AMERIKAS FÜHRENDER Tech-Journalist Steven Levy ist seit dem Anbruch des Computer-Zeitalters vertraut mit den führenden Köpfen und bahnbrechenden Entwicklungen. Als bestinformierter Insider gilt er auch im Fall Facebook, einem der einflussreichsten und zugleich umstrittensten Unternehmen unserer Zeit. Wie wohl kein Zweiter hat Levy direkten Zugang und führte mehr als 300 Interviews: z.B. mit Mark Zuckerberg über dessen Strategien. Einzigartige Einblicke!

Ihre Karriere als Tech-Journalist begann Mitte der 70er Jahre um die Geburtsstunde einiger der heute wichtigsten Unternehmen. Man kann fast sagen, Sie waren in der Ideenschmiede dabei, oder?
Als ich 1981 zum ersten Mal mit der Computerrevolution in Berührung kam, war ich nicht nur von der Unausweichlichkeit ihres Eindringens in unseren Alltag beeindruckt, sondern auch vom populistischen Geist derer, die die Bewegung vorantrieben. Ich hatte den Optimismus und Idealismus der sechziger Jahre erlebt und sah denselben Geist in der aufstrebenden Welt der Personal-Computer.

Ihr 1984 veröffentlichtes Buchdebüt „Hackers: Heroes of the Computer Revolution“ gilt noch als aktuell. Sie haben damals als Erster eine Hacker-Ethik formuliert. Was verstand man 1984 unter „Hacker“?
Im Jahr 1984 war der Begriff „Hacker“ in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Manche verstanden darunter eine Art programmierungssüchtigen Verlierer. Unter Computerleuten aber hatte es die positive Konnotation eines Programmierers, der davon getrieben war, erstaunliche Dinge zu schaffen, auch wenn das bedeutete, die Regeln zu beugen. Ich bin immer wieder überrascht, wie gut die Hacker-Ethik, wie ich sie skizziert habe, noch immer diesen Typus beschreibt. Nach dieser Definition haben wahre Hacker unsere heutige Kultur geschaffen.

Wie würden Sie den Zeitgeist von damals und das Lebensgefühl in der Computerszene auf den Punkt bringen?
Damals begann das große Geld in die Szene zu fließen, der Zusammenprall zwischen Idealismus und Kommerz begann gerade erst. Man konnte es an den Spannungen zwischen Steve Jobs und Steve Wozniak oder zwischen Bill Gates und den früheren Hardware-Hackern sehen. Die großen Köpfe der künstlichen Intelligenz (Minsky, McCarthy) waren in der Wissenschaft verwurzelt und die heutigen „intelligenten“ Produkte lagen noch in der fernen Zukunft.

Zwischen den abenteuerlichen Anfängen der Aktivisten in den 70ern und den Facebook-Gründern um Mark Zuckerberg von 2004 liegen Jahrzehnte. Worin bestehen die gravierendsten Unterschiede?
In gewisser Hinsicht sind sie sich sehr ähnlich: Sowohl bei den frühen M.I.T.-Hackern wie auch bei den frühen PC-Pionieren und bei Zuckerberg sehen wir die gleiche Besessenheit, Dinge zu erschaffen und sich die Macht der digitalen Technologie nutzbar zu machen. Facebooks S-1 (das Dokument, das den Börsengang markierte) enthielt Zuckerbergs Ode an das, was er „The Hacker Way“ nannte. Was anders ist, ist die Entstehung eines ausgetretenen Pfades, auf dem diese reine Sehnsucht in Verbindung mit dem Aufbau eines Multimilliarden-Dollar-Unternehmens erblüht, das den Anforderungen des Kommerzes gerecht werden muss.

„Mark ist entscheidungsfreudig und stur.“

Kennengelernt haben Sie Mark Zuckerberg 2006, zwei Jahre nach der Gründung von Facebook. Was zeichnet ihn aus?
Positiv: Mark hat einen unglaublichen Fokus und ein feines Gespür dafür, was bei seinen Anwendern ankommt. Er ist entscheidungsfreudig und denkt langfristig. Nicht so positiv: Er war bereit, rücksichtslose Schritte zu unternehmen und sich erst später mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen, etwas, das bei einem großen Unternehmen problematisch ist. Und er ist stur.

