Der Globetrotter Per J. Andersson hat seine Berufung als Reiseschrift­steller gefunden. Einen Namen machte er sich in seiner schwedischen Heimat als Gründer und Autor des führenden Reise­magazins „Vagabond“, international durch Bestseller wie „Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um seine große Liebe wiederzufinden“. Für sein aktuelles Buch ist Andersson seiner großen Leiden­schaft gefolgt: Bahnreisen. Weltweit die spannendsten Strecken entdecken – all inclusive: Abenteuer, Begegnungen, grandiose Panoramen und viele Extras. Das Ziel: Unterwegs das Klima schonen und viel erleben!

Das Reisen scheint für Sie ein Grundbedürfnis zu sein. Welche Bedeutung hat es genau?
Es ist der Wunsch, Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund kennenzulernen. Und ein stärkeres Gefühl von Gegenwärtigkeit zu erleben, was bedeutet, sich der Umgebung stärker bewusst zu werden.

Wie lässt sich Ihre persönliche Reisephilosophie auf den Punkt bringen?
Reise langsam – und am besten mit dem Zug. Erkunde die Pfade abseits der ausgetretenen Spur. Meide die großen Attraktionen. Sei spontan. Und halte dich an jedem Ort länger auf.

Zum Weltenbummler wurden Sie schon als Teenager. Was stand am Anfang?
Als ich ein Kind war, unternahmen meine Eltern mit mir Reisen im Mittelmeerraum, einschließlich monatelangem „Island Hopping“ in Griechenland. Ich glaube, das löste mein Interesse am Reisen aus.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre erste Reise als Teenager? Was war das Unvergesslichste?
Eine Reise mit einem Freund nach Israel, als ich 18 war. Wir landeten in einem Kibbuz und blieben drei Monate dort. Unvergesslich und geradezu süchtig machend waren die Basare in der Jerusalemer Altstadt und das Campen an den Stränden des Roten Meers.

„Mein Ideal: Spontan sein!“

Wie würden Sie sich als Reisetyp beschreiben?
Mein Ideal ist es, spontan zu sein. Mit meinen Interrail-Touren ist mir das gelungen.

Und wie hat sich in all den vielen Jahren Ihre Haltung zum beziehungsweise beim Reisen entwickelt und gewandelt?
Inzwischen bin ich weniger darauf aus, neue Orte zu entdecken. Ich kehre lieber an die Orte zurück, an denen ich schon mal war, um sie noch genauer kennenzulernen. Und gelegentlich plane ich meine Reisen stärker im Voraus.

Sie sind Mitbegründer von Schwedens bekanntestem und führenden Reisemagazin „Vagabond“. Was zeichnet es aus?
Es ist ein Magazin für Reisende, die die reale Welt abseits der touristischen „Hotspots“ entdecken wollen.

Unter all Ihren vielen Reisezielen hat Indien einen besonderen Stellenwert. Was zieht Sie da seit 1983 immer wieder hin?
Indien hat so viele verschiedene Kulturen und so viele Facetten, dass man nie damit an ein Ende kommt. Inder sind so kommunikativ. Irgendwie ist Indien wie ein eigener Planet in einem Paralleluniversum. Ich reise gern zu anderen Planeten.

Es heißt ja: Die schönsten Geschichten schreibt das Leben. Ein besonderes Beispiel erzählen Sie in Ihrem Bestseller „Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden“. Was fasziniert Sie persönlich so an der Geschichte? Wodurch beeindruckt Sie der Titelheld?
Zu allererst sein Lebensthema, seine Entwicklung gewissermaßen vom Tellerwäscher zum Millionär, sein Erfolg, obwohl eigentlich alles gegen ihn war. Dann seine Begegnungen mit all den Menschen unterwegs, wodurch seine Lebensgeschichte an den Spielfilm „Forrest Gump“ erinnert.

Was war bei Ihnen selbst die verrückteste Aktion, um von einem Ort zum anderen zu kommen?
Nicht die verrückteste, aber die, die sich mir am meisten einprägte: auf einem Kamelrücken mit einem roten Turban auf dem Kopf durch die große indische Wüste.

Und was ist für Sie als Weltenbummler die wichtigste Art der Mobilität?
Wandern, Radfahren und nicht zuletzt Zugfahren.

