REKORDVERDÄCHTIG ist nicht nur Julia Kröhns Pensum als „Schreibaholic“, sondern auch ihre thematische Bandbreite. Ihre Bestseller schreibt sie in jedem Genre unter dem passenden Pseudonym – einem halben Dutzend. Sich immer wieder neu erfinden und zugleich treu bleiben: Diese große Stärke der Schriftstellerin und studierten Historikerin haben auch die Heldinnen ihres neuen Riviera-Zweiteilers, einer opulenten Familiensaga. Großes Gefühlskino über zwei Freundinnen, die einander alles sind – bis sie ihr Herz an denselben Mann verlieren.

Sie wurden anerkennend „Schreibaholic“ genannt. Wie treffend finden Sie diese Bezeichnung?
Ich glaube, ich habe diese Bezeichnung selbst in Umlauf gebracht – und sie ist absolut zutreffend. Ich kann auf nahezu alles verzichten – nur nicht aufs Geschichtenerzählen. Naja, auf Schokolade auch nicht …

Wenn man Ihre imponierende Produktivität betrachtet, dann vermutet man – neben Immunität gegen Schreibblockaden – vor allem viel Disziplin bei Ihnen. Wie würden Sie Ihren Arbeitsstil beschreiben?
Ich bin laut Pass zwar Österreicherin, aber von meiner Arbeitsmentalität her eine preußische Beamtin. Sprich: Ich arbeite zu festgelegten, auf den Schulalltag meiner Tochter ausgerichteten Zeiten. Das klingt etwas langweilig und unspektakulär – aber meine Geschichten bringen schon genug Spannung und Abenteuer in mein Leben.

Nicht wenige Schriftsteller schreiben unter Pseudonym, Sie gleich unter einer ganzen Reihe davon. Warum das denn?
Ich bin ein sehr vielseitiger, experimentierfreudiger Mensch, der sich nie nur mit einem Genre begnügen konnte. Da man Autorennamen aber mit einer bestimmten Art von Geschichte assoziiert – in Rosamunde Pilchers Cornwall läuft z.B. nie ein Axtmörder herum – war es aus verlagspolitischen und marketingtechnischen Gründen sinnvoll, meine Autorenidentität quasi zu splitten.

Anderer Name, anderes Genre, anderes Styling für Fotos und Lesungen: Wie gelingt Ihnen der Rollenwechsel? Oder sind es eher verschiedene Identitäten als Autorin? Was bewährt sich, um sich beim Schreiben stilecht zu verwandeln?
Ich schreibe grundsätzlich in Alltagklamotten, nicht in historischen Kostümen – so etwas wie den weißen Arztkittel, der auf die Rolle einstimmt, gibt es also nicht. Es ist eher die gründliche Recherche, durch die ich mich auf ein bestimmtes Thema einstimme – der Rest ergibt sich meistens von allein.

Sie folgen in Ihren neuesten Romanen Ihrer Leidenschaft: Reisen. Was beflügelt Sie daran?
Neue Länder zu entdecken ist für mich die wichtigste Inspiration überhaupt. Ideen und Geschichten springen mich stets förmlich an, wenn ich unterwegs bin.

Ihre neue Reihe führt an die Riviera. Was begeistert Sie an dieser französisch-italienischen Küstenregion?
Das Meer, das sonnige Klima, die Küche, das bergige, oft sehr schroff anmutende Hinterland, die Sprache, die pittoresken Dörfer … Ach, diese Liste könnte ich ewig fortsetzen.

Was macht die Riviera für Sie romanreif?
Einerseits ist sie eine farbenprächtige Kulisse für einen Roman über die Entstehung des modernen Badeurlaubs. Andererseits boten mir die historischen Hintergründe die Chance, viele politische Themen, die auch heute aktuell sind – Reisefreiheit, Emigration, Nationalismus –, in eine Geschichte zu verpacken.

