HARDY KRÜGER JR. erwischen wir mitten in den Dreharbeiten zur Fernseh-Doku „Gewissensbisse“. Trotz allen Trubels nimmt sich der Schauspieler und Autor viel Zeit für unser Interview, denn sein neues Buch liegt ihm besonders am Herzen: In „Wendepunkte“ erzählt der Weltbürger von 19 Orten und den wichtigsten Begegnungen auf seiner Lebensreise – von Veränderungen, aus denen er Kraft schöpfte. Bewegende Erfahrungen, die er teilt, um anderen Mut zu machen!

Beim Blick aufs Inhaltsverzeichnis könnte man Sie für einen modernen Nomaden halten. Wie sehen Sie sich selbst?
Ich bin ein Reisender, der eigentlich nie „ankommen“ wollte. Doch jetzt bin ich angekommen und kann mich endlich entspannen. Die Bilder von meinen Reisen sehe ich mit meinem „inneren Auge“. Sie nehmen mir das Fernweh. Reisen ist ein großes Privileg, Ankommen noch ein viel größeres. Dafür bin ich sehr dankbar.

„Hommage an das verrückte Leben.“

Sie haben nicht einfach ein Globetrotter-Buch geschrieben, sondern blicken in „Wendepunkte“ auf Ihren Lebensweg. Was war der Auslöser?
Die Idee kam vom GU Verlag. Nachdem ich in meinem Erstlingsroman schon viel über mein Leben reflektiert hatte, war es an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen und mit diesem Buch eine Hommage an das verrückte Leben mit all seinen Hochs und Tiefs zu schreiben.

Die 19 Kapitel haben Sie geographisch benannt. Wie haben Sie die Stationen ausgewählt?
Mein Lebensmittelpunkt ist jetzt Berlin. Die Orte, die ich in meinem Buch „Wendepunkte“ beschreibe, sind wichtige Stationen meines Lebens, die meine „Wendepunkte“ eingeleitet hatten. Ich habe versucht, die wichtigsten zusammenzufassen. Das war nicht einfach, denn es gab noch so viel mehr Menschen und Orte, die in meinem Leben eine große Bedeutung haben. Das Buch wäre aber dann mindestens doppelt so dick.

Sie schildern auch Wendepunkte im Leben Ihres Vaters, vor allem 1961 in Berlin und dann 1973 in Tansania. Was hat Ihnen diese Zäsuren für Ihr Buch wichtig erscheinen lassen?
Diese zwei Gegebenheiten waren für meinen Vater ebenfalls Wendepunkte in seinem Leben – Orte und Menschen, die er zurücklassen musste. Solche Situationen verändern ein Leben.

Im Madrid-Kapitel schildern Sie das „Vagabundendasein“ Ihrer Familie aus Ihrer damaligen Kindersicht und schreiben, dass Ihre ältere Schwester Malaika und Sie früh lernten, „uns nicht zu sehr an Dinge, Freunde und Orte zu gewöhnen“. Wie sind Sie damit klargekommen? Was hat es bewirkt?
Als Kind stellt man keine Fragen. Man akzeptiert die Umstände und das Leben so, wie es ist. Da wir als Kinder das Leben nicht anders kennengelernt haben, war es für uns normal. Was es mit uns gemacht hat, war sicherlich, dass wir gut mit uns zurechtkamen und wir schnell lernten, selbstständig zu sein.

„Warum sich auf einen Ort beschränken?“

Sie schreiben: „Nie in meinem ganzen Leben hatte ich das Bedürfnis, Wurzeln zu schlagen.“ Was steht hinter dieser Unabhängigkeitserklärung? Was ist Ihr Anker?
Die Welt war in jungen Jahren nie groß genug. Das Leben ist ein Abenteuer, das keine Grenzen kennt. Also warum sich auf einen Ort beschränken, wenn man doch alles sehen kann und sich überall zuhause fühlen kann? Mein Anker war ich selbst. Ich hatte mich immer dabei. Das war die Konstante in meinem Leben. Das ist sicher nicht leicht zu verstehen. Heute ist mein Anker meine Frau und meine Wahlheimat Berlin.

Als Junge waren Sie ein Papa-Kind. Was hat Ihr Vater für Sie in jungen Jahren verkörpert und was sind Ihre schönsten Erinnerungen an ihn als Privatmensch?
Mein Vater war mein Held, Kumpel und Mentor. Wir haben viel gemeinsam erlebt, wenn er sich für uns Zeit nehmen konnte. Ich erinnere mich an Fahrradtouren, Segeltörns, Reisen mit dem Auto. Durch Wälder laufen, Pilze sammeln und Kochsessions.

