BRETONE MIT LEIB UND SEELE: So stellten sich Leser Jean-Luc Bannalec vor, der sich wie kaum ein anderer auskennt mit Land, Leuten und Lebensgefühl. Und der so betörend über die schönsten Orte im äußersten Westen Frankreichs schreibt, dass er mit jedem seiner Krimibestseller immer mehr Feriengäste ans „Ende der Welt“, ins Finistère, lockt. Bevor nun sein Commissaire Georges Dupin seinen neunten Fall löst und in Saint-Malo „Bretonische Spezialitäten“ genießt, hat der Autor sein eigenes Geheimnis gelüftet: Bannalec ist das Pseudonym von Dr. Jörg Bong – für uns aber bleibt der Name Gütesiegel für Gourmet-Krimis.

Wann, wie und wo haben Sie die Bretagne für sich entdeckt? War es Liebe auf den ersten Blick? Oder auf den zweiten?
Ein Blitzschlag, coup de foudre, nennen es die Franzosen – Liebe auf den ersten Blick. Eine Reise vor fast drei Jahrzehnten, es war sofort um mich geschehen. Ich habe mich in dieses magische Fleckchen Erde vernarrt. Frankreich habe ich mein ganzes Leben lang geliebt, eine tiefe Neigung …

Und seit wann haben Sie dort eine zweite Heimat?
Die zweite Heimat wurde es spätestens durch ein Haus, vor 12 Jahren, durch die viele Zeit. Ich glaube fest daran, dass Menschen „ihre Orte“ finden müssen, für mich ist das einer meiner Orte. An dem Inneres und Äußeres korrespondieren – Orte, an denen man ganz bei sich ist, wenn man ganz da ist …

Es heißt, für Gustave Flaubert war seine Reise im Sommer 1847 in die Bretagne wie ein Befreiungsschlag. Und wie wirkt die Bretagne auf Sie?
Die kolossale Natur, der wilde, schier unendliche Atlantik, der einen fast überall umgibt, die ungeheuren, ebenso unendlichen Himmel, das verrückte Licht, die berückenden Farben – die Bretagne versetzt in einen schönen Taumel, der einen zugleich eigentümlicherweise ganz ruhig werden lässt. Und der, ja, ein bisschen pathetisch formuliert, ein Gefühl von Freiheit erzeugt, von dem Flaubert in seinem Buch schreibt.

Fast so berühmt wie Flauberts tragische Heldin Madame Bovary ist der Ausspruch des Schriftstellers: „Madame Bovary, c’est moi“, also: „Madame Bovary, das bin ich.“ Wie sieht es denn bei Ihnen und Ihrem Helden Commissaire Georges Dupin aus? Wieviel Monsieur Bannalec steckt in Dupin?
Da sollten Sie andere fragen. Vorsätzlich steckt kein Bannalec in Dupin, aber versehentlich vielleicht schon. Und das auch eher indirekt, unter anderem als Wunscherfüllung: Ich liebe Kaffee, sehr sogar, aber wenn ich mehr als einen Milchkaffee morgens trinke, werde ich schrecklich nervös. In Dupin verwirklicht sich mein Kaffeetraum: ihn den ganzen Tag trinken zu können. Ja, zu müssen! Was sich auf jeden Fall entspricht: Ohne den ersten Kaffee morgens funktioniert mein Gehirn nicht, ich brauche meine Freunde, muss immer in Bewegung sein, ertrage keine Ruhe, spaziere für mein Leben gerne, esse und trinke sehr gerne, verehre Rotwein und auch das Entrecote frites. Und sehr vieles mehr.

Ihr Leben als Büchermensch hat sich durch Dupin zweifelsohne beträchtlich verändert. In welcher Weise?
Zum enthusiastischen Lesen und Studieren von Büchern, dem leidenschaftlichen Reden über Bücher, dem Lektorieren und Verlegen von Büchern – 22 Jahre mein Beruf – ist dann das Schreiben von Büchern hinzugekommen. Zentrum meines Lebens ist und bleibt: das Buch.

