Menschliche Medizin ist das Markenzeichen von Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, Erfinder der Mikrotherapie, Arzt und Bestsellerautor. Seine Mission: Gesundheitswissen anschaulich und alltagstauglich vermitteln – als ermutigende Anleitungen für einen Lebensstil, der uns guttut. Dank dieser Begabung hat er es sogar ins „Guinness-Buch der Rekorde“ geschafft. Sein ganzheitlicher Ansatz umfasst neben Körper, Geist und Seele auch das eigene Wirken: Fachkompetenz, Forschergeist und Fantasie im Einklang. Ein Musterbeispiel dafür ist sein Weltmedizin-Gemeinschaftswerk mit Ayurveda-Meisterkoch Volker Mehl.

Wie würden Sie Ihre Mission als Mediziner auf den Punkt bringen?
Individuell und ganzheitlich auf Augenhöhe mit dem einzelnen Patienten! Das sind die wesentlichen Prinzipien meiner Art zu behandeln. Jeder Mensch hat einen Anspruch darauf, dass wir alles anwenden, was hilft, Krankheiten zu verhindern sowie individuelles und allgemeines körperliches oder seelisches Leid zu überwinden, zu lindern und gesünder zu leben. Das gilt für die hochentwickelte Schulmedizin genauso wie für die bewährten Therapieverfahren der Naturheilkunde und Psychologie.

Sie sind nicht nur als Arzt in der Praxis bzw. Klinik aktiv, sondern schon sehr lange und erfolgreich auch als Autor. Was ist Ihr Hauptantrieb, Bücher für Groß und Klein zu schreiben?
„So wenig wie möglich, so viel wie nötig“, ist meine therapeutische und präventive Devise. Hierzu schwierige Sachzusammenhänge verständlich zu erklären und mitzuhelfen, die Zukunft der Medizin menschenwürdig zu gestalten, ist mein Antrieb. Dies auf der Basis eines wissenschaftlichen Weltbildes, welches eine Synthese aus Geistes- und Naturwissenschaften sowie auch der Kunst zur Grundlage hat. Ständig aufs Neue ist zu prüfen, ob die modernen Forschungsinhalte und Entwicklungen ethisch, politisch, sozial- und umweltverträglich sowie auch menschenverträglich sind. So mein generelles Anliegen.

In unserer Wissensgesellschaft vermissen Sie manchmal die Dorfweisen von einst. Was ist uns abhandengekommen?
Das Wissen von gestern ist das Know-how von morgen! Medizin ist ein Kulturgut, das so alt ist wie Essen und Trinken. Überall auf der Welt! Sie erst hat ermöglicht, dass die Menschheit und die Kulturen bis heute existieren. Die Medizin der Vergangenheit in allen Regionen der Welt hat uns Wesentliches mitgegeben und hält noch vieles für die Zukunft bereit: von heilsamer Nahrung und Heilkräutern über lokale Therapieverfahren bis zu individueller und sozialer wohlbefindlicher Lebensführung.

In Ihrem neuen Buch scheinen Sie – unter anderem – die Rolle des Weisen in unserem globalen Dorf zu übernehmen. Worauf kommt es Ihnen dabei an?
Wissen vom Leben! Es geht darum, verlorene Sensibilität für die eigenen Lebensprozesse und Heilkraft wiederzugewinnen, um „jung alt zu werden“. Ebenso sich Wissen über die Prinzipien des Lebens im Allgemeinen anzueignen. Wissen über Ernährung, Bewegung, Biorhythmen und spezielle Behandlungsansätze, körperlich wie psychisch, auch über Partnerschaft, Landwirtschaft, Ökologie oder Gesundheit der Erde.

Sie haben den Begriff „Weltmedizin“ geprägt. Was verstehen Sie darunter?
Erfahrung und Fortschritt, Schulmedizin und Naturheilkunde gemeinsam für die Weltgesundheit: Diese Zusammensicht wurde bisher sträflich verspielt. Jede Disziplin nahm und nimmt für sich Allgemeingültigkeit in Anspruch, auch innerhalb der medizinischen Schulen. Für mich sind Naturmedizin UND Schulmedizin eins. Dafür habe ich den Begriff „Weltmedizin“ geprägt. Das Kunstwerk Leben, das wir der Schöpfung verdanken, verlangt den undogmatischen Einsatz aller, um die Zeiten weiterhin unbeschadet zu überdauern. Es verlangt nach Wissen und Liebe zum Leben und der Bereitschaft, füreinander – besonders auch medizinisch – da zu sein, nicht erst in der Not, sondern schon fürsorglich vorausschauend, wenn sich vieles, das uns drohen könnte, noch abwenden lässt.