Ihr literarisches Profil prägen historische Romane. Was macht es so faszinierend für Sie, sich in die Vergangenheit zu versetzen?
Ich finde es spannend, über den Tellerrand der eigenen Lebenswirklichkeit zu schauen, sich immer wieder bewusst zu machen, wie viel Freiheiten und Privilegien wir im heutigen Europa im Vergleich zu den Menschen früherer Epochen haben.

„Über den Tellerrand der eigenen Lebenswirklichkeit schauen.“

In Ihren Riviera-Romanen tauchen Sie tief ein in die wechselvolle Geschichte zwischen Glamour und Grauen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Welche Themen haben Sie besonders interessiert?
Mich hat zum einen die Geschichte des Tourismus fasziniert. Es war z.B. sehr spannend zu erfahren, dass das Baden im Mittelmeer sehr lange als verpönt, gar als gefährlich galt. Mir war es aber andererseits auch wichtig, keinen leichten Urlaubsroman zu schreiben, sondern auch die Themen Faschismus, Emigration und Besatzung zu behandeln. Die Möglichkeit des Reisens geht schließlich Hand in Hand mit politischer Freiheit.

Sie verbinden die Schicksale dreier Familien – aus Deutschland, Italien und Frankreich. Warum speziell diese Länder?
Deutschland ist seit fast zwanzig Jahren meine Wahlheimat, und keine anderen Länder habe ich so oft bereist wie Italien und Frankreich. Ich liebe alle drei Länder …

Im Mittelpunkt stehen die Freundinnen Salome aus Frankfurt und Ornella aus San Remo. Was verkörpern die beiden für Sie?
Salome ist die forschere, abenteuerlustige der beiden, Ornella die schüchternere, stillere, die eher auf Beobachtung statt Aktion setzt. Gerade deswegen ergänzen sie einander perfekt.

Was verbindet die zwei Freundinnen, die sich wie „sorelle“, also Schwestern, fühlen?
Beide haben sich in ihrer Kindheit oft einsam gefühlt, weil sie viel Vernachlässigung erfahren haben – nachdem Ornella dann Salome vor dem Ertrinken bewahrt, schließen sie sich eng zusammen.

Wie kommt es zu dem schleichenden Zerwürfnis zwischen Salome und Ornella?
Ornella verliebt sich in Félix Aubry, den Sohn eines französischen Unternehmers – einen Mann, bei dem sie eigentlich keine Chancen hat. Salome packt der Ehrgeiz, Ornella zu ihrem Liebesglück zu verhelfen. Nur gelten die Gefühle, die sie in Félix entfacht, leider nicht der Freundin …

Wer oder was entscheidet mehr über die Schicksale von Salome und Ornella? Die beiden selbst? Oder die politische Lage?
In den 30er-Jahren setzen Faschismus und Nationalismus der Reisefreiheit ein abruptes Ende. Salome ist willensstärker und radikaler, wenn es darum geht, gegen diese Widerstände für ihr Lebensglück zu kämpfen – Ornella jedoch die Beharrlichere und Bedächtigere.

„Der Ehrgeiz, Ornella zu ihrem Liebesglück zu verhelfen …“

Sein „Reisebureau“ vor dem Ruin zu retten, scheint für Salomes Vater Arthur das höchste Ziel zu sein. Was verlangt ihm das ab?
Das Reisebureau Sommer wird immer wieder bedroht – ob von Inflation, Kriegen oder Nationalismus. Obwohl Arthur Sommer nicht wirklich geschäftstüchtig ist, setzt er oft instinktiv aufs richtige Pferd. Nachdem der internationale Reiseverkehr nach 1935 weitgehend zum Erliegen kommt, paktiert er jedoch mit den Nazis – und hat in seiner Naivität keine Ahnung, wohin das führen wird: Während des Kriegs wird er gezwungen sein, die Fahrten der jüdischen Deportierten mit der Deutschen Reichsbahn abzurechnen.