Bestimmt erinnern Sie sich noch gut an die literarische Geburtsstunde von Georges Dupin. Wie war das genau?
Ganz unoriginell. Ich habe immer schon einen Spleen für „klassische“ Kriminalliteratur gehabt, für bestimmte Ermittler: Poirot, Holmes, Maigret, um drei berühmte zu nennen. Ich bin ein schlechter Schläfer und habe ihre Fälle schon nachts in meiner Jugend rauf und runter gelesen. Eines Tages, vor 15 Jahren, saß ich im Restaurant eines Hotels, in dem einst Gauguin gewohnt hatte, als er in Pont Aven seine neue, revolutionäre Malerei erfand. Umgeben von einem Dutzend Kopien seiner Bilder dachte ich plötzlich: „Und wenn eines ein echter Gauguin wäre …“ So begann das Tüfteln am ersten Fall. Sofort kam auch das „Amiral“ in Concarneau ins Spiel, das Restaurant, in dem Simenons „Der gelbe Hund“ spielt, einer meiner liebsten Maigrets.

„Rituale sind das A und O.“

Welche Bedeutung haben Georges Simenon und sein Maigret für Sie?
Simenon: einer der größten Autoren des 20 Jahrhunderts! Ein echter Existentialist. Maigret: einer der größten Ermittler der Kriminalliteratur – und noch weit mehr als das, ein Ermittler von Sprache und Welt …

Ihrem Commissaire Dupin sind Rituale wichtig, sowohl in seinem Alltagsleben als auch bei der Aufklärung seiner Kriminalfälle. Wie ist es bei Ihnen selbst?
Rituale sind das A und O, Halt, Struktur und vor allem: Glück! Zudem auch, eigentlich ja paradox, ein Stück Freiheit. Sie machen ganz viel vom Leben aus, für Dupin und auch für mich. Meine Rituale in der Bretagne: die Zeitung lesen mit einem „grand crème“ am Morgen und einen bretonischen Frühstückskuchen in den Kaffee tunken. Lange Meerspaziergänge – ein bestimmter Weg. Schwimmen – ein bestimmter Felsen. Dann so um sechs, sieben der von kleinen Köstlichkeiten begleitete „Apéro“ – auf den läuft der ganze Tag hinaus …

Dupin wurde ja gewissermaßen zu seinem Glück gezwungen – durch seine Zwangsversetzung in die Bretagne, genauer gesagt: ins Finistère, eine Bezeichnung, die eigentlich schon alles sagt. Was genau?
Finis terrae, für die Römer war es das Ende der Welt, buchstäblich für Caesar auf seinem berühmten Feldzug gegen die Gallier – nur ein bretonisches Dorf leistete erfolgreich Widerstand. Hier begann der „Äußere Ozean“, hier endete die Welt tatsächlich. Für die Gallier selbst, Kelten, Bretonen, ist die Bretagne hingegen der „Angang“, das „Haupt“ der Welt, „Pen ar bed“. Und natürlich haben sie Recht.

„Überall hört man die Brandung …“

Sie haben Dupin nach Concarneau versetzt. Was ist für Sie das Besondere an dem Städtchen?
Wenn ich eine kleine bretonische Küstenstadt fantasieren würde – so sähe sie aus, was vor allem heißt: Sie hätte genau diese Atmosphäre, diesen Charme. Etwas ganz Freies, dem Atlantik zugewandt, le grand large, und doch perfekt geborgen. Die Stadt ist buchstäblich am Meer und an mäandernden Buchten entlang gebaut. Überall riecht und schmeckt man es in der Nase und im Mund: das Salz, das Jod, die Algen … Überall hört man die Brandung …

Als Dupin in Concarneau ankam, wurde er mit den regionalen und lokalen Besonderheiten durch seine Assistentin Nolwenn vertraut gemacht. Und wie war es bei Ihnen selbst?
Großartige bretonische Freunde sind meine „Nolwenn“, ohne sie wäre ich verloren!