„Für ein erfülltes und langes gesundes Leben“

Was macht für Sie Ayurveda zu einem besonderen Schatz der Weltmedizin, den es zu heben gilt?
Wohlbefinden, Ernährung und Bewegung! Keine andere Medizintheorie der Welt verfügt über so viel ganzheitliches Wissen für ein erfülltes und langes gesundes Leben, das diesen Dreiklang der Gesunderhaltung und Heilung so tiefgründig berücksichtig. Eine Erfahrungsheilkunde, die sich durch Milliarden Anwendungen seit 5.000 Jahren bewährt hat. Selbst die tagtägliche indische Küche berücksichtigt unbewusst die grundsätzlichen Prinzipien des heilsamen Kochens.

Was ist für Sie die Quintessenz von Ayurveda?
Ayurveda bedeutet „Wissen vom Leben“. Es basiert auf einer systematischen Körper-Geist-Lehre und ist vor allem auf ein langes gesundes und erfülltes Leben ausgerichtet. Wesentlich dabei ist die Magen-Darmgesundheit, um das körperliche und mentale Immunsystem zu stärken. Dies wird durch die moderne Wissenschaft vom Mikrobiom gerade bestätigt.

Was umfasst Ayurveda?
Das Ayurveda-System besteht aus gesunder und bewusster Ernährung, Kochen und Behandlungen mit Heilpflanzen, Massage- und Fastentechniken sowie Prinzipien zur individuellen und sozialen Lebensführung. Meditation, Yoga, Sport und Achtsamkeit sich selbst sowie der Um- und Mitwelt gegenüber sind wesentliche Bestandteile.

Für wen eignet sich Ayurveda Ihrer Erfahrung nach?
Ayurveda ist keine neue Wellnessmode oder Voodoo! Man könnte Ayurveda auch als Lebenskunst definieren, deren Prinzipien und Möglichkeiten letztendlich für jeden von Interesse sein könnten. Die Theorien und die daraus erfolgten Anwendungen sind Jahrtausende lang immer wieder in der Praxis geprüft und erprobt worden und haben bis heute ihre Gültigkeit bewiesen.

Sie betonen, dass jeder Mensch einzigartig ist. Inwiefern erscheint Ihnen aus dieser Perspektive Ayurveda geradezu ideal?
Wir Menschen sind von der Grundstruktur alle gleich, doch jeder ist anders. Alle Körperfunktionen der Gewebe, des Stoffwechsels, der Verdauung und der Ausscheidung, alle Gedanken und Empfindungen sind grundsätzlich individuell und gehorchen doch einem gleichen Prinzip.

 

„Oft ist es mit den alten Hausmitteln getan.“

In Ihrem neuen Buch wird die Küche zur Hausapotheke. Welchen Stellenwert schreiben Sie generell der Ernährung zu?
Pflanzen sind Arzneimittel und Kochen ist deren therapeutische Anwendung. Nicht bei jedem Bauchgrummeln oder Halskratzen, Durchfall, Schlafproblem, Leistungsabfall oder Rückenschmerz muss man gleich zum Arzt. Oft ist es schon mit der Umstellung der Ernährung oder mit einem Tee und begleitend mit Massagen oder einem Wickel getan, kurz: mit den alten Hausmitteln. Das bewusste Kochen einer wohlschmeckenden gesunden Speise ist die beste Hausapotheke der Welt. Naturheilpraktiker und sogar viele junge naturorientierte Menschen kennen sich da mitunter besser aus als wir Schulmediziner.

Ihr Buch ist ein Gemeinschaftswerk mit einem der renommiertesten Ayurveda-Kenner und Praktiker: Volker Mehl. Welche Vorstellungen verbinden Sie beide?
Die ayurvedische Nahrungszusammenstellung und Essenszubereitung sind vor allem auf die Individualität und Konstitution desjenigen ausgerichtet, der sie genießen soll. Ayurvedisches Essen kann sowohl ohne als auch im Einzelfall mit tierischen Produkten erfolgen – und mit regionalen Produkten und Kräutern überall auf der Welt hergestellt werden. Wie Omas Kartoffelsuppe, sagt Volker gern. Er hat viele moderne, der Zeit angepasste, verführerische Rezepte mit sehr viel Sachverstand und Begeisterung entwickelt. Gegen belastende Nahrungsbestandteile braucht man Gegenmittel. Das ist wie in der Medizin, sage ich immer. Gegen Blähungen nach Kohlgenuss den Kümmel, zur Fettverdauung Kurkuma. Dem wird die ayurvedische Küche seit Jahrtausenden gerecht.

