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Über die Sehnsucht in uns und den Griff nach den Sternen schreibt Takis Würger überwältigend wie kaum ein anderer. Vielleicht, weil der vielfach preisgekrönte Journalist und Bestsellerautor selbst darauf vertraut, dass scheinbar Unmögliches wahr werden kann. So wie einst in seinem autobiografisch grundierten Erfolgsdebüt „Der Club“ und nun in seinem von Klavierklängen durchfluteten Meisterwerk „Für Polina“.
„Schriftsteller zu sein ist eine Einladung zu träumen“, haben Sie gesagt. Welche Träume haben Sie zu Ihrem neuen Roman inspiriert?
Der Traum, dass wir viel erreichen können, wenn wir mutig sind und zusammenhalten, um es in den Worten des Romanhelden Hannes Prager zu sagen. Ich wollte eine Geschichte über einen Menschen erzählen, der das Unmögliche zu schaffen versucht und dabei sein Glück findet.
Im Mittelpunkt von „Für Polina“ steht Hannes Prager. Worin erkennt seine Mutter ein besonderes Kind in ihm und was ist das Schicksalhafte daran?
Hannes Prager ist ein musikalisches Genie. Er nimmt die Welt vor allem über seine Ohren wahr. Als er noch ein Kind ist, fängt er, ohne zuerst einen Lehrer zu haben, auf einmal mit dem Klavierspielen an. In dem Moment, als seine Mutter ihn hört, weiß Fritzi, dass ihr Sohn sonderbar begabt ist. Besonders ist er für sie allerdings nicht durch seine Begabung, das ist Fritzi nicht so wichtig. Sie liebt ihn einfach so.
„Ich hatte das Glück, mit einer wilden, unangepassten Mutter aufzuwachsen …“
Was verkörpert Hannes´ sehr junge Mutter Fritzi für Sie? Was ist das Faszinierende an ihr?
Ich hatte das Glück, mit einer wilden, unangepassten Mutter aufzuwachsen, die mir immer das Gefühl gegeben hat: Egal wie seltsam andere Menschen mich finden mögen, in ihren Augen, den Augen meiner Mutter, bin ich in Ordnung. Heute, als Erwachsener, fasziniert mich diese Stärke, die ich als Kind so gar nicht erkannt habe, weil ich sie normal fand. Viel von dieser Stärke steckt auch in der Romanfigur Fritzi.
Warum machen Sie Polina zur Titelheldin und nicht die Hauptfigur Hannes? Wer ist dieses Mädchen?
Polina ist der Säugling, neben dem Hannes im Kindbett seine ersten Atemzüge macht. Sie ist das Kleinkind, mit dem er zum ersten Mal Ghost Chilis probiert. Sie ist seine erste und einzige Freundin. Sie ist die Jugendliche, für die er seine erste Melodie schreibt. Sie ist die junge Frau, in die er sich verliebt. Die er anlügt und verliert und dann um jeden Preis wiederfinden will. Alles in diesem Buch ist für sie. Deshalb heißt es: „Für Polina“.
„Faszination dafür, wie verschieden sie sind.“
Hannes und Polina wachsen fast von Geburt an zusammen auf. Was verbindet die beiden, die kaum unähnlicher sein könnten?
Ich glaube, Hannes und Polina verbindet vor allem die Faszination dafür, wie verschieden sie sind. Sie finden nicht in ihrer Gleichheit zu einander, sondern im Unterschied.
Wie einst Sie selbst, werden Hannes und Polina in der Region Hannover groß. Welche eigenen Kindheitserinnerungen haben Sie beim Schreiben am stärksten bewegt und inspiriert?
Ich hatte das Glück, viel Ruhe und Langsamkeit zu erleben in meiner Kindheit auf dem Dorf. Ich erinnere mich an das Gefühl, nackt barfuß im Gras zu laufen. Einmal im Sommer bin ich barfuß zur Schule gegangen. Ich erinnere mich daran, rohen Rhabarber mit braunem Zucker zu essen und am Lagerfeuer zu sitzen und darin Marshmallows zu verbrennen. Es war ein Glück, so märchenhaft aufwachsen zu dürfen. Viele von diesen Erinnerungen sind in den Roman geflossen.
Wodurch wird die Villa im Bissendorfer Moor für Hannes zum Inbegriff von Zuhause?
Dort fühlt er sich sicher. Es gibt kaum Regeln, keine Nachbarn, viel Liebe, Unmengen an Pasta mit Chili und Knoblauch und, das vor allem, ein Klavier.
