ATLANTA IST NICHT nur berüchtigt als eine der gefährlichsten Städte der USA, sondern auch berühmt als Metropole meisterhafter Spannungsliteratur – dank Karin Slaughter. Ihre Heimatstadt ist für die Nummer-1-Bestsellerautorin unerschöpfliche Inspirationsquelle und bevorzugter Schauplatz ihrer internationalen Erfolge. In den letzten 20 Jahren hat sie 20 Bücher geschrieben – jedes Mal sind ihr begeisterte Kommentare von Schriftstellerkollegen rund um den Globus sicher: „Karin Slaughter zählt zu den talentiertesten und stärksten Spannungsautoren der Welt“, so Yrsa Sigurðardóttir. Sebastian Fitzek: „Gäbe es eine Hall of Fame für Thriller, würde ich ihr dort einen Ehrenplatz einräumen.“ Aus dem Herzen spricht er damit allen Fans der Georgia-Reihe um die Gerichtsmedizinerin Sara Linton, Special Agent Will Trent und sein Team vom Georgia Bureau of Investigation (GBI).

Wird Ihnen beim Schreiben manchmal angst und bange? Oder hilft es Ihnen, Ihre furchtbarsten Vorstellungen zu verarbeiten und Furcht zu bezwingen?
Angst habe ich nicht, ich weiß ja, was passieren wird. Aber bange wird mir, wenn ich die Nachrichten einschalte.

Schon mit Ihrem Debütthriller „Belladonna“ begann ihr Erfolg – und zugleich die Diskussion über Ihre drastischen Darstellungen, auch und gerade von Gewaltszenen. Hardcore, hieß es. Was macht Ihnen diese Detailgenauigkeit so wichtig?
Ich glaube, es ist wichtig, die Details zu kennen, damit man versteht, was für Menschen meine Charaktere sind. Und außerdem: Nicht darüber zu sprechen hat nie verhindert, dass Gewalt geschieht.

Am meisten dürften Sie viele Leser mit dem Bekenntnis verblüffen, dass Sie ja eigentlich Liebesgeschichten schreiben. Wie würden Sie uns das genauer erklären?
Die Beziehungen sind das Gegengewicht zum Horror der Verbrechen. Es ist wichtig, die Leichtigkeit und die Liebe zu zeigen inmitten all dieser schrecklichen Dinge, die da passieren.

Seit Ihrem Thrillerdebüt „Belladonna“ haben Sie die Geschichte Ihrer Helden über inzwischen nahezu 20 Jahre fortgeschrieben. Wie fühlt es sich für Sie an, so lange in Ihrer „Grant County“-Welt Ihrer Georgia-Thriller zu leben?
Einfach wunderbar – nach wie vor! Es hat mir die Möglichkeit gegeben zu zeigen, wie Sara Linton sich entwickelt und verändert – und die habe ich ergriffen.

Was war eigentlich der Urknall für „Grant County“?
Ich habe mit Sara angefangen, weil ich auf sie all das projizieren konnte, was ich bewundere: Sie war Ärztin, sie war sehr groß. Und sie hatte ein erstaunliches Sexleben.

Was macht Atlanta zum perfekten Ort für Sie? Inwiefern erweist sich Ihre Heimatstadt als ideale Inspirationsquelle für Ihre Thriller?
Ich liebe Atlanta! Die meisten Verbrechen hier haben mit Banden und Drogen zu tun – und darüber schreibe ich ja eigentlich nicht. Aber die Atmosphäre der Stadt ist äußerst dynamisch. Wir haben hier eine großartige Mischung verschiedener Kulturen. Das ist eine wundervolle Palette, um eine interessante Story zu erfinden.

„Typisch für die ameri­kanische Seele, nach Erlösung zu suchen“

Das Wappentier von Atlanta ist ein Phoenix. Und wie Phoenix aus der Asche kommen einem auch etliche Ihrer Charaktere vor, besonders die Hauptfiguren. Was möchten Sie ergründen?
Ich glaube, wir alle brauchen Menschen, die furchtbare Dinge erdulden und gestärkt daraus hervorgehen. Und es ist ein spezifischer Teil der amerikanischen Seele, nach Erlösung zu suchen.

Im Mittelpunkt Ihrer „Grant County“-Fälle steht die Gerichtsmedizinerin Dr. Sara Linton und das Polizeiteam vom Georgia Bureau of Investigation (GBI). Was ist Ihnen wichtig bei der Zusammenstellung und Entwicklung Ihres Teams? Und haben Sie dabei reale Vorbilder?
Ich stütze mich eigentlich nicht auf Personen aus dem wirklichen Leben. Stattdessen habe ich verschiedene Merkmale vereint, von denen ich annehme, dass sie jeden Charakter interessant machen. Natürlich sehe ich zu, dass sie so echt wie möglich ausfallen – und echte Menschen haben echte Probleme.

Inwiefern verstehen Sie Ihre „Grant County“-Welt auch als Gesellschaftsporträt?
Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen. Deshalb weiß ich, wie abgeschottet und argwöhnisch man da sein kann. Das ist einer der Gründe, warum ich mich entschieden habe, über Will Trent in Atlanta zu schreiben: Es gab mir jede Menge Möglichkeiten, die üblen Typen zu verstecken.

