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SOCIAL-MEDIA-STAR Tahsim Durgun (29) ist bekennender Oldenburger, Sohn aus der Türkei eingewanderter, kurdisch-yezidischer Eltern, Absolvent eines Lehramtsstudiums, Comedian und Host von „Tahsims Interview-Format“. Seine Videos auf TikTok und Instagram werden millionenfach geklickt und sogar im Bundestag zitiert. Während er lässig auf einer Erfolgswelle surft, hat er auch noch sein erstes Buch geschrieben: In „Mama, bitte lern Deutsch“ reflektiert er die Lebenswirklichkeit der postmigrantischen Gesellschaft – mit viel Humor.
Ihre Social-Media-Karriere begann als Lehramtsstudent. Was stand am Anfang? Tatsächlich ein Video zu Ihrer Hausarbeit über Kommasetzung?
Ja, das war der Auslöser! Ich habe ein Video über Kommasetzung gemacht – eigentlich nur aus Spaß. Dass es so durch die Decke geht, hätte ich nie gedacht.
Wie hat sich seither Ihr Themenspektrum entwickelt? Welche Schwerpunkte haben Sie heute?
Ich habe mich in Richtung Satire und gesellschaftskritische Inhalte entwickelt. Es geht viel um Migration, Politik und den Alltag mit einem Migrationshintergrund – aber immer mit Humor. Dennoch tauchen hier und da aber auch Inhalte auf, wo ich mich mit Banalitäten beschäftige, wie beispielsweise meinem Hass auf Krokodile.
„Menschen mit Migrationshintergrund eine Stimme zu geben, ist mir wichtig.“
Wie definieren Sie Ihre kreative Aufgabe als Creator?
Reichweite verpflichtet. Ich will unterhalten, aber auch Themen ansprechen, die sonst vielleicht untergehen. Gerade Menschen mit Migrationshintergrund eine Stimme zu geben, ist mir wichtig.
Was ist an Ihrem Rekordvideo auf TikTok charakteristisch für Ihr Verständnis oder Ihre Philosophie von Satire?
Satire lebt davon, Wahrheiten überspitzt darzustellen. Mein erfolgreichstes Video zeigt genau das: eine zugespitzte Realität, die viele Menschen mit ähnlichem Hintergrund fühlen und erleben.
„Mir ist wichtig, nie nach unten zu treten.“
Worüber kann man gar nicht genug Witze machen? Warum?
Über Macht und Autoritäten. Weil Satire die Möglichkeit gibt, Dinge infrage zu stellen und Missstände aufzuzeigen. Mir ist dabei wichtig, nie nach unten zu treten. Reiche, weiße, alte Leute oder betrunkene Jugendliche auf Sylt sind geeignete Beispiele.
Worüber können Sie beim besten Willen nicht lachen?
Über Diskriminierung, wenn sie nicht reflektiert oder kritisch betrachtet wird.
„Ich hatte lange das Gefühl, zwischen zwei Welten zu stehen.“
Was macht Herkunft zum großen Thema für Sie?
Herkunft prägt alles: Wie man aufwächst, welche Chancen man hat, wie man gesehen wird. Ich hatte lange das Gefühl, zwischen zwei Welten zu stehen – genau das verarbeite ich in meinen Inhalten.
Ihre Eltern sind als „kurdische Yeziden aus der Türkei“ vor rund 30 Jahren nach Deutschland eingewandert. Wie prägt diese Migrationsgeschichte die Familie Durgun?
Meine Eltern haben sehr viel gearbeitet, um uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig mussten sie viele Hürden überwinden. Diese Erfahrung hat unsere Familie stark gemacht.
Die Migrationsgeschichte Ihrer Eltern ergänzen Sie um einen Einschub über die Yeziden. Was ist für Sie der Kern?
Die Yeziden sind eine kleine, oft marginalisierte Gemeinschaft. Für mich ist es wichtig, ihre Geschichte sichtbarer zu machen, weil sie selten erzählt wird. Außerdem existieren bis heute so viele Unwahrheiten über Yeziden. Es gilt, diese zu eliminieren.
Wie manövriert sich Ihre Mutter durch den Alltag beziehungsweise wie kompensiert sie sprachliche Lücken?