„… er ist nur anfangs knurrig …“
Auf den ersten Blick wirkt Heinrich Hildebrandt, der Hausherr der Villa im Moor, wie ein Kauz. Was steckt wirklich in ihm?
Er ist auch auf den zweiten Blick ein Kauz. Aber er ist nur anfangs knurrig und ein wenig bissig und eigentlich ein lieber Kerl, der einsam ist und aufblüht, als er in Fritzi und Hannes eine Familie findet.
Welches Lebensgefühl oder welche Wünsche verbinden Fritzi und Heinrich mit ihrer gemeinsamen Italiensehnsucht? Ist dabei schon im Träumen Erfüllung?
Wir sind alle bessere Menschen, wenn wir in Italien sind, hat mein Verleger einmal gesagt und ich glaube, er hat recht. Wir sind dort ein wenig leichter, oder? Das Essen schmeckt, die Sonne scheint, wir trinken Negroni und an den Bäumen wachsen Zitronen. Ist das immer so? Natürlich nicht. Aber Fritzi und Hannes denken, es könnte immer so sein auch dann, als sie in einem kalten Moor in der niedersächsischen Tiefebene sitzen und der Nordwind an den Haustür rüttelt. Der Traum vom Süden hält sie warm.
So unterschiedlich wie Ihre vielen Romanfiguren sind auch deren Träume und Hoffnungen. Ist Ihr Roman eine große Sinfonie der Sehnsüchte?
Sehnsucht ist ein Thema, das mich als Autor beschäftigt und diese Sehnsüchte treiben die Figuren in „Für Polina“, ja.
„Wenn er Gefühle in Musik übersetzt, wird alles greifbarer.“
Mit 14 komponiert Hannes eine Melodie für Polina. Was ist an dieser musikalischen Liebeserklärung charakteristisch für Hannes?
Hannes hat manchmal Probleme, Menschen zu verstehen und seine eigenen Gefühle ihnen gegenüber zu ordnen. Wenn er diese Gefühle in Musik übersetzt, wird alles greifbarer für ihn. Erst, als er Polinas Melodie am Klavier zum Klingen bringt, wird ihm klar, dass er sich in sie verliebt hat.
Haben Sie wie Hannes schon mal Klaviere geschleppt? Wie genau müssen Sie etwas recherchieren oder ausprobieren, um so anschaulich darüber schreiben zu können?
Wir hatten früher bei uns in der Diele ein zentnerschweres Klavier, das mir als nahezu unbeweglich in Erinnerung geblieben ist. Wie zwei Menschen es schaffen, nur mit Muskelkraft einen Konzertflügel durch die Gegend zu tragen, ist mir ein Rätsel geblieben. Aber ich habe sehr viel mit Klavierbauern und Klavierträgern über die Geheimnisse ihrer Arbeit gesprochen und versucht zu verstehen, wie sie das schaffen.
„Ich wünsche jedem von uns einen Freund wie Bosch.“
Hannes hat einen Knochenjob bei einer Firma für Klaviertransporte. Dort sind er und sein Kollege Bosch ein Dreamteam. Was verbindet die beiden?
Bosch ist eine meiner Lieblingsfiguren aus dem Roman, weil er so schön mutig ist. Er sagt eigentlich immer, was er denkt, hat nur Frauen und türkisches Essen im Kopf und liebt Hannes von Anfang an. Die beiden sind loyal zu einander, hören sich zu, teilen sich die Last der Klaviere und auch ein wenig die Last des Lebens. Ich wünsche jedem von uns einen Freund wie Bosch.
Was ist an Jonathan Wassermann und seinem Érard-Flügel so besonders, dass Hannes nach langer Zeit spontan zu spielen beginnt?
Dieser Flügel ist ein sehr altes Instrument, perfekt gestimmt, aber leiser und zarter als ein moderner Konzertflügel von Fazioli oder Steinway. Dieser alte Érard ist nicht makellos, man muss ihn vorsichtig spielen, er hat Charakter und wirkt auf Hannes genau dadurch reizvoll und kostbar.
In Ihrem Roman sind Schönes und Schmerzvolles nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt. Was hat Sie beim Schreiben am traurigsten und was am glücklichsten gestimmt?
Meine liebste Figur aus diesem Roman schafft es nicht bis zum Ende. Ich wusste, das muss sein, aber es hat mich erschüttert. Der emotionale Höhepunkt, den ich hier jetzt nicht vorwegnehmen kann, hat mich wiederum so aufgewühlt, dass ich beim Schreiben nicht sitzen bleiben konnte, und mich dadurch auch sehr glücklich gemacht.