Seit 2006 schreiben Sie über die Höhen und Tiefen bei Facebook. Was fesselt Ihr Interesse?
Facebook ist beispiellos in der Geschichte der Menschheit, wenn es darum geht, Milliarden von Menschen zu verbinden. Die Konsequenzen daraus enthalten faszinierende Lektionen für jeden von uns.

Wie würden Sie Zuckerbergs Unternehmensphilosophie und seine Hauptstrategie auf den Punkt bringen?
Er pflegte es am Ende jeder Betriebsversammlung zu wiederholen: „Dominanz!“

Bei ihren Besuchen in der Facebook-Firmenzentrale sind Ihnen Poster mit Botschaften aufgefallen, beispielsweise: „Sei ein Nerd“. Wie interpretieren Sie das?
Zuckerberg sieht Facebook als ein technisches Unternehmen, das an jede Situation mit einer technischen Denkweise herangeht.

Zuckerbergs Motto lautet: „Move Fast and Break Things“. Ihre Deutung?
Im wahrsten Sinne des Wortes bedeutete dies, dass häufig Updates für Funktionen von Facebook vorgenommen wurden. Diese wurden sogleich freigeschaltet und die durch sie verursachten Probleme erst später behoben. Aber es symbolisierte auch das rücksichtslose Streben nach Wachstum, bei dem sich mit den Folgen erst später auseinandergesetzt wird. Dieses Motto wurde auf hunderten von Postern gedruckt, die an den Wänden der Zentrale hingen und war Teil der offiziellen Säulen der Facebook-Kultur. Zuckerberg sagte es selbst in der S-1: „Die Idee ist, dass man, wenn man nie etwas kaputt macht, wahrscheinlich nicht schnell genug vorankommt.“ Das schloss gleichzeitig dann eben auch echte Schmerzen für die Nutzer von Facebook ein.

„Ich hatte Zugang – ohne Bedingungen, ohne Kontrolle.“

Es heißt, kaum einer oder keiner hat so direkte Einblicke bei Facebook wie Sie. Wie wurden Sie zum Insider?
Dank jahrelanger fairer Berichterstattung im Silicon Valley habe ich das Vertrauen meiner Quellen und der Unternehmen, über die ich berichte, gewonnen. Im Fall von Facebook hatte ich jahrelang über das Unternehmen geschrieben und sie hatten gelernt, dass ich mein Versprechen, die Themen fair zu behandeln, einhalten konnte. Einige bei Facebook waren ehemalige Googler, die mit mir an meinem vorhergehenden Buch über ihre Firma gearbeitet hatten, das als das definitive Werk zu diesem Suchgiganten gilt. Aus diesem Grund haben sie mir Zugang gewährt, ohne Bedingungen, ohne redaktionelle Kontrolle und ohne auch nur vorab einen ersten Blick darauf zu werfen.

Was war für Sie ausschlaggebend, das Phänomen Facebook in einem Buchprojekt zu beleuchten?
Der Tag, an dem Facebook bekannt gab, dass eine Milliarde Menschen an diesem Tag den Dienst genutzt hatten. Diese Meldung traf mich wie ein Blitz. So etwas wie das – ein beträchtlicher Teil der Weltbevölkerung versammelt sich an einem einzigen Tag an einem Ort – ist in der Geschichte der Menschheit noch nie passiert. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass Facebook mein nächstes Buch sein würde, und ich machte mich daran, Facebook für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Nur so konnte ich die Geschichte so erzählen, wie es sonst niemand gekonnt hätte.

