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Teatime zur Feier von Jane Austen! Zwei literarische Meisterinnen verraten uns exklusiv, was die große Schriftstellerin für uns heute so aktuell macht: Gill Hornby, Autorin des Bestsellers „Miss Austen“, eines BBC-Filmerfolgs, und Ursula Gräfe, berühmt als Übersetzerin und nun Herausgeberin von Jane Austens Briefen sowie des Weltklassikers „Stolz und Vorurteil“, den sie komplett neu bearbeitet hat.
Wann und wie haben Sie Ihr Herz an Jane Austen verloren?
GH: Ich war 16 Jahre alt und hatte das Glück, eine wunderbare Lehrerin zu haben, die eine große Jane-Austen-Liebhaberin war. Auf dem Lehrplan stand nur ein Roman – „Mansfield Park“ –, aber sie brachte mich dazu, alle zu lesen.
UG: Schon als Teenagerin, als ich mir ihre Werke noch im Bücherbus auslieh. Jane Austen hat maßgeblich zu meiner Entscheidung für ein Anglistikstudium beigetragen. Wie es in „Stolz und Vorurteil“ heißt, „gibt es kein größeres Vergnügen, als zu lesen“.
Wo zeigt sich für Sie Janes Talent für Ironie und Satire am schönsten?
UG: Ironie und Situationskomik sind kennzeichnend für alle Romane Jane Austens. Ihr Ziel ist es, die menschlichen Schwächen ihrer Charaktere – wie Eitelkeit, Schmeichelei und Standesdünkel – ohne Überheblichkeit aufzuzeigen. Auch sind Jane Austens Briefe an ihre Schwester Cassandra amüsant und voller Sarkasmus. So berichtet sie beispielsweise von grausamen zehn Minuten, die sie allein mit einem gewissen Mr. Holder verbringen musste und während derer sie unentwegt die Türklinke umklammert hielt. Oder sie erzählt von beschwipsten, einander jagenden Paaren auf albernen Gesellschaften. Der oft zitierte erste Satz aus „Stolz und Vorurteil” ist einer der ironischsten der Weltliteratur: „Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle, der ein schönes Vermögen besitzt, zu seinem Glück nur noch einer Frau bedarf.”
GH: Wahrscheinlich in ihrer Auseinandersetzung mit sozialen Klassen – zum Beispiel Lady Catherine de Burg in „Stolz und Vorurteil“ – und ihrem scharfen Blick für die vielen sexuellen Ungleichheiten ihrer Zeit.
„Emma gilt vielen als modernste Heldin.“
Wer ist die modernste Heldin bei Jane Austen?
GH: Sie sind alle auf ihre Weise modern, daher auch der anhaltende Erfolg der Romane. Aber aus der Galerie würde ich wohl Emma wählen. Im Gegensatz zu den anderen, die alle einer ungewissen Zukunft entgegenblicken, ist sie finanziell unabhängig und hat einen hohen sozialen Status. Sie ist die einzige Heldin, die nicht heiraten muss, um zu überleben.
UG: Emma Woodhouse gilt vielen als Jane Austens modernste Heldin – sie wächst über sich hinaus, indem sie sich ihre Fehler eingesteht und lernt, nicht mehr in das Leben anderer eingreifen zu wollen. Besonders modern sind ihre Heldinnen natürlich in neueren Verfilmungen umgesetzt. Charlotte Heywood, die Heldin aus Jane Austens letztem und unvollendetem Roman „Sanditon“, ist zum Beispiel sehr selbstbestimmt. In der TV-Serie von 2020 gibt sie eine wahrhaft moderne Heldin, die entschieden gegen Herkunftsdünkel, Sexismus und Rassismus eintritt. Jane Austen wäre überrascht gewesen. Und natürlich darf Bridget Jones nicht fehlen – die perfekte Nachfolgerin von Austens starken Frauen, nur mit mehr Wein und Kaffeeflecken!
Wie kann uns der Lebensstil von Jane Austen empowern?
UG: Jane Austens Zeitgenossinnen lasen ihre Romane, ohne die Identität der Autorin zu kennen. Ihre Bücher erschienen lediglich mit dem Hinweis „By a Lady“. Empowerment besteht meiner Ansicht nach in der Erkenntnis dessen, was wir gewonnen haben: das Recht auf Ausbildung und Erbschaft, die Möglichkeit, unabhängig zu leben. All dies war Jane Austen nicht gestattet und dennoch ist sie eine der berühmtesten Schriftstellerinnen der Welt.
GH: Sie ist ein wunderbares Vorbild für uns alle. Eine ernsthafte berufstätige Frau, die an ihr eigenes Genie glaubte und den Unsinn von Ruhm und Publicity verabscheute. Sie arbeitete still zu Hause, bescheiden und anonym, und veränderte die Form des Romans für immer.
„Jane ist eine großartige Feministin.“
Welches feministische Potenzial hat Jane Austen?
GH: Ich würde sagen, sie ist eine großartige Feministin. Sie ist sich der Ungerechtigkeiten der Ungleichheit sehr bewusst und weist in all ihren Romanen darauf hin. Und obwohl sie sich über ihre weiblichen Figuren lustig macht, ist sie immer auf ihrer Seite.