Arthur Sommer hat eine bemerkenswerte Vorstellungskraft und ein erstaunliches Repertoire an Geschichten, die viel schillernder oder schöner als sein Alltag sind. Realitätsflucht als Rettungsanker?
Arthur ist ein Mensch, der sich oft der Realität verweigert, sich unliebsamen Wahrheiten gegenüber blind stellt und sich gerne in Traumwelten flüchtet. Das macht ihn zwar einerseits zum perfekten Reiseagenten, weil ein solcher nicht zuletzt Träume verkauft – zum anderen agiert er deswegen aber oft wenig verantwortungsvoll und vorausschauend.

Das Erzählen an sich ist ein großes Thema in Ihrem Roman. Was macht es so bedeutsam und was kann es bewirken?
Alle Figuren werden von dem Wunsch getrieben, ihre eigene Stimme zu finden. Arthur flüchtet sich in Fantasien, um sich dem Einfluss seiner Mutter zu entziehen. Ornella will mehr sein als das ungeliebte Kind ihres Vaters, Salome will ihrer Einsamkeit und dem frühen Tod ihrer Zwillingsschwester etwas entgegensetzen. Und auch Félix will letztlich Schriftsteller werden, um seinen Platz auf dieser Welt zu finden. Das Problem ist, dass er zunächst keine klare Botschaft hat, sich als Nihilist versteht, der nur verneinen kann, nichts bejahen. Erst als er die Erfahrung von Krieg, Deportation und Widerstand und natürlich auch von Liebe macht, ist er gereift genug, um endlich seinen Roman schreiben zu können, denn dann hat er etwas zu erzählen. Das berührt natürlich eine Meta-Ebene.

„Vom Wunsch getrieben, die eigene Stimme zu finden.“

Wie meinen Sie das?
Ich habe noch in keinen Roman so viele meiner politischen Überzeugungen einfließen lassen, weil es mir auch um mehr ging, als eine ansprechende, spannende Geschichte zu schreiben. Ich hatte etwas zu sagen.

Ein besonderer Fall ist Félix, der Schriftsteller werden will. Was verspricht er sich vom Schreiben?
Félix ist ein sehr unkonventioneller, individualistischer junger Mann, der sich den Erwartungen, die andere an ihn richten, gerne entzieht. In der Kunst – und eben der Schriftstellerei – sieht er ein Feld, wo er sich austoben, seinem Freiheitsdrang nachgeben kann. Ihm fehlen jedoch noch Lebenserfahrung und Reife, um klar seinen Weg zu sehen und diesen auch gehen zu können.

Ihr Romanheld Félix Aubry hat seinem sterbenden Großvater das Versprechen gegeben, dessen Lebensbilanz und geistiges Vermächtnis zu beherzigen. Wie würden Sie diese Erkenntnis auf den Punkt bringen?
Sein Großvater war Schiffsbauer. Er ist aber nach seinem eigenen Urteil immer zu nahe am Ufer geblieben, statt weit aufs offene Meer hinauszufahren. Félix soll das besser machen, d.h. er soll immer größtmögliche Freiheit anstreben, sich nicht von Ängsten einschränken lassen. Genau das tut Félix auch, allerdings schießt er dabei oft übers Ziel hinaus.

Félix konsultiert die Schriftstellerin Colette. Wie würden Sie deren Ideal vom Schreiben auf den Punkt bringen?
Für Colette ist eine Grundvoraussetzung fürs Schreiben, dass man die Liebe kennt. Ich stimme ihr insofern zu, als es die eigenen Gefühle und Lebenserfahrungen sind, die dem Schreiben Tiefe verleihen.

„Immer größtmögliche Freiheit anstreben!“

Sie schildern auch die Situation der Schriftsteller, die sich in Sanary-sur-Mer ein – unfreiwilliges – Stelldichein geben. Was verbinden Sie mit diesem Ort?
Viele der von den Nazis verfolgten Künstler und Intellektuellen ließen sich in dem Städtchen nieder, weswegen es in den 30er-Jahren oft als das „kleine Deutschland“ bezeichnet wurde. Das Schicksal dieser Emigranten, das leider nicht immer ein gutes Ende nahm, hat mich stark berührt. Ich habe mich oft gefragt, was es aus mir als Schriftstellerin machen würde, im Exil zu leben.

