hatte Faha nichts „Nationales“ an sich. Und natürlich gibt es sowohl Widerstand als auch Zustimmung. Das ist für mich sehr interessant. Die Menschen sind zu unterschiedlich und widersprüchlich, um etwas zu akzeptieren, das allen aufgezwungen wird. Für das Geschichtenerzählen ist das also Gold wert.
Aus Faha wird der Forstmeister Dermot Mangan nach Finnland geschickt, um Baumstämme für die Strommasten zu organisieren. Was macht dieses Abenteuer legendär?
Er muss im Namen des irischen Staates verhandeln. Jeder einzelne Strommast in Irland stammte ursprünglich aus finnischen Wäldern. Es war also eine äußerst wichtige Verhandlung an einem Ort, der kälter war, als er es je erlebt hatte.
Was ist das Interessante an Christy McMahon, dem neuen Untermieter von Noels Großeltern?
Er ist ein Fremder. Er kommt, um an der Installation der Elektrizität zu arbeiten, aber auch, um die Frau zu finden, die er vor Jahrzehnten am Altar stehen ließ. Er ist ein Geschichtenerzähler und hat in der weiten Welt gelebt, also bringt er Lebens- und Liebeserfahrung mit – Dinge, die Noel fehlen, er reift durch dieses Zusammensein. Durch Christy erhält Noel einen Anstoß in Richtung Leben und Liebe.
„Polaritäten des Lebens, die Liebe und der Tod.“
Was sind die wichtigsten Erfahrungen für Noel im turbulenten Sommer 1958? Woran wächst er am meisten?
In diesem Sommer begegnet Noel den beiden Polaritäten des Lebens, der Liebe und dem Tod. An diesen Begegnungen wachsen wir.
Was steckt für Sie im Romantitel „Das ist Glück“ und was empfinden Sie selbst als Glück?
Es stammt aus einer Zeile von Christy, in der er Glück als die Fähigkeit beschreibt, in jedem beliebigen Moment zu sagen: „Das ist Glück“. Weil du sagen kannst: „Ich lebe“.
Dem stimme ich zu. Ich selbst bin glücklich, weil ich sagen kann: „Ich lebe“.