Welcher ihrer Romane ist ihr feministisches Meisterstück?
UG: Vielleicht „Emma“? Auch wenn Emma als Hauptfigur mehr Chaos als Charme verbreitet, tritt sie entschlossen gegen Dünkel und Zurücksetzung ein und verliert bei all ihren Fehleinschätzungen nie ihr Selbstbewusstsein und ihre Fähigkeit zur Einsicht.
In welcher Community würde man Jane Austen heutzutage finden?
UG: Vielleicht in Literatur- und Buchliebhaber-Communities? Oder einer Social-Media-Gruppe und auf Instagram, wo sie Zitate, Gedanken und kreative Inhalte teilen würde?
Jane Austen schrieb nicht nur den Briefroman „Lady Susan“, sondern auch um die 3.000 Briefe. Welchen Content würde man von ihr digital sehen?
UG: Wahrscheinlich würde sie massenhaft E-Mails schreiben, einen Blog über gesellschaftliche Trends oder literarische Bestseller verfassen, ähnlich der scharfzüngigen Kolumnistin Lady Whistledown aus „Bridgerton“. Oder vielleicht einen Newsletter für ihre Familie und Freunde schreiben. Oder sie hätte einen Instagram-Account? Die digitale Welt würde ihr größere Freiheit bieten, so etwas wie eine erweiterte Bühne für ihre scharfsinnigen Beobachtungen. Doch bestimmt würde sie einen eleganten Ball in Highbury dem Online-Dating vorziehen. Oder mit ihrem scharfen Verstand die Profile ihrer Verehrer durchleuchten?
„Jane war niemals eine literarische Snobistin.“
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Wäre Jane Austen auch selbst ein Teil der BookTok-Community?
GH: Sie war eine leidenschaftliche Leserin und niemals eine literarische Snobistin. Sie hätte es wahrscheinlich geliebt!
UG: Jane Austen als BookTok-Queen? Gut vorstellbar, wie sie durch Videos scrollt, gespannt die neusten Book-Reviews verschlingt. Oder Videos über Elizabeth Bennet, Anne Elliot, Charlotte Heywood, Captain Wentworth und Mr. Darcy erstellt. Wer weiß?
Hatten Sie schon Gelegenheit, einen Original-Brief in Jane Austens Handschrift zu sehen?
UG: Bisher nur im Internet. Ich weiß, dass sie sehr flüssig, ohne Absätze schrieb und häufig anstelle von Punkten Gedankenstriche verwendete, sehr lebendig und ungezwungen. Eine Bibliothekarin aus Oxford vergleicht ihre schwungvolle Art zu schreiben mit heutigen E-Mails.
GH: Ja, einige davon sind im Museum in ihrem Heimatdorf Chawton ausgestellt. Papier war damals teuer und sie hatte nie viel Geld, daher sind sie so dicht beschrieben – und oft auch überkreuz –, dass sie sehr schwer zu lesen sind.
Was ist für Sie selbst der schönste Anlass, einen handschriftlichen Brief zu verfassen?
GH: Ich liebe es, Briefe per Post zu erhalten, und es ist eine der Traurigkeiten unserer Zeit, dass die Menschen heute so wenig schreiben. Wer wird jemals eine E-Mail oder eine WhatsApp-Nachricht aufbewahren? Meiner Meinung nach sollte man sich immer per Hand bedanken – sehr altmodisch –, aber natürlich ist der Liebesbrief die beste Art von allem.
UG: Eine Einladung, ein besonderer Dankesbrief oder Glückwünsche, um jemandem meine Wertschätzung zu zeigen. Ein handgeschriebener Brief bietet zudem die Möglichkeit, kreativ zu sein, farbige Tinte zu benutzen, Zeichnungen einzufügen oder Aufkleber zu verwenden.
„Jane … erlitt zahlreiche Rückschläge in ihrer Karriere.“
Wie hilft uns Jane Austen, unbeirrt von den Erwartungen anderer unseren Platz in der Welt zu finden und uns selbst treu zu bleiben?
GH: Sie musste sich allen möglichen Hindernissen stellen – keine Kontakte, kein Status, kein Geld – und erlitt zahlreiche Rückschläge in ihrer Karriere. „Stolz und Vorurteil“ wurde per Post zurückgeschickt! Und als ihr Werk schließlich veröffentlicht wurde, war sie keineswegs die erfolgreichste Schriftstellerin. Und doch gab sie nicht auf. Es ist herzzerreißend, dass sie nie erfahren sollte, wie groß ihr literarischer Erfolg werden würde.
UG: In ihren Romanen spielen Ehrlichkeit, Integrität und Selbstachtung eine herausragende Rolle. Emma oder Elizabeth entscheiden sich stets nach ihrer eigenen Überzeugung, auch wenn diese den Erwartungen ihrer Umwelt widerspricht. Das ermutigt, innere Werte zu achten und ihnen zu folgen. Jane Austen vermittelt die Botschaft, dass Glück und Zufriedenheit nicht von Wohlstand, Status oder anderen Äußerlichkeiten abhängen, sondern von Integrität und individueller Selbstachtung.
Jane hat – genau wie ihre Schwester – nie geheiratet. War sie dennoch oder gerade deshalb glücklich?
UG: Glück ist eine sehr subjektive Empfindung. Jane Austen hat ihr Leben gewiss als erfüllend empfunden. Ich vermute, die Freiheit von den vielen häuslichen Aufgaben einer Ehefrau ermöglichte es ihr erst, so viel zu schreiben und ihr Leben als Schriftstellerin zu führen. Diese persönliche Freiheit muss ihr wichtiger gewesen sein als alles andere.
GH: Ich würde sagen, das hat sie geprägt. Sie war nicht besonders hübsch, nicht besonders reich und sozial ziemlich unbeholfen. Hätte sie geheiratet, dann höchstwahrscheinlich einen armen Geistlichen. In diesem Fall hätte sie niemals Romane geschrieben. Die Gesellschaft ihrer Schwester und deren enorme Unterstützung waren es, was sie am Leben hielt und anspornte.
„,Stolz und Vorurteil‘ hält uns heute noch den Spiegel vor.“
Was macht „Stolz und Vorurteil“ zu einer der größten Liebesgeschichten der Weltliteratur?
GH: Es ist lustig, es ist clever, es ist unglaublich romantisch … Das perfekte Gesamtpaket.
UG: Seine Zeitlosigkeit. Die Beweggründe der Charaktere sind auch heute noch nachvollziehbar. Elizabeth und Darcy wachsen an ihren Missverständnissen, überwinden persönlichen Stolz und gesellschaftliche Vorurteile. Der Roman hält uns noch heute den Spiegel vor.
„Stolz und Vorurteil” ist nicht zuletzt „Enemies-to-Lovers“ vom Feinsten. Was verleiht diesem Roman den Twist?
UG: Der stolze und unnahbare Mr. Darcy. Wir sind neugierig auf seine wahren Gefühle, so undurchschaubar, wie er zu Anfang ist. Werden er und Elizabeth zusammenkommen oder sich weiter selbst im Weg stehen? Diese Dynamik zwischen Held und Heldin macht ihre Geschichte faszinierend und zeitlos.
GH: Jedes Mädchen würde Darcy wollen, aber Lizzie lehnt ihn aufgrund seiner offensichtlichen Charakterfehler ab. Er könnte einfach weitermachen – jemanden finden, der ihn verehrt und dankbar ist –, doch er kann es nicht. Stattdessen verändert er sich. Sie verändert ihn. Obwohl er Reichtum und Status hat, verfügt sie – seine Untergebene – über die gesamte moralische Macht.
Was macht Jane Austen unwiderstehlich für New-Adult-Fans?
GH: Ihre Weisheit und ihr Wissen über die Tiefen des menschlichen Herzens. Sie ist eine Expertin für Liebe in all ihren vielfältigen Formen – nicht nur romantische Liebe, sondern auch Liebe in der Familie und Freundschaft. Außerdem macht sie Witze. Das tun nicht viele andere klassische Romanautoren.
UG: Eigentlich sind Jane Austens Romane die ideale Lektüre für literarisch interessierte, anspruchsvolle New-Adult-Leserinnen. Denn sie sind zwar romantisch, aber ihr Stil ist ausgefeilt, die Charaktere sind komplex und verfügen stets über Selbstironie. Außerdem stehen heutige junge Frauen vor ganz ähnlichen Herausforderungen. Sie müssen sich mit widersprüchlichen gesellschaftlichen Erwartungen auseinandersetzen – etwa dem Druck, bestimmte Rollen zu erfüllen, während sie gleichzeitig ihre eigene Identität und Unabhängigkeit bewahren wollen. Womöglich steckt auch ein wenig die Sehnsucht nach einem früheren eindeutigeren Männerbild dahinter?
Bei welchen Tropes würde Jane Austen am meisten glänzen?
UG: Die Suche nach sozialem Aufstieg im Widerspruch zu persönlicher Integrität wäre ein Thema, mit dem Jane Austen ihre Meisterschaft perfekt unter Beweis stellen würde. Der arrogante, aber eigentlich integre Vorgesetzte, zum Beispiel, könnte ein Thema sein. Friends-to-Lovers und Found-Family wären auf jeden Fall ihre Spezialität, ebenso wie Second Chance. Glänzen würde sie in allen Zusammenhängen, in denen es um komplexe zwischenmenschliche Gefühle geht.
GH: Ich würde weiterhin bei der Romantikkomödie bleiben. Das funktioniert für sie. Schließlich hat sie dieses Genre erfunden!
Welches Romanende bei Jane Austen macht Sie am glücklichsten?
GH: Oh, immer „Überredung“. Eine zweite Chance für beide, als alle Hoffnung verloren schien. Was gibt es Schöneres als das?
UG: „Sie gingen weiter, ohne zu wissen, wohin. Sie hatten zu viel zu fühlen, zu denken und zu sagen, um auf andere Dinge zu achten.“ („Stolz und Vorurteil“)
