ÄRZTIN AUS ECHTER Leidenschaft: Dr. med. Marianne Koch, Jahrgang ’31, studierte Medizin, als sie 1950 für den Film entdeckt und in zahlreichen Rollen sehr erfolgreich und bekannt wurde. Doch der Ruf der Medizin war lauter und seit 1971 widmet sie sich mit großem Engagement wieder ihrem Herzensberuf. Immer folgt sie ihrem Anspruch: „Den Patienten als ganzen Menschen wahrnehmen.“ Ob als Internistin, Medizinjournalistin oder Buchautorin: Dr. Marianne Koch versteht es, medizinische Themen in eine verständliche Sprache zu übersetzen.

Sie können auf mehrere Karrieren zurückblicken – zunächst auf große Erfolge als eine der beliebtesten Schauspielerinnen Deutschlands in Film und Fernsehen. Wie hat Sie diese bewegte Zeit beeinflusst?
Mein Leben als Filmschauspielerin ist für mich heute eigentlich nur noch eine ziemlich vage Erinnerung. Zu intensiv habe ich die Zeit danach als Medizinstudentin und Ärztin erlebt. Aber diese Jahre sind natürlich Teil meiner Biografie. Und ich bin dankbar, dass ich damals, in den 50er und 60er Jahren, als Reisen noch sehr schwierig oder unmöglich war, die halbe Welt sehen durfte. Ich galt als „tropenfest“, weil ich nicht gleich schreiend davonlief, wenn einmal eine Schlange im Schminkraum auftauchte, und wurde deshalb ständig bei Außenaufnahmen in Afrika, in Hongkong, Bangkok, Kalkutta oder in Südamerika eingesetzt. Hollywood gehörte allerdings auch dazu.

Als Schauspielerin hatten Sie ein Rollenrepertoire von der Carl Zuckmayer-Verfilmung „Des Teufels General“ bis zu „Für eine Handvoll Dollar“, Sergio Leones Erfindung des Italo-Western-Genres. Welche Rollen haben Sie am meisten interessiert und schließlich am nachhaltigsten beeinflusst?
Ich denke, Rollen haben mich nicht so sehr beeinflusst. Eher die Menschen, mit denen ich dabei zusammenkam – und, wie gesagt, die Länder, in denen ich arbeiten durfte. Der Regisseur Sergio Leone, zum Beispiel, war ein wunderbares Exemplar der italienischen Lebensart. Er hat uns deutschen Schauspielern, die aus einem tristen Nachkriegsland kamen, gezeigt, was gutes Essen, was Begeisterung für Kunst, für Architektur und für den gelassenen, liebenswürdigen Umgang miteinander bedeuten.

Mit beeindruckenden Frauen hatten Sie es nicht nur in der Filmwelt zu tun, sondern auch in der eigenen Familie. Wodurch hat sie Sie geprägt?
Meine Mutter war eine für die damalige Zeit erstaunlich unabhängige Frau. Künstlerisch begabt (sie war Pianistin, hatte auch ein paar Semester Malerei studiert) erschloss sie meinem Bruder und mir früh die Liebe zur Musik, aber auch zur Natur. Vor allem aber vermittelte sie uns ein liebevolles „Ihr-seid-ganz-tolle-Kinder“ und stärkte dadurch unser Selbstbewusstsein. Ich denke, das ist das Wichtigste, was man als Kind fürs Leben braucht.

„Ich liebte es, meinen kleinen Bruder zu verarzten.“

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie Ärztin werden wollten?
So genau weiß ich das nicht. Wir hatten einen wunderbaren Kinderarzt (der dann vor den Nazis ins Ausland gehen musste), ich bekam so ziemlich alle Kinderkrankheiten, die es gibt – und liebte es, meinen kleinen Bruder ständig zu „verarzten“. Fotos zeigen mich, ca. 10 Jahre alt, mit einer selbst geklebten Rot-Kreuz-Haube und meinen armen Bruder mit grotesk umwickelten Armen und Beinen …  

Für das Filmen hatten Sie Ihr Studium unterbrochen, mit 38 kehrten Sie zurück an die Universität. Aus welcher Überzeugung?
Ich war in all den Film-Jahren vollkommen sicher, dass ich wieder zur Medizin zurückgehen würde. Dass es so lange dauerte, lag wohl an den interessanten Rollen, die man mir nach wie vor anbot. Im Übrigen aber hatte ich genug vom Film und vom Leben in der Öffentlichkeit. Es war einfach nicht mein Beruf.