Ihrem neuen Thriller „Die verstummte Frau“ haben Sie Passagen aus „Trouble me“ von 10.000 Maniacs vorangestellt. Was macht diesen Song zum perfekten Intro für Ihr Buch?
Der Song passt wunderbar, weil er ein Thema anspricht, das sich durch mein ganzes Buch zieht: Will und Sara reden über bestimmte Dinge nicht miteinander, weil sie einander nicht beunruhigen wollen. Und „Trouble me“ bedeutet genau das: „Beunruhige mich.“ Und vor allem: „Sprich mit mir, sag mir, was du auf dem Herzen hast.“

Musik scheint für Sie – persönlich und literarisch – generell eine große Bedeutung zu haben. Welche?
Einige der größten unvergänglichen Geschichten der Welt werden durch Musik erzählt. Ich mag besonders Country-Musik, Dolly Parton zum Beispiel. Ich liebe Songs, die eine Geschichte erzählen.

„Songs versetzen mich in Schreiblaune.“

Wie entsteht eigentlich die Musikauswahl für Ihre Thriller?
Während der zweistündigen Fahrt zu meiner Hütte, in der ich schreibe, höre ich mir gewöhnlich die Songs auf meiner Playlist an, um mich in Schreiblaune zu versetzen. Aber beim Schreiben selbst kann ich keine Musik hören, weil ich nicht zwei Dinge gleichzeitig tun kann.

„Die verstummte Frau“ ist der neue und insgesamt zehnte Fall für Special Agent Will Trent. Was macht diesen Charakter und seine persönliche Geschichte für Sie besonders interessant?
Will Trent ist ein stark beschädigter Mensch. Ein Teil seines Heilungsprozesses besteht darin, anderen Menschen zu helfen.

Sie führen Will Trent und seine Kollegin Faith Mitchell ins „Phillips State Prison“ – ein Gefängnis, das wie eine Art Parallelwelt mit eigenen Gesetzen wirkt. Was hat Ihr Interesse an diesem Schauplatz geweckt?
Im „Phillips State Prison“ fand vor einigen Jahren eine Razzia statt, die einen riesigen Skandal verursachte – deshalb hatte ich das Gefängnis in Erinnerung. Aber ich schreibe gern über Gefängnisse, weil sie zeigen, wie grauenvoll wir Menschen behandeln, die Gesetze übertreten haben, und wie unmöglich wir es ihnen machen, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren, nachdem sie ihre Schuld abgebüßt haben.

Wo haben Sie Einblicke gewonnen, was sich hinter Gefängnismauern abspielt? Im realen „Phillips State Prison“ in Buford, eine Autostunde von Atlanta entfernt?
In einer ähnlichen Einrichtung. Gefängnisse sind im Allgemeinen gleich, was die Atmosphäre und die Ausstattungsstandards angeht. Meine Erfahrungen beruhen auf einem Besuch eines Staatsgefängnisses in Georgia.

„Gefängnisse – extrem brutale Orte“

Wofür steht der an Grausamkeit kaum überbietbare Mord im Gefängnis für Sie? Was entlarvt diese Tat?
Gefängnisse können extrem brutale und gewalttätige Orte sein. Wir machen sie noch mehr dazu – durch die Art, wie wir die Insassen behandeln.

Der Mordfall löst eine Kettenreaktion aus. Welche Gewissheiten und Grundfesten werden da erschüttert?
In erster Linie war es meine Absicht, am Beispiel von Jeffrey Tolliver – bekannt als sehr guter Mensch und sehr guter Polizist – die Frage zu stellen: Was würde es bedeuten, wenn er in der Hoffnung auf einen Ermittlungserfolg die Regeln beugt und das Gesetz bricht, also in Wirklichkeit im Unrecht wäre?

Der Gefängnismord und die Folgen sind für Will Trent und die Gerichtsmedizinerin Sara Linton nicht nur eine berufliche Bewährungsprobe, sondern auch privat. Wodurch?
Wesentlich ist, dass die Fälle mit dem, was mit den Figuren vor sich geht, eng zusammenhängen. Ich möchte das Verbrechen verwenden, um darüber zu reden, wie es auf wirkliche Menschen und ihr Umfeld wirkt.

Was ist für Sie das Reizvolle oder literarisch Vielversprechende an der Beziehung zwischen Sara Linton und Will Trent?
Speziell in diesem Buch sieht man eine andere Seite Saras, weil Will wirklich angepisst von ihr ist und sie völlig die Fassung verliert. Es hat mir ziemlich Spaß gemacht, diese Seite ihrer Persönlichkeit zu schildern, die sich nie zuvor bemerkkbar gemacht hat.

Ziemlich am Anfang der Geschichte fragt sich Will, ob die Frauen um ihn herum den Verstand verloren haben oder ob er der Idiot ist. Was macht ihn so ratlos?
Ich glaube, es sind nicht nur die Frauen. Will hat Schwierigkeiten zu verstehen, warum Menschen tun, was sie tun, weil er immer so abgeschottet gelebt hat.

Die letzte Szene ist kein Hollywood-Happy-End, sondern fast noch schöner. Worauf kam es Ihnen dabei an? Wie würden Sie Glück definieren?
Ich glaube, Glück kommt dann, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Und bevor man so weit ist, kann man auch mit anderen kein Glück erleben.

Karin Slaughters passende Spotify-Playlist finden Sie hier: