„Wenn ein Toter mit dir spricht, solltest du zuhören.“ Und genau das tat Zoran Drvenkar, als ihn des Nachts die Großeltern seiner Protagonistin aufsuchten. In anderen Träumen kommen hoffentlich positiver gestimmte Figuren vor, denn Zoran Drvenkar ist auch für seine Kinder- und Jugendbücher bekannt. Für die „Kurzhosengang“ erhielt er 2005 den Deutschen Jugendliteraturpreis. Und weil er so gut und so gerne die Genres wechselt, folgte dann 2010 für den Thriller „Sorry“ die Auszeichnung mit dem Friedrich-Glauser-Preis.

„ASA“ hat eine unglaubliche Wucht und geht unter die Haut. Was hat Sie so umgetrieben, dass Sie Ihren neuen Thriller einfach schreiben mussten?
Es begann mit der ersten Szene, die bei mir alle Fenster und Türen im Kopf geöffnet hat: eine Frau unter dem Eis, die sich weigert aufzutauchen, weil sie weiß, wer sie über dem Eis erwartet. Jedes neue Buch startet mit einer Szene, die mich fasziniert und herausfordert. Als ich „ASA“ schrieb, beschäftigte mich die moralische Frage: Wie weit können und dürfen wir gehen, um uns und die, die wir lieben, zu schützen?

Seit wann arbeitet diese Thrilleridee in Ihrem Kopf?
Die Anfangsszene schrieb ich vor sechs Jahren und legte sie beiseite. Asa hatte keinen Namen und war nur eine Idee. Vor drei Jahren begann mich dann diese erste Szene zu verfolgen. Ich wollte mehr über diese Frau wissen, die als Teenagerin freiwillig unter das Eis gegangen ist. Ich gab ihr einen Namen und schrieb das zweite Kapitel – von da an war der Roman nicht mehr aufzuhalten.

Asas Familie lebt nach einer eigenen Definition der „Gemeinschaft“. Was ist deren Bedeutung?
Schon seit Jahren ist unsere Welt in einem unberechenbaren Taumel. Wir werden jeden Tag aufs Neue belogen und betrogen, das Misstrauen ist überall, es fühlt sich an, als ob jeder jeden über den Tisch ziehen kann und es gibt kaum Folgen. Aus diesem Hintergrund heraus fragte ich mich, wie wohl eine Gemeinschaft entstehen könnte, die dem entgegenwirkt, indem sie sich auf ihre eigenen Stärken verlässt und sagt: Nicht mit uns.

„… geh zu den Wurzeln, da beginnt alles.“

Die Geschichte um Asa und ihre Familie umspannt gut 100 Jahre. Wie haben Sie den Zeitrahmen abgesteckt?
Er hat sich selber abgesteckt. Mit jeder Seite manifestierte sich Asas Familie deutlicher vor meinen Augen. Wie sie dachten, wonach sie hungerten, was sie verabscheuten. Ihre Großeltern waren dabei die Schlüsselfiguren. Eines Nachts standen sie an meinem Bettrand und flüsterten mir zu: „Wenn du uns verstehen willst, geh zu den Wurzeln, da beginnt alles.“ So war es auch. Ich entdeckte sehr mutige, aber auch sehr marode Wurzeln, die nur darauf warten, dass sie jemand ausgrub.

Wie würden Sie Ihre Titelheldin Asa charakterisieren? Was verkörpert sie für Sie?
Asa ist eine verletzte Frau, die mit einer unfassbaren Entschlusskraft und Disziplin auf ihr Ziel zugeht. Das Schicksal war nicht gut zu ihr und da sie nicht daran denkt, sich irgendjemandem zu beugen, erschafft sie sich ihr eigenes Schicksal, das sie sorgfältig über sechs Jahre plant. Sie ist mein bisher konsequentester Charakter. Sie ist Gerechtigkeit in Reinform, sie ist Entschlossenheit und Wut. Jemand, der die Welt geraderücken will.

Wie entstehen Ihre Charaktere?
Ich plane oder entwerfe sie nicht, sondern lasse sie auf mich zukommen und behandele sie dabei wie reale Personen, die einen Willen und ein Wesen haben. Oft schälen sie sich direkt aus der Geschichte hervor und nehmen ihre Positionen ein, als wüssten sie, was sie erwartet. Oder sie tauchen an meinem Bettrand auf.

„Asas Geschichte schlug einen unerwarteten Kurs ein.“

Was macht Asa für Sie besonders?
Asa war eine besondere Überraschung, weil sie lange Zeit vor mir verbarg, was sie eigentlich wirklich wollte. Ich dachte Rache, es ist aber mehr als Rache. Ich dachte, sie wäre eine klare und bewusste Heldin, doch dann kam sie ins Stolpern und ihre Geschichte schlug einen unerwarteten Kurs ein. Was ihr alles widerfahren ist, hat mir beim Schreiben regelrecht Schmerz zugefügt. Aber so ist das Schreiben: Du darfst dich nicht abwenden, du musst deinen Charakteren treu bleiben, selbst wenn sie bluten und in die Enge getrieben sind.

Der Thriller entwickelt sich an unterschiedlichen Schauplätzen. Wie haben Sie die Orte gewählt?
Ich picke gerne Orte heraus, die eine Bedeutung für mich haben, an denen etwas in mir passiert ist, an die ich gerne zurückkehre. Manchmal ist es nur eine Begegnung, manchmal ist es die Faszination mit dem Maroden oder der Wunsch, spurlos im Nichts zu verschwinden. Ob jetzt die Gassen von Istanbul, der unzugängliche Palazzo am Canal Grande oder der Monolith im Frognerpark, den ich im Buch nicht einmal erwähne, wo ich aber weiß, dass meine Charaktere daran vorbeigelaufen sind. All diese Orte bleiben spürbar hängen, sie flammen spürbar in den Geschichten wieder auf.

„ASA“ ist zweifellos ein Thriller, aber vielleicht auch eine Familiensaga?
Es ist ein Thriller, eine Familiensaga und eine Rachegeschichte, es ist ein Buch über die uns verbindende Hoffnung, etwas Gemeinsames zu erschaffen, über ewige Liebe und reinen zerstörenden Hass. Es ist diese Mischung, die mich gereizt hat. Nicht wirklich greifbar und voll Überraschungen.