„Nil nocere – den Patienten nicht schaden.“

Ihre eigene Praxis in München-Haidhausen eröffneten Sie mit 55. Was war für Sie das oberste Gebot?
Das, was für alle Ärzte gilt: Nil nocere – den Patienten nicht schaden. Es war eine Gemeinschaftspraxis, und wenn ich mir nicht sicher war, konnte ich meine Kollegen zu einem kurzen Konzil bitten.

Was war am Praxisalltag mit Ihren Patienten das Erfüllende für Sie? Was haben Sie als bereichernd empfunden?
Alles. Meine Lehrer hatten mir beigebracht, einen Patienten als ganzen Menschen zu sehen, seine Symptome im Zusammenhang mit seiner psychosozialen Situation zu bewerten und ihn (oder sie) als vollwertigen Partner wahrzunehmen, der genau verstehen sollte, warum man ihm diese oder jene Behandlungsweise empfahl. Das Vertrauensverhältnis, das ich dadurch zu meinen Patienten hatte, empfand ich als großes Glück. Die Praxis war außerdem auch eine ausgezeichnete Schule für mich, in der ich lernte, komplizierte medizinische Diagnosen in eine verständliche Sprache zu übersetzen, etwas, was mir dann später als Medizinjournalistin sehr geholfen hat.

Was hat für Sie generell Priorität in der Medizin?
Ärzte und Kliniken in unserem an sich hervorragenden Gesundheitssystem sind heute in einer Situation, in der sie immer öfter kommerzielle statt medizinisch gebotener Entscheidungen treffen sollen. Dagegen müssen wir uns wehren. Wir alle.

Seit 2001 geben Sie in Ihrer wöchentlichen Sendung „Gesundheitsgespräch“ Erklärungen zu medizinischen Hörerfragen. Ihr Beitrag zur von Ihnen so befürworteten „sprechenden Medizin“?
Wir – die Redaktion und ich – möchten die medizinischen Probleme unserer Hörer und Hörerinnen offen besprechen. Wir empfinden es als Privileg, dass sie sich bei uns Erklärungen und Rat holen, wenn ihre Ärzte keine Zeit für ausführlichere Gespräche hatten. Gleichzeitig versuchen wir aber auch, ihnen Mut zu machen und sie zu motivieren, ihren Ärzten als „mündige Patienten“ auf Augenhöhe zu begegnen. Der Idealfall aber besteht zweifelsfrei darin, dass die Ärzte selbst wieder in die Lage versetzt werden, „sprechende Medizin“ mit ihren Patienten zu praktizieren.

Für Ihre Verdienste im medizinischen Bereich haben Sie bedeutende Auszeichnungen erhalten, darunter das Bundesverdienstkreuz und die die Paracelsus-Medaille. Welche Würdigung freut Sie besonders?
Ich bin eigentlich nicht der Typ, der nach Ehrungen strebt. Über die Paracelsus-Medaille, die höchste Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft, habe ich mich allerdings wahnsinnig gefreut.

Kürzlich sagten Sie in einem Filmporträt: „Es gibt kein Ende meiner Zeit als Ärztin“. Was an Ihrem Beruf liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ich denke, einmal als verantwortliche Ärztin oder Arzt gearbeitet zu haben, ist wie Radfahren oder Schwimmen. Man verlernt es nicht. Der Beruf mit seiner Mischung aus komplizierter Naturwissenschaft und grundsätzlicher Empathie für Menschen ist für mich immer noch der beste der Welt. Deshalb bin ich sehr froh, dass ich mich bis heute, wegen meiner Radiosendung und meiner Tätigkeit als Buchautorin, auf dem neuesten Stand der Dinge halten muss.

„Unser Immunsystem bildet verschiedenste Zustände ab.“

Ihr neues Buch widmet sich unserem Immunsystem, das Sie sogar als „Wunderwerk“ bezeichnen. Was macht es dazu?
Ich denke, unser Immunsystem ist die lebendige, aber unbewusste Reaktion eines jeden Menschen auf seine Umgebung. Es antwortet nicht nur auf äußere Feinde wie Bakterien oder Viren, es bildet nicht nur körperliche oder seelische Zustände des Menschen ab, sondern es verteidigt ihn mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften.

Sie zeigen auch, dass wir nicht nur ein quasi von Geburt an vorprogrammiertes Immunsystem haben. Was ist da zu unterscheiden?
Das stimmt. Wir haben ein „angeborenes“ System, sozusagen die Grundausrüstung in der Abwehr von Krankheitserregern. Dazu kommt dann im Lauf der Jahre die Feinabstimmung, in der durch die Begegnung mit feindlichen Wesen oder durch Impfungen das Arsenal mit hoch effizienten, spezifischen Waffen gefüllt wird. Wir nennen dies das „erworbene“ Immunsystem.

„Ein kompetentes Immunsystem ist eine Lebensversicherung.“

Das Inhaltsverzeichnis liest sich stellenweise wie das eines Thrillers, es geht, z.B. um „Großalarm im Abwehrsystem“ oder „Waffen schmieden gegen gefährliche Feinde“. Es scheint um Sein oder Nichtsein zu gehen, oder?
Genauso ist es. Ein funktionierendes, kompetentes Immunsystem ist eine Lebensversicherung. Ein schwaches System kann Sie nicht vor all den Gefahren schützen, denen wir auch in einer zivilisierten Welt ausgesetzt sind. Wobei die Gefahren keineswegs nur von außen drohen, sondern eben auch durch Fehlsteuerungen im Inneren des Körpers.

Wohl kein Thema hat in letzter Zeit das Leben so intensiv beeinflusst wie Corona. Sie vermitteln Wissen darüber – soweit es der aktuelle Forschungsstand zulässt. Wie lautet Ihr wichtigster Rat?
Solange wir noch keinen Impfstoff haben: Immunsystem stärken – und nach wie vor extrem vorsichtig sein. Das heißt, wir sollten die Einschränkungen (Abstand halten, Schutzmaske tragen, Massenveranstaltungen meiden) nicht nur zähneknirschend befolgen, sondern möglichst gelassen hinnehmen.

Zu sprechen kommen Sie auch auf die Irrtümer des Immunsystems. Welche sind am meisten verbreitet? Welche Hoffnungen gibt es?
Bei einer Allergie reagiert das System völlig sinnlos auf Dinge, die für den Menschen eigentlich ungefährlich sind: Gräserpollen, Lebensmittel wie Erdbeeren oder Äpfel, Hundehaare, Insektenstiche. Dabei kann es zu lebensgefährlichen Situationen kommen. Autoimmunkrankheiten wie Entzündliches Rheuma, Diabetes Typ 1 oder Multiple Sklerose entstehen, wenn das Immunsystem auf einmal nicht mehr zwischen körpereigenen und fremden Zellen unterscheiden kann. Der Angriff auf den eigenen Körper ist aber heute durch entsprechende Medikamente in den meisten Fällen gut behandelbar.

Das Schlusskapitel widmen Sie dem Einfluss der Seele auf das Immunsystem. Wofür möchten Sie sensibilisieren?
Lange hat man geglaubt, dass Körper und Seele getrennte Einheiten sind. Heute weiß man, dass zwischen ihnen engste Beziehungen bestehen. So hat die Wissenschaft der Psycho-Neuro-Immunologie bewiesen, dass seelische Befindlichkeiten einen ganz starken Einfluss auf die Kraft des Immunsystems haben. Wir Ärzte sind also gehalten, nicht nur Blutbild, Lunge, Leberfunktion und andere Organe zu prüfen, wenn jemand zum Beispiel unter ständigen Infektionen oder einem Reizdarm leidet, sondern auch die psychische Situation des Patienten zu hinterfragen und nach Möglichkeit zu behandeln.

„Entdeckungsreise in eine faszinierende Welt“

Ihre drei wichtigsten Empfehlungen für ein starkes Immunsystem?
Richtige Ernährung – regelmäßige körperliche Aktivität – seelisches Gleichgewicht – nicht rauchen. Ach so – es sind vier geworden. Macht nichts.

Wie würden Sie Ihre Kernbotschaft zusammenfassen?
Begeben Sie sich auf eine Entdeckungsreise in eine faszinierende Welt der vielgestaltigen Zellen, der Botenstoffe, der Kämpfe gegen Feinde von außen und gegen Unordnung im Inneren Ihres Körpers! Sie erfahren dabei, wie Sie Ihr erstaunliches Immunsystem stärken können und woran es leidet, wenn Sie traurig sind. Ein Abenteuer? Ja, ganz sicher. Eines, das Sie noch lange beschäftigen wird.