Ihre Erfolgsserie um Dupin begann mit seinem Auswärtseinsatz im malerischen Pont-Aven. Inzwischen sind Sie im neunten Band in Saint-Malo angelangt. Welcher Kompass leitet Sie bei der Auswahl der Schauplätze?
Am Ende, so die Idee am Anfang, sollten die Bände – zusammengenommen – eine kriminalistische, leichtfüßige Rundreise durch die Bretagne sein, gemeinsam mit Commissaire Dupin. Zu ganz besonderen Orten, ganz besonderen bretonischen Sujets und Themen wie Salz, Austern, Küche, Malerei etc., auch eine Reise durch die Geschichte, die Kultur, die Sagen. Eine Reise zu außerordentlichen Menschen und einer eigenen, sehr starken Haltung gegenüber dem Leben.

„Überall hört man die Brandung …“

Wie lässt die sich die Lebensphilosophie von Dupin auf den Punkt bringen?
Auf einen einzigen Punkt lässt sie sich nicht bringen, das ist ganz sicher schon ein Teil der Lebensphilosophie: Das Leben ist vielgestaltig. Ein Moment davon ist ganz sicher die Liebe zum Genuss, eine ganz konkrete, sinnliche Liebe. Und Markhallen sind ein himmlischer Ort, ihr zu frönen … Am Ende ist es wahrscheinlich eine tiefe Liebe zum Leben. Zur Welt, zu den Menschen.

In Saint-Malo führen Sie Dupin nicht nur kulinarisch in Versuchung, sondern auch dienstlich – durch einen Mord quasi vor seiner Nase. Was genau macht ihm die Sache so schwer?
Er wird selbst Zeuge eines Mordes, er ist involviert wie noch nie. Und nimmt die von Beginn an Sache persönlich. Dadurch begeht er Fehler …

Ganz in Ihrem Element sind Sie und Dupin als Genussmenschen nicht zuletzt, weil sowohl das Mordopfer als auch die Täterin aus der Szene der Sterneküche kommen. Was zeichnet Saint-Malo in diesem Bereich aus?
Saint-Malo, Dinard, Cancale, die ganze Region ist so etwas wie das kulinarische Zentrum der Bretagne, ein einziger lukullischer Traum. Ich hatte immer schon vor, eines der Bücher im Küchenchef-Milieu spielen zu lassen – dafür gibt es keinen besseren Ort.

„Aus dem Einfachen etwas Großartiges entstehen lassen“

Wie lautet Ihre persönliche Definition von Esskultur?
Eine Werbung für das „Amiral“ in Concarneau – Dupins Stammrestaurant und sein zweites Zuhause – aus den 30er Jahren lautet: „Gourmands, gourmets et bon buveurs! – Tables abondantes et variées“ – „Für Feinschmecker, Schleckermäuler und Freunde des Weines! – Eine reichhaltige und abwechslungsreiche Küche.“ Vor allem, ganz wichtig: „Sans chichi ni flaflas – la bonne vie“: „Kein Getue und Gehabe, bloß das gute Leben.“ Die Devise der bretonischen Küche lässt sich so pointieren: aus dem Einfachen, Natürlichen etwas Großartiges entstehen zu lassen.

Und welche Zutaten braucht nach Ihrer Überzeugung oder Erfahrung ein guter Kriminalroman?
Ich habe kein Konzept, befürchte ich. Ich schreibe immer, wie ich es nenne, „nach vorne“ … Die Leidenschaft für Menschen und Dinge, in meinem Fall selbstredend: für die Bretagne. Sie ist der eigentliche Protagonist aller Bände. Zuletzt sind es ausgiebige Liebeserklärungen an sie.

Beim Stadtrundgang präsentiert der namhafteste Historiker weit und breit Saint-Malo von den schönsten Seiten – nicht ohne Widerspruch durch die Präfektin von Cȏtes-d’Armor. Was ist Ihnen an diesem kontroversen Duett wichtig? Welche Überzeugung steckt dahinter?
Immer gibt es die eine offizielle Geschichte und immer die hunderte, tausende Geschichten hinter und neben der offiziellen … Die der vielen realen, einzelnen Menschen – mich interessieren diese Geschichten immer bedeutend mehr.

