Die eigenen Träume leben: Dazu ermutigt Deutschlands renommierteste Wolfsexpertin Elli H. Radinger nicht nur, sondern sie wagt es selbst immer wieder aufs Neue. Erst wurde sie Flugbegleiterin, um die Welt zu sehen, dann Anwältin, um sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Zu sich selbst fand sie als Naturforscherin. Welche wunderbaren Geschenke uns die Wildnis zuteil werden lässt, offenbart das druckfrische Buch der Bestsellerautorin. Eine spannende und inspirierende Reise!

Wohl die meisten denken bei Ihnen erst einmal an Ihre Bestseller und Vorträge über Wölfe. Wann wurde Ihre Faszination geweckt?
In meiner Kindheit. Ich wuchs mit einem Schäferhund auf und hatte immer Hunde.

In Ihrem neuen Buch ziehen Sie größere Kreise denn je. Was hat Sie geleitet?
Eindeutig mein innerer Kompass und meine Begeisterung für Nordamerika.

So unterschiedlich wie wir Menschen sind wahrscheinlich auch unsere Vorstellungen von Wildnis. Wie sieht Ihre aus?
Meine Vorstellung von einer perfekten Wildnis-Auszeit hat sich im Laufe der Jahre geändert. Anfangs war es die Blockhütte im Wolfsgebiet. Heute finde ich meine Auszeiten überall, wo ich allein in der Natur bin, beispielsweise bei einem Waldspaziergang mit meiner Hündin – daheim im hessischen Wetzlar.

„Hart, gefährlich, aber auch wunderschön“

Sie entwerfen keine vollkommenen Idyllen. Worum geht es Ihnen stattdessen?
Es gibt keine vollkommenen Idyllen und schon gar nicht in der Wildnis. Wir sehen die schönen Bilder, das Unangenehme blenden wir aus. Erst wenn wir das Ganze sehen – die Kälte, den Schmutz, die Stechfliegen – verstehen wir, was es bedeutet, ein Teil der Wildnis zu sein. Ich möchte in meinen Büchern zeigen, wie die Wildnis wirklich ist: hart, mühsam, gefährlich, aber eben auch wunderschön.

Die erste Station Ihres Buches ist der im US-Bundesstaat Utah gelegene Zion-Nationalpark. Zion kommt aus dem Hebräischen und lässt sich übersetzen mit Heiligtum oder auch Zuflucht. Was ist es für Sie?
Sowohl als auch. Beides gehört zusammen.

Der Yellowstone-Nationalpark hat besondere Bedeutung. Welche schreiben Sie ihm für die Natur und die Forschung zu?
Der Yellowstone-Park ist nicht nur der älteste Nationalpark der Welt. In ihm finden wir auch sämtliche Beutegreifer und Beutetiere von Nordamerika. Hier können wir lernen, wie ein gesundes Ökosystem funktioniert. Was passiert, wenn ich etwas verändere? Die Gelegenheit, all dies über einen sehr langen Zeitraum hinweg zu beobachten, macht Yellowstone so einzigartig.

Was verbinden Sie persönlich mit Yellowstone?
Heimat! Dieses Land aus Feuer und Eis mit seinen zahlreichen Wildtieren erdet mich.

In Ihrem neuen Buch porträtieren Sie die unterschiedlichsten Tiere …
Genau, ich habe die Tierarten ausgewählt, die mich persönlich am meisten faszinieren, und von denen ich hoffe, dass sie auch die Leserinnen und Leser interessieren.

„Ich bewundere die Klugheit der Kojoten“

Als Ihre Lieblinge bezeichnen Sie die Kojoten. Warum haben es Ihnen ausgerechnet diese in ihrem Verbreitungsgebiet gar nicht so beliebten Tiere angetan?
Ich bewundere die Klugheit, den Witz und den Überlebenswillen der Kojoten. Obwohl sie überall massiv verfolgt und getötet werden, überleben sie, indem sie sich jeder Situation anpassen und das Beste daraus machen.