Mit Kreativität! Außerdem ist sie ja nicht völlig ratlos. Diese Frau ist stärker als manch einer denken mag. Sie macht das super!
Ihre Mutter tauchte schon so oft in Ihren Clips auf, dass sie zur bekannten Größe wurde. Wie findet sie ihre Popularität?
Mama nimmt es mit Humor – beziehungsweise sie kann es nicht ganz greifen. Sie hat erst seit kurzem TikTok.
„Eine Mischung aus Memoir und Satire.“
Wie würden Sie „Mama, bitte lern Deutsch“ in einem Zwei-bis-Drei-Sätze-Exposé zusammenfassen?
Es ist eine Mischung aus Memoir und Satire über das Aufwachsen zwischen zwei Kulturen. Mit viel Humor erzähle ich von Sprachbarrieren, kulturellen Missverständnissen und Identitätssuche.
Kein Witz ist Ihr Satz: „Dieses Buch ist die AfD – aber eine echte.“ Wie ist dieses Bekenntnis gemeint und wie typisch ist es für Ihren Stil?
Das ist natürlich Ironie! Ich spiele mit Erwartungen und Kontrasten – und genau das macht mein Buch aus.
Warum haben Sie sich zum Sprung von der digitalen in die analoge Welt entschlossen? Was reizt Sie am klassischen Medium Buch?
Ein Buch gibt mir die Möglichkeit, tiefgehender zu erzählen. In meinen Videos geht es oft um schnelle, pointierte Inhalte – hier kann ich mir Zeit nehmen.
Was hat Ihnen beim Schreiben am meisten Mut abverlangt?
Persönliche Geschichten ehrlich zu erzählen. Gerade über Familie und Identität zu schreiben, ist nicht immer leicht. Außerdem habe ich während des Sommers am intensivsten schreiben müssen. Das war ätzend.
„Wertschätzung für unsere Geschichte.“
Welche Bedeutung hat Ihr enormer Erfolg für Sie und Ihre Familie?
Es bedeutet Wertschätzung für unsere Geschichte und zeigt, dass unsere Perspektiven in Deutschland einen Platz haben.
Welche Erfahrungen aus Ihrer Schulzeit erscheinen Ihnen typisch für Kinder aus Familien mit Migrationsgeschichte?
Sprachbarrieren, das Gefühl, sich beweisen zu müssen, aber auch die enge Verbindung zur Familie. Und nicht ernst genommen zu werden. Wodurch oftmals didaktisch unbegründete Entscheidungen getroffen werden.
Was war entscheidend dafür, dass Sie als Erster in Ihrer Familie das Abitur machen konnten?
Der Wille meiner Eltern, mir alle Chancen zu ermöglichen – und mein eigener Ehrgeiz.
„Ich wollte etwas zurückgeben.“
Was war der ausschlaggebende Ansporn für Ihr Lehramtsstudium?
Ich wollte etwas zurückgeben und zeigen, dass Bildung für alle zugänglich sein muss. Außerdem hätte ich selbst einen Lehrer gebrauchen können, der meiner Kultur nahekommt. Dies wollte ich für andere Kids sein.
Welche Weichenstellungen im Bildungssystem erscheinen Ihnen am wichtigsten, um Kindern aus migrantisch geprägten Familien die Eingliederung und Zugehörigkeit zu erleichtern?
Mehr Diversität im Lehrpersonal, Sprachförderung ohne Stigmatisierung und ein Schulsystem, das Herkunft nicht als Hindernis sieht.
Welche Pläne haben Sie für die Vorstellung Ihres Buches und welche Gelegenheiten wird es geben, Sie live zu erleben?
Ich plane eine Lesereise mit verschiedenen Events – mit viel Humor und natürlich einem Hauch Satire.
„Ich liebe es, mit Menschen direkt zu interagieren.“
Haben Sie schon Lampenfieber vor dem Wechsel von Ihrem Video-Set-Up auf die Bühne zu den Präsentationen Ihres Buchdebüts?
Ein bisschen. Aber ich liebe es, mit Menschen direkt zu interagieren – das gibt noch mal eine ganz andere Energie. Für immer kurze Videos zu drehen, ist ja auch nicht das Wahre.