In Saint-Malo kommt wohl kaum einer speziellen Form der Freibeuterei vorbei: den Korsaren. Welchen Stellenwert haben sie für die Einheimischen?
Die Korsaren – Piraten, die, von malouinischen Kaufleuten ausgestattet, mit einem offiziellen Kaperbrief des französischen Königs unterwegs waren – haben das winzige Saint-Malo über zwei Jahrhunderte zu einer Seemacht auf Augenhöhe mit z.B. England und Spanien gemacht. Unglaublich! Das prägt einen gewissen Stolz. Zu Recht.

Was waren Ihre bemerkenswertesten Entdeckungen beim Recherchieren in Saint-Malo?
Gleich gegenüber das Städtchen Dinard, sein alter, nobler Charme, die besondere Patina, elegant, aber in keinem Moment angeberisch. Man sieht und spürt die unendlichen Verfeinerungen des 19. Jahrhunderts. Dann: der Rum, den einst die Korsaren nach Saint-Malo gebracht haben. Ich mochte ihn zwar schon zuvor, aber nun um ein Vielfaches mehr. Die zauberhafte, ruhige Schönheit der Rance und Rancemündung.

Das Selbstverständnis der Einheimischen in Saint-Malo bringt ein Leitspruch zum Ausdruck: „Ni Français, ni Breton, Malouin suis“, also: „Weder Franzose, noch Bretone, Einwohner von Saint-Malo bin ich.“ Wie lautet Ihr persönliches Motto?
Vielleicht ein – sehr – bretonisches Motto: „N’eus nemet un dra a bouez: Chom bev a-hed e vuhez.“ „Das Allerwichtigste ist: lebendig zu bleiben, solange man lebt.“

Jean-Luc Bannalecs bretonische Freuden

Qual der Wahl? Oder eindeutiger Fall? Wir bitten Jean-Luc Bannalec, uns seine Favoriten zu verraten:

Lambig oder Calvados?
Natürlich der bretonische Lambig! Ein Destillat nicht nur aus bretonischen Äpfeln, sondern der gesamten Bretagne! Intensiv, hochprozentig, rau und weich zugleich.

Wein oder Rum?
Eine Wahl treffen, sagen die Bretonen, bedeutet, sich einer Sache zu berauben. Und warum, so ihr Lebensmotto, sollte man so etwas Unangenehmes tun? Also: beides. Und mehr. – Ich liebe tatsächlich beides. Und bretonischen Whisky, bretonischen Gin …

Selber kochen oder Sternerestaurant?
Im obigen Sinne: beides! Aber leider koche ich selbst nur Weniges gut.

Haute Cuisine oder Hausmannskost?
Das eine und das andre, rege wechselnd. Einmal ein Sandwich Jambon-Fromages auf einer Kaimauer sitzend, einmal ein feines Restaurant, dann eine ganz schlichte Crêperie, das „Resto“ an der Ecke, auch übermäßig gerne: eine gute Pommes-Bude …

Olivenöl oder bretonische Butter?
Das hängt von den Gerichten ab, da bin ich ausnahmsweise einmal nicht prinzipiell bretonisch. Mit gerösteten Algen: ein Gedicht! Auch die Variante mit geröstetem Buchweizen oder Fleur du sel.

Fisch oder Fleisch?
Erneut: sich keiner Sache berauben! Ein unfassbar köstliches Souris d` Agneau (Lammhaxe) vom Salzlamm und unfassbar köstliche Ormeaux-Muscheln. Die in bretonischer Salzbutter gebraten (demi-sel), lediglich mit Zitrone, frischem Pfeffer und Fleur du Sel.

Bretonische Tracht oder Ringelpulli aus der Traditionsfabrikation von „Armor Lux“?
Beides steht mir nicht, leider. 


Segelyacht oder Fischerboot?
Wieder: beides.

Ebbe oder Flut?
Eines davon alleine gibt es nicht. Zusammen machen sie das Leben aus.

Im „Océanopolis“ von Brest mit Dupin die Pinguine bestaunen oder im Atlantik schwimmen?
Auch bei der letzten Antwort: unbedingt beides. Aber: An einem heißen Sommertag im Atlantik zu schwimmen, lange und weit raus, ist das Wunderbarste überhaupt.

Rezeptbitte:

Sehr gerne! Unbedingt den Far Breton!