Wann und wie haben Sie festgestellt, dass es mit Ihrem Vater etwas Besonderes auf sich hat?
Als Kind war ich sehr beeindruckt, dass mein Vater überall Leute kennt, egal, wo wir hingegangen sind. Später habe ich verstanden, dass die Menschen meinen Vater kannten und nicht anders herum.

Wie hat Sie Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater geprägt? Und was hat am meisten dazu beigetragen, sich von ihm unabhängig zu machen und eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln?
Es ist wichtig, sich auf seine eigene Lebensreise zu machen. Besonders in diesem Beruf. Die Tür, durch die man geht, muss man alleine aufmachen. Auch durch sie hindurchgehen muss man selbst. Die Entscheidungen, die man trifft im Leben, sind die, die deinen Werdegang bestimmen. Sowohl die richtigen als auch die falschen. Wir als Eltern können nur für unsere Kinder da sein, ihnen Kraft und Unterstützung geben. Das Leben leben müssen sie schon selbst. Was mir geholfen hat, meinen Weg zu gehen, ist der Glaube, dass man alles schaffen kann, wenn man sich selbst treu bleibt. Das hat mir mein Vater mit auf meinen Weg gegeben.

„Eine Berufung, die einem viel abverlangt.“

Sie erwähnen die „Krüger-Unrast“. Halten Sie dieses Phänomen eher für eine Voraussetzung, Schauspieler zu sein? Oder für eine Folge?
Schauspieler zu sein, ist eine Berufung, die einem Menschen viel abverlangt. Die Arbeit an sich selbst und an der Perfektion hört nie auf. Wir müssen immer an uns arbeiten. Wer stagniert, wird von dem Beruf nicht leben und auch nicht glücklich werden können. Man muss bereit sein, alles für diese Berufung aufzugeben. Wir müssen stark und schwach zugleich sein. Diszipliniert und frei. Es ist nicht leicht, mit uns zu leben. Dieser Beruf steht immer im Vordergrund. Die Öffentlichkeit macht es noch schwerer. Man muss die Balance finden zwischen Beruf und Privatleben. Das ist nicht immer einfach.

Ihre erste berufliche Entscheidung wirkt sehr vernünftig für einen jungen Mann und führte Sie nach Berlin. Was hat Sie geleitet? Und was würden Sie jungen Menschen heute empfehlen?
Ich wollte schnell auf den eigenen Beinen stehen. Das ist für mich sehr wichtig gewesen. Unabhängigkeit bedeutet für mich Freiheit. Egal, was ich dafür tun musste, ich tat es. Die Kochausbildung war mein Ticket in die Freiheit. Ein Sprungbrett ins eigene Leben. Heute kann ich jedem jungen Menschen nur empfehlen, sich für einen Beruf zu entscheiden, der Zukunft hat. Die Leidenschaft kann man nebenher ausleben. Heute ist es wichtig, dass man sich eine stabile Lebensgrundlage aufbaut. Wichtig dabei ist, nie aufzugeben!

Ein Traum führte Sie in die USA – nach New York. Was war das Faszinierende und was die Bewährungsprobe?
Die Zeit in New York und L.A. war für mich eines der wichtigsten Ereignisse in meinem Leben. Hier fand ich Menschen, die an mich glaubten. Sie gaben mir Chancen, mich auszuprobieren. Ich traf Menschen, die mich sehr inspirierten. Ich war frei und unabhängig. Ich konnte ohne die Öffentlichkeits-Lupe so leben, wie ich wollte. Keiner wusste, wer ich bin oder wer mein Vater ist. Ich habe dort gelernt, dass man alles erreichen kann, wenn man den Mut hat, ins kalte Wasser zu springen. Dass es immer einen Weg aus der Krise gibt. Nur nicht aufgeben, eben!

„Dieses Gefühl in mir, dass alles gut wird.“

Sie erzählen auch von Verzweiflungsmomenten. Was hat Ihnen am meisten geholfen?
Ich habe immer dieses Gefühl in mir, dass am Ende alles gut wird. Ich weiß nicht, woher das kommt, doch es war immer da. Es half mir aus jeder noch so schwierigen Lage. Ich kann jedem nur aus meiner tiefsten Überzeugung sagen, dass jede Prüfung im Leben, sei sie noch so schlimm, uns nach vorne bringt. Durch sie wachsen wir. Wir dürfen nur nicht am Leben zweifeln. Wir sollten dem Schicksal vertrauen. Am Ende wird alles gut!