Wie haben Sie sich in die Vergangenheit versetzt? Wie in die Zeitstimmung der Weimarer Republik und des um sich greifenden Nationalsozialismus eingefühlt?
Ich versuche neben all der Sachliteratur stets viele Augenzeugenberichte zu lesen. Sehr geholfen hat mir überdies ein Bildband mit alten Fotografien von der Riviera, insbesondere von den Orten Saint-Tropez und Menton. Auf diese Weise bekam ich einen sehr realistischen Einblick in das damalige Alltagsleben.

Die unterschiedlichen Kulturen und Lebenswelten lassen Sie mit großer Genauigkeit bis ins kleinste Detail lebendig werden. Wie haben Sie die Beispiele ausgewählt? Was hat Sie am meisten erstaunt oder befremdet?
Sehr informativ waren für mich Reiseführer der damaligen Zeit. Mit das Skurrilste, auf das ich übrigens bei meinen Recherchen gestoßen bin: Eine Berliner Modezeitung hat Ende der 20er-Jahre einer ihrer Ausgaben Schablonen beigelegt, mit denen man Brust und Rücken bedecken sollte, ehe man sich in die Sonne legte. Hinterher sah es dann so aus, als hätte man einen Bikini getragen, sich also einen Sommerurlaub leisten können.

„Ich bin überzeugte Feministin.“

Beträchtliche Bedeutung scheint das Frauenbild zu haben, oder? Worauf kommt es Ihnen da an beim Spagat zwischen gesellschaftlicher Rollenzuschreibung und persönlicher Entfaltung?
Ich bin überzeugte Feministin. Für mich ist es wichtig, dass Frauen den Mut und die Stärke aufbringen, zu sich selbst und ihren Bedürfnissen zu stehen und dafür auch zu kämpfen. Ich möchte Romanfiguren schaffen, die dieses Streben in sich tragen – allerdings auf eine ihrer Zeit angemessenen Weise.

Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Ihren weiblichen Hauptfiguren beim Schreiben entwickelt? Welche ist Ihnen vertrauter und näher?
Die selbstbewusste Salome ist zwar die Figur, mit der ich mich besser identifizieren kann, deren Charakter mir einfach näher ist. Die Entwicklung, die Ornella nimmt und die erst am Ende des zweiten Bands in ihrer ganzen Tragweite zu erkennen ist, ist aber die faszinierendere.

Stellen Sie sich bitte mal vor, Sie selbst hätten in der Welt Ihrer Riviera-Romane einen Sommer lang Ihr Schicksal zu meistern. Welche Rolle würden Ihnen wohl am meisten liegen? Warum?
Salome betätigt sich im Jahr 1938 als Fluchthelferin: Sie bringt jüdische Emigranten, die Mussolini nicht länger in Italien dulden will, über die französische Grenze. In dieser Rolle ist sie mir am sympathischsten und angesichts meiner politischen Überzeugungen würde ich diese auch gerne ausfüllen. Ob ich das aber auch wirklich schaffen würde, traue ich mich vom bequemen Sofa aus nicht zu behaupten.

Würden Sie – ohne zu viel zu verraten – das Ende des zweiten Riviera-Romans als Happy End bezeichnen?
Für mich endet die Geschichte mit einem Happy End, wenn auch mit keinem klassischen „Alles ist gut“. Wir schreiben schließlich das Jahr 1945, und da ist nun mal gar nichts gut. Aber fast alle Figuren haben zu sich gefunden, ja, sind über sich hinausgewachsen und finden nun einen gewissen Frieden.

Schwebt Ihnen ein dritter Band vor?
Im Moment nicht. Der zweite Teil endet letztlich sehr positiv, nämlich mit einem großen Traum: Dem Traum von einem grenzenlosen Europa, in dem Reisen wieder möglich sein wird. Während Salome 1945 noch keine Ahnung hat, ob sich dieser Traum erfüllen wird, weiß der Leser, dass genau das passieren wird. Mein Roman ist insofern nicht nur eine Liebeserklärung ans Reisen – sondern auch an ein geeintes Europa.