Zentrale Bedeutung haben im Ayurveda die Bioprinzipien, d.h. die Doshas. Was hat es damit auf sich?
Die ayurvedische Lehre unterscheidet in allen Lebensprozessen drei Funktionsprinzipien, auch Bioprinzipien genannt. Diese drei Doshas sind: Bewegung (Vata), Aufbau (Pitta) und Struktur (Kapha). Nach diesen Prinzipien wird grob auch die Erscheinung (Konstitution) des Menschen eingeteilt. Zum Beispiel kann ein adipöser Mann sozusagen neckend als „Kapha-Bärchen“ bezeichnet werden, weil er eine kräftige Struktur besitzt und dazu mental träge, aber beständig im Denken ist. Nicht nur körperliche und mentale Zustände werden nach diesen Prinzipien kategorisiert, sondern auch Ernährungs-, Entspannungs- und Behandlungsmethoden.

„Leichte Kost macht mich glücklich“

Angenommen, Sie dürften sich einen ganzen Tag lang von Volker Mehl bekochen lassen: Welche Gerichte würden Sie sich wünschen?
Morgens: Hirse oder Dinkel-Porridge mit Gewürz-Früchte-Kompott
Mittags: Brokkoli mit Orangenfilets, Mandeln und Rucola und Sesam-Dressing zusammen mit Karotten-Petersilienwurzel-Puffer und Chutney. Abends: Linsen-Wirsing-Curry. Diese leichte Kost schmeckt köstlich und macht mich glücklich!

Welche wichtigsten Basics haben Sie für die Ayurveda-Küche immer im Haus?
Viele pflanzliche Produkte und Gewürze heimischer Natur wie Senf, Kümmel, Estragon und Pfeffer, außerdem Salbei, Melisse, Minze, Petersilie, Basilikum im Garten. Kurkuma, Ingwer, Kardamom, Koriander, unterschiedliche Chilis, aber auch Karotten, Zwiebeln, Knoblauch, Rote Beete, Brokkoli, Fenchel, Lauch, Hirse oder Kichererbsen sind Bestandteil meiner Küche. Getränke: Heißes Wasser, Ingwer- oder Chai-Tee oder Zitronenwasser.

Welche Ayurveda-Prinzipien haben Sie zu Ritualen gemacht?
Morgens und zwischendurch immer wieder warmes bis heißes Wasser trinken, leichte, weitgehend vegetarische Kost, vor 19 Uhr essen und 12 Stunden Essenspause, ein uraltes Ayurveda-Prinzip. Heute nennt man es Intervall-Fasten. Dazu tägliche Gymnastik mit viel Dehnen. Das mache ich von Kindesbeinen an, sozusagen „Yoga for Beginners“. Und viel meditatives Entspannen.

Wie lautet Ihr Tipp für Ayurveda-Anfänger?
Ayurveda orientiert sich an der individuellen Konstitution (Bioprinzip) sowie dem täglich aktuellen Gesundheitszustand (Kondition). Ein Prinzip, das mehr und mehr auch in der modernen individualisierten und personalisierten Medizin seinen Niederschlag findet. Einfach einmal ausprobieren. Noch nie war heilendes Kochen so einfach.

Ob Ayurveda oder Anatomie: Offenbar haben Sie ein Faible für Entdeckungsreisen. Was treibt Sie an?
Ich bin mit Begeisterung und mit großer Leidenschaft Arzt. Alles andere ergibt sich daraus. Als Arzt habe ich es ja immer mit dem ganzen Menschen zu tun, seinem Körper, dem Geist, seinem fühlenden und denkenden Wesen und seiner Seele. Eine Tatsache, der wir uns, Ärzte wie Patienten, heute leider nicht mehr bewusst sind. Der Patient muss medizinisch so aufgeklärt sein, dass er selbst Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen kann – vor allem vorbeugend, also gesunde Ernährung, viel Bewegung, Stressreduktion und positives Denken. Dafür haben speziell wir als Ärzte Sorge zu tragen, und dem muss auch die Gesellschaft, müssen Politik, Bildungssystem, Industrie und Gesundheitswirtschaft entsprechen, indem sie die Voraussetzungen dafür schaffen. Ich helfe mit, aufzuklären und Veränderungen diesbezüglich zu unterstützen.