Eine Tragödie war für Sie vor zehn Jahren der plötzliche Tod Ihres kleinen Sohnes Paul-Luca. Wie geht es Ihnen heute?
Der Tod von Paul-Luca war das Schlimmste, was einem Menschen widerfahren kann. Ich habe sehr lange gebraucht, um mit diesem Schmerz leben zu lernen. Heute weiß ich, dass ich den Tod nicht fürchten muss und dass das Leben ein Geschenk ist, das man mit sehr viel Achtsamkeit leben muss.

Was war für Sie als verwaister Vater der Tiefpunkt und wie wurde daraus ein Wendepunkt?
Der Wendepunkt war für mich, dass ich begriff, dass es viele Menschen gibt, denen dasselbe passiert ist. Meine Aufgabe ist es, ihnen Halt zu geben und eine Stütze zu sein, ihnen Trost zu spenden. Ich versuche, ihnen die Angst zu nehmen, wieder am Leben teil zu haben.

Über die Aufs und Abs in Ihrem Leben schreiben Sie sehr offen und ungeschminkt. Was macht es Ihnen so wichtig, Ihre schönen und schmerzvollen Erfahrungen zu teilen?
Wir leben im 21 Jahrhundert. Wir reden über so viele Dinge, doch keiner redet über die Tabus in der Gesellschaft. Das kann nicht sein. Damit muss Schluss sein. Es gibt zu viele Menschen da draußen, die Hilfe brauchen. Die Verzweifelten. Ich will darauf aufmerksam machen. Kein Blatt vor dem Mund nehmen und das aussprechen, was vielen ein Bedürfnis ist, wozu ihnen aber der Mut fehlt. Wir dürfen keine Schwäche zeigen. Ich zeige sie ganz ungeschönt. Ich bin ein Mensch, der Fehler macht, Träume hat und oft die Hoffnung, dass wir Menschen uns irgendwann wieder in die Augen sehen und uns die Hand reichen. Die Gesellschaft vereinsamt. Das macht mir große Sorgen.

„Vieles verstehe ich durch das Schreiben.“

Welchen Stellenwert hat das Schreiben generell für Sie und was bewirkt es?
Schreiben ist die Belohnung. Alles, was ich sehe und beobachte. Was ich erlebe, findet einen neuen Stellenwert und eine neue Bedeutung, wenn ich darüber schreibe. Ich nehme die Welt anders wahr. Vieles, was mir entgeht, verstehe ich durch das Schreiben. Ich laufe aufmerksamer und neugieriger durch den Tag, weil ich alles aufgreifen will. Es sind alles Zeichen und Inspirationen. Schreiben ist eine wunderbare Sache. Ich liebe es.

Wie haben Sie eigentlich das Erzählen für sich entdeckt?
Als Kind saß ich oft auf dem Schoß der Kollegen meines Vaters. Sie waren meine Helden und Meister im Geschichtenerzählen. Ich war als Kind so fasziniert von ihren Geschichten, dass ich schon damals davon träumte, eigene Geschichten zu erzählen. Für mich schreibt das Leben die schönsten Geschichten.

Was lautet die wichtigste Ermutigung, die Sie Ihren Leserinnen und Lesern mitgeben möchten?
Den Lesern möchte ich viel Hoffnung mit auf den Weg geben. Alles ist in Bewegung. Nichts bleibt so, wie es ist. Für all diejenigen, die jetzt eine schwierige Zeit durchmachen, sei gesagt, dass uns das Leben am Ende des Tages nur Gutes zu bieten hat. Wir werden beschenkt und belohnt für die Dinge, die wir tun. Wir können alle die Welt verändern. Das was auf uns zukommt, wird und ist wunderschön. Freut Euch darauf.

2017 waren Sie in Tansania an einem Ort, der in der Massai-Sprache einen poetischen Namen hat: „dem Himmel so nah“. Was macht diesen Ort für Sie magisch?
Shumata ist wahrlich ein magischer Ort. Wenn man dort nachts in den Sternenhimmel schaut, dann wirkt der Saturn zum Greifen nah. Es scheint fast so, als könnte man den Ring des Saturn berühren, wenn man seinen Arm nur weit genug in den Himmel streckt. Die Sterne tanzen dir förmlich auf der Nase herum. Wenn dann noch eine Sternschnuppe die Gipfel des Mount Meru auf der einen Seite und den Kilimanjaro auf der anderen Seite streift, so weiß man, dass dieses Universum noch viele Geheimnisse für uns bereithält.