Großartige Bücher schreibt die New Yorker Schrift­stellerin Sigrid Nunez schon seit Langem, aber nun ist sie „über Nacht berühmt geworden als Titanin der ameri­kanischen Gegenwarts­literatur“ (New York Times): Ihr neuer Roman „Der Freund“ ist ein über­wältigender Erfolg, eroberte die US-Bestseller­listen und wurde mit dem National Book Award 2018 ausgezeichnet. Leser wie du und ich, Schrift­steller­kollegen und Kritiker überbieten sich mit Lobes­hymnen. „Nunez besitzt ein meister­haftes psychologisches Gespür“ (The New Yorker). Für Gary Shteyngart ist sie „eine der schwindel­erregend genialsten Autorinnen überhaupt“. Ein facetten­reiches, feinfühliges Meister­werk über die heilsame Kraft, die Mensch und Hund verbindet.​

Am Anfang Ihres Romans steht die Erzählerin vor einem Abschied. Wie würden Sie die Ausgangssituation auf den Punkt bringen?
Am Anfang verliert die Erzählerin ihren besten Freund und Mentor, der wie sie Schriftsteller ist und sich für sie völlig überraschend das Leben nimmt. Sie ist in einem Schockzustand, sie ist in tiefer Trauer, und kann darüber hinaus erst einmal gar nichts weiter empfinden.

Der Hund Apollo, der dann in ihr Leben tritt, verkörpert eine wichtige Weichenstellung. Was löst er aus?
Der Freund hinterlässt ihr Apollo, seine Dogge, für die sie, die Erzählerin, nun auf einmal die Verantwortung trägt. Der Hund ist riesengroß, es ist recht aufwändig, sich um ihn zu kümmern, und auch er ist emotional mitgenommen, weil er nicht versteht, warum sein Herrchen plötzlich verschwunden ist. Die Erzählerin nimmt den Hund in ihrer kleinen Wohnung in Manhattan auf, in der es nicht erlaubt ist, Tiere zu halten. Sie setzt sich damit also dem Risiko aus, die Wohnung zu verlieren und rausgeworfen zu werden.

„Ich wollte, dass der Hund zur großen Herausforderung wird.“

Warum haben Sie ausgerechnet eine Dogge gewählt?
Ich fand Doggen schon immer besonders schön und edel. Außerdem wollte ich, dass der Hund die Erzählerin vor eine große Herausforderung stellt und ihr viel mehr abverlangt als, sagen wir, ein kleiner Schoßhund das vermocht hätte.

Eigentlich glaubt sich Ihre Erzählerin sicher zu sein, dass ein Haustier weder in ihr Leben noch in ihre kleine Wohnung passt und dass ihr Katzen sympathischer sind als Hunde. Ihre persönliche Vorliebe?
Ich mag Hunde sehr, aber Katzen mag ich eigentlich noch lieber. Leider habe ich im Moment keine eigenen Haustiere. Ich finde aber, dass Katzen und Hunde wunderbare Gefährten für Menschen sind und wir uns glücklich schätzen können, dass sie uns so viel geben. Wir sollten Tiere auch viel öfter für therapeutische Zwecke einsetzen, zum Beispiel in Heimen, Traumazentren oder Kliniken. Tiere um sich zu haben, ist etwas sehr Tröstliches, gerade für Menschen in schwierigen Lebenssituationen.

„In ,Der Freund‘ sind Elemente aus meinem Leben eingeflossen.“

„Der Freund“ ist nicht nur die Geschichte des Titelhelden, sondern vor allem auch der Frau, aus deren Perspektive Sie erzählen. Beruflich dürfte sie ein ähnliches Profil haben wie Sie. Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie zwischen Ihnen beiden?
Wie in jedem Buch, das ich geschrieben habe, sind auch in „Der Freund“ Elemente aus meinem eigenen Leben eingeflossen. Mich verbindet mit der Erzählerin, dass ich wie sie in New York City lebe und hier an der Uni Schreiben unterrichte. Wir leben beide allein, wir empfinden viele Dinge sehr ähnlich, haben den gleichen Blick auf die Welt. Zugleich ist natürlich vieles an ihr erfunden.

Wo schreiben Sie am liebsten?
Ich schreibe am liebsten zu Hause, aber manchmal gehe ich zum Schreiben auch in die Bibliothek. Von Zeit zu Zeit verbringe ich auch mal einen Monat gemeinsam mit anderen Schriftstellern in Künstlerresidenzen, wo wir gemeinsam leben und arbeiten. Dort fühle ich mich oft besonders produktiv.

Um sich die Welt zu erklären, zitiert die Erzählerin alle möglichen Bücher und Autoren. Sie selbst auch? Welche Dichter und Denker sind Ihnen besonders wichtig?
Ich habe von anderen Autoren extrem viel gelernt. Das ist ja auch einer der Hauptgründe, warum man überhaupt liest: Literatur hilft uns, die Welt zu verstehen, und die Liste an Autorinnen und Autoren, die mir wichtig sind, ist endlos lang. Diejenigen, die auch im Roman zitiert werden, sind mir besonders wichtig: Rainer Maria Rilke, Virginia Woolf, Mary Flannery O’Connor, Milan Kundera und J. M. Coetzee.

„Lesen und Glücklichsein war für mich ein- und dasselbe.“

Ziemlich am Anfang wird Georges Simenon erwähnt, als es um die Beweggründe geht, Schriftsteller zu werden. Wie war das bei Ihnen?
Ich kann mich gar nicht daran erinnern, je nicht geschrieben zu haben. Es hat alles damit angefangen, dass mir als kleines Kind vorgelesen wurde, was mir viel Freude bereitet hat. Als ich dann selbst lesen konnte, wurde das zu meiner Lieblingsbeschäftigung. Lesen und Glücklichsein war für mich ein- und dasselbe. Von da an war es nur eine Frage der Zeit, bis ich angefangen habe, kleine Geschichten und Gedichte zu schreiben. Dabei bin ich dann geblieben, das war es, was ich immer machen wollte.

Ob in den Szenen mit dem Hund oder direkt am Anfang auf der Trauerfeier für den verstorbenen Freund, die zum Jahrmarkt der Eitelkeiten wird: Wie wichtig sind Ihnen Situationskomik und Selbstironie?
Ich beschreibe die Dinge eigentlich immer genauso, wie ich sie wahrnehme. Wenn dabei Situationskomik und Selbstironie entstehen, umso besser, aber ich mache mir vorher keine Gedanken dazu.

Würden Sie sagen, „Der Freund“ hat ein Happy End?
Ich würde sagen, es gibt ein Happy End und dann auch wieder nicht. Man könnte das wahrscheinlich ganz allgemein über den Roman sagen: Einige Teile sind traurig, andere heiter bis glücklich.