Im Vorwort berichten Sie von der Einladung zu einem Literaturfestival auf Bali. Inwiefern wurde das zur Stunde der Wahrheit oder zur Weichenstellung für Sie?
Ich hatte mir zwar schon früher Gedanken gemacht über den Zusammenhang zwischen Flugreisen und dem Klimawandel, aber auf der Rückreise von Bali, wo ich weniger als eine Woche war, kam es mir vor, als würde ich die Angst vor dem Klimawandel in meinem ganzen Körper spüren.

„Nimm den Zug und du merkst, wie die Sorgen nachlassen …“

Was war der Auslöser zu Ihrem neuen Buch?

Das Reisen in Europa mit dem Interrail-Ticket in den 80ern, als ich ein Teenager war, löste meine Liebe für Abenteuer auf Schienen aus. Jetzt, wo die Sorgen über den Klimawandel zunehmen, wollte ich zeigen, dass das Reisen keineswegs zu Ende sein muss. Nimm den Zug und du merkst, wie die Sorgen nachlassen und wie du ein unglaubliches Glücksgefühl entdeckst.

Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe als Reiseschriftsteller?

Ich möchte einen Sinn wecken für das Wunder, das die Welt darstellt, und für die multikulturelle Fremdheit unter dem glänzenden Lack, mit dem die Globalisierung alles überzieht.

Am Anfang Ihres neuen Buchs lassen Sie eine Reiseerinnerung aus ihrer Kindheit lebendig werden. Fünf waren Sie damals und in Begleitung Ihrer Großmutter. Was war das Besondere?

Am meisten war es das Abenteuer. Nur ich und meine Großmutter, wie wir in der großen weiten Welt außerhalb meines Heimatortes umherfuhren. Ganz ohne meine Eltern.

Ähnlich wie anno dazumal die Reisekiste mit Eisenbeschlägen oder heute der Rollkoffer sollte ein Reiseführer alles enthalten, was unterwegs nützlich ist. Welche Inhalte sind Ihnen da bei Ihrem Buch wichtig gewesen?

Ich wollte einen Hintergrund zur Geschichte des Reisens mit der Bahn vermitteln. Zugleich wollte ich meine Leser mitnehmen in die Welt – auf spannende und exotische Reisen mit dem Zug. Und ich wollte die Leser mit praktischen Reisefakten versorgen, so dass sie den Eindruck bekämen: „Ja, das ist möglich.“

Mit welchen Stichworten und Orten oder Regionen würden Sie die Bandbreite Ihres Buches abstecken?

Ich habe diejenigen Weltgegenden gewählt, in denen ich schon früher einmal mit dem Zug unterwegs war. Während der Recherche- und Schreibphase habe ich einige neue Reisen unternommen, z.B. in den USA, in Indien, der Schweiz und Großbritannien.

Sie verbinden Ihre aktuellen Reiseerfahrungen mit Exkursen in die Kulturgeschichte des Reisens, die Architektur der Bahnhöfe, die Industrialisierung und vieles mehr. Wie würden Sie Ihr Spektrum beschreiben?

Ich wollte assoziativ schreiben und ein Gesamtbild entwerfen. Beim Eisenbahnreisen geht es um so vieles, z.B. um Industrie, Kolonialismus, Berufspendler, Tourismus. Und es ist ein Katalysator für die Literatur und den Film, wo es dann um unerwartete Begegnungen, um Liebe und Mord geht …

Auf der ersten Tour versetzen Sie Ihre Leser in eine fast idyllische Sommerstimmung – unterwegs nach Wales mit der „Cambrian Line“. Was macht für Sie ihren Zauber aus?

Eisenbahngeschichte. Exotische walisische Kultur. Malerische Landschaft mit Meer und salziger Brise und typische britische – oder vielleicht walisische – Piers.

Was macht Sprache für Sie generell so faszinierend? Was macht Ihnen beispielsweise Vergnügen an Worten wie „Snälltog“?

„Snälltog“ war der Ausdruck, den wir aus dem Deutschen übernommen haben, um bestimmte Züge zu bezeichnen. Aber „snäll“ heißt im Schwedischen nicht nur „schnell“, sondern auch „freundlich“. So dachte ich als Kind, die Leute meinten freundliche Züge statt schneller Züge.

„Wein trinken, während die Welt vorübersaust …“

Ihre Kapitelüberschriften wie „Eisenbahn für alle“ verweisen auf die große Zielgruppe, die Sie mit Ihrem Buch begeistern möchten. Wie würden Sie die beschreiben? Welche Kreise finden ihr Reiseglück mit dem Zug?
Grundsätzlich jeder, der sich das Anstehen bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen ersparen will oder den das ermüdende Autofahren über lange Strecken abschreckt. Jeder, der gern ein Glas Wein im Speisewagen trinkt, während die Welt vorübersaust.

Ein besonderes Kapitel ist das Bahnfahren mit Kindern. Was empfiehlt sich nach Ihrer Erfahrung als vierfacher Vater?
Meine Kinder mögen Interrail, eine Form des Reisens, bei der man z.B. in Venedig ist und sagen kann: „Ach, machen wir’s anders, lassen wir Paris aus und fahren stattdessen in die Alpen.“ Und das ohne zusätzliche Kosten. Die Möglichkeit, spontan zu sein, ist perfekt für junge Leute und ihre Kinder.

Eines Ihrer Kapitel widmen Sie dem Mythos Orient-Express. Was fasziniert Sie daran?
Es ist der Zug, um den sich die meisten Mythen ranken. Das reichte, um mein Interesse zu wecken. Ich bin mit normalen Zügen auf der Strecke des Orientexpress gefahren und habe mir dabei den Luxus und den Glanz der Belle Epoque vorgestellt. Ein Besuch im Restaurant „Le Train Bleu“ am Gare de Lyon brachte mich in die richtige Stimmung, ehe ich in den Zug nach Osten stieg. 

Unterwegs haben Sie nicht nur die Sonnenseiten im Blick. Welche Perspektive nehmen Sie ein?
In Südasien gibt es eine Diskussion darüber, warum die Briten einst Eisenbahnen bauten. Es geschah bekanntlich, um den Gewinn für die weißen Gentlemen in London zu steigern. Heute baut China Eisenbahnen in Zentralasien, Europa und Afrika. In vieler Hinsicht ist das gut, aber Länder, besonders ärmere, werden so durch Peking in eine Schuldenfalle gelockt.

„Pünktlicher als die meisten Fluglinien“

Im siebten Kapitel kommen Sie auf einen verbreiteten Vorbehalt zu sprechen: „Auf die Bahn ist kein Verlass.“ Ein Vorurteil? Oder berechtigte Kritik?
Beides. In verschiedenen Ländern gibt es ein Problem mit der Pünktlichkeit, weil die Instandhaltung der Gleise vernachlässigt wird. Zugleich aber zeigt die Statistik, dass Züge beispielsweise in Schweden, Deutschland und Großbritannien pünktlicher sind als die meisten Fluglinien. Von der Bahn erwartet man einfach größere Pünktlichkeit.

Welche Bahnerlebnisse haben Sie am meisten beeindruckt oder verblüfft?
Der Bernina-Express von Chur in der Schweiz nach Tirano in Italien und der „South West Chief“ von Chicago nach Los Angeles. 

Wie trägt das Zugfahren für Sie dazu bei, die Welt mit anderen Augen zu sehen?
Der Zugreisende bekommt eine bessere Vorstellung von der Geografie als der Flugreisende und es wird ihm klar, wie alles miteinander zusammenhängt.

Was ist für Sie das Einzigartige am Bahnfahren?
Die Möglichkeit herauszufinden, wie sich die Landschaft allmählich ändert, während man an Gebirgen, Ebenen und Wäldern vorbeifährt. Und dass man andere Reisende treffen kann, was so viel einfacher ist als bei jedem anderen Transportmittel.

Per J. Anderssons persönliche Bahnreise-Statistik:

Zurückgelegte Kilometer per Bahn auf Recherchereisen: Ungefähr 200.000 km

Verpasste Züge: 0

Ausgefallene Züge: 1

Verspätungen: Viele, vielleicht 20 Mal

Längste Verspätung 4 Stunden in Nasik in Indien

Verständlichste Lautsprecher-Durchsagen: in Indien

Undeutlichste Durchsagen: in Thailand

Freundlichstes Bahnpersonal: Amtrak in den USA

Bestes Bordrestaurant: Amtrak

Abenteuerlichstes Gericht im Speisewagen: Gekochter Tintenfisch in einem Fernzug in Thailand

Bevorzugter Drink: Falls erhältlich: ein Glas Côtes du Rhône

Nervennahrung:  Ein Apfel und eine Thermoskanne mit schwarzem Kaffee

Anzahl der Zugbekanntschaften, die ich gern wieder treffen möchte und mit denen ich Mailadressen oder Telefonnummern ausgetauscht habe:  Mehr als 100