Lebendig werden lassen Sie auch die Wesensart und wechselvolle Geschichte der Bisons, die 2016 in den USA zu Nationaltieren erklärt wurden …
Damit hat Amerika ausnahmsweise einmal etwas richtig gemacht, nachdem zuvor Millionen Bisons blindwütig abgeschlachtet wurden. Für mich sind die großen, friedlichen Grasfresser ein Symbol von Gelassenheit und Sanftmut. Gleichzeitig sind sie voller Spaß und Lebensfreude.

Wie deuten Sie Ihre Rolle als Naturforscherin und Autorin? Worin sehen Sie Ihre Lebensaufgabe?
Ich möchte aufklären und vor allem Zusammenhänge verständlich machen.

Beobachtet haben Sie neben der Tierwelt auch die Menschen und ihren Umgang mit der Natur. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?
Die meisten Menschen haben sich von der Natur entfremdet. Sie können sie nicht kontrollieren und das macht ihnen Angst. Wenn ich jedoch als Guide Menschen in die Wildnis mitnehme und sehe, wie ihnen die Tränen in die Augen steigen, wenn sie einen Wolf heulen hören, dann sehe ich, wie groß ihre Sehnsucht nach Natur noch ist.

Mutterseelenallein in der Wildnis unterwegs zu sein, ist nicht jedem geheuer. Auch Sie klammern das Thema Angst keineswegs aus. Was half Ihnen, sie zu überwinden? Wovor fürchten Sie sich am meisten?
Angst gehört zum Leben. Wir können ihr nicht davonlaufen – genauso wenig wie einem angreifenden Grizzly, wie ich es im Buch geschildert habe. Wir müssen unsere Angst akzeptieren und lernen, mit ihr zu leben. Das gelingt nach meiner Erfahrung am besten, wenn wir sie auch manchmal einfach nur aushalten. Am meisten fürchte ich mich vor der Dummheit, der Ignoranz und den Vorurteilen von Zweibeinern.

Sie bekennen, dass Sie sich „aus ganzem Herzen in jedes Abenteuer gestürzt“ haben. Was ermutigt Sie dazu?
Meine Neugier! Und die Furcht, etwas zu verpassen, wenn ich zu Hause sitze und darauf warte, dass das Leben „passiert“. Mein größtes Wagnis war die Liebe. Ich bin in die Wildnis von Minnesota gezogen, um dort mit einem Mann zusammenzuleben, den ich nicht kannte und der sich später als Psychopath entpuppte.

„Heimat ist, wo meine Seele Ruhe findet“

Sie schreiben, dass Sie in der Wildnis Ihre Heimat gefunden haben. Was verbinden Sie damit?
Ich war die meiste Zeit meines Lebens auf Reisen und unterwegs. Für mich ist Heimat überall dort, wo meine Seele Ruhe findet. Und das ist immer wieder in der Natur.

Ihr Buch lässt sich nicht zuletzt als Plädoyer für Neuanfänge interpretieren. Welche Überzeugung steht dahinter?
Das Leben ist ein Geschenk und zu kostbar, um unglücklich zu sein. Wir alle haben nur eine bestimmte Zeit zur Verfügung. Ich möchte nicht am Ende meines Lebens zurückblicken und das bedauern, was ich nicht getan habe. Wann immer ich in einer Lebenssituation längere Zeit unglücklich war, habe ich einen Neuanfang gewagt.

Wie lautet die Hauptbotschaft an Ihre Leser?
Über meinem Schreibtisch hängt ein Spruch: „Jeder sagte: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht – und hat es gemacht.“ Meine Botschaft lautet: Folge deinem Traum. Lass ihn dir nicht ausreden oder dich entmutigen. Wenn es schief geht, steh auf und fang noch einmal an. Es ist dein Leben. Du allein bist dafür verantwortlich, das Beste daraus zu machen.