Welches Konzept haben Sie Ihrem Buch zugrunde gelegt?
Ich versuche, offen zu bleiben, wenn ich in eine langjährige Reportage für ein Buch einsteige. Offensichtlich hatte ich Fragen zu den Richtlinien, den Wettbewerbspraktiken und den Werten von Facebook. Und ich wusste, dass ich die Persönlichkeiten der wichtigsten Akteure einfangen und eine Erzählung entwickeln musste, die das Wesen des Unternehmens und des Phänomens wiedergibt. Innerhalb von Monaten, nachdem ich mit der Berichterstattung begonnen hatte, wurde vieles davon durch die Wandlung der Geschicke von Facebook (in Bezug auf den Ruf, nicht auf die Finanzen) verändert. Ich fand mich dabei wieder, ein Unternehmenstrauma in Zeitlupe zu dokumentieren – und war in einer idealen Position, um die Ursachen zu identifizieren.

Aus welchen wichtigsten Erkenntnisquellen haben Sie geschöpft?
Ich habe weit über 300 Interviews geführt, die meisten davon mit aktuellen oder ehemaligen Facebook-Mitarbeitern. Erst einmal sahen Mark und Sheryl Sandberg die Sache skeptisch. Ich habe für dieses Buch dann aber neun Mal mit Mark gesprochen. Andere wichtige interne Quellen waren der loyale „Adjutant“ Andrew „Boz“ Bosworth, der „Wachstumszar“ Chamath Palihapitiya und der ehemalige CSO Alex Stamos. Die Gründer der großen Firmen, die Facebook gekauft hat – Instagram, WhatsApp, Oculus – gewährten mir ebenfalls einen großartigen Einblick. Ich habe sogar mit Marks Eltern gesprochen! Und natürlich haben mir viele ehemalige Mitarbeiter und Außenstehende Informationen gegeben, von denen ich einige nicht preisgeben kann.

Sie waren 2016 auf Zuckerbergs erster Afrikareise dabei, die ihn nach Nigeria führte. Welchen Haupteindruck haben Sie gewonnen und was hat sie bewogen, diese Tour an den Anfang Ihres Buches zu stellen?
Dies war nur ein paar Monate vor der Präsidentschaftswahl in den USA, die Facebooks Schicksal wenden sollte. Ich habe es damals nicht bemerkt, aber die Begrüßung von Zuckerberg als Held in Nigeria sollte den Höhepunkt der Popularität von Facebook darstellen.

„Die Beweise zeugten von Leichtfertigkeit und Hybris.“

Wann und weshalb begannen Sie, Facebook kritisch zu betrachten?
Ich erlebte die Leute bei Facebook durchgehend als nachdenklich und voller guter Absichten, aber die gesammelten Beweise zeugten eine Leichtfertigkeit und Hybris, die meine Erzählung am Ende prägten. Es ist schwer, einen einzigen Punkt zu setzen, aber ein unterschätzter Wendepunkt waren die Änderungen der Datenschutzregeln und die Menge an Informationen, die an externe Entwickler in den Jahren 2009-2010 herausgegeben wurden. Der Cambridge Analytica-Skandal ereignete sich tatsächlich schon im Jahr 2010, also bevor Cambridge Analytica überhaupt gegründet wurde!

Sie enthüllen, was beim Skandal um „Cambridge Analytica“ hinter den Kulissen geschah und welche unrühmliche Rolle Facebook dabei hatte. Das Besorgniserregende und Ungeheuerliche für Sie?
Es war empörend, wie Facebook es externen Entwicklern ermöglichte, nicht nur die persönlichen Daten derer abzurufen, die sich für ihre Apps angemeldet hatten, sondern auch die Daten der Freunde dieser Leute, die keine Ahnung hatten, dass ihre Daten geteilt wurden. Mit Cambridge Analytica wurde dieses Problem ans Licht gebracht, schlicht weil deren Geschäftsmodell auf die Ausbeutung dieser Informationen angelegt war.

„Publishers Weekly“ bezeichnet Facebook als „Behemoth“ unter den sozialen Medien – also als Ungeheuer. Wie würden Sie es ausdrücken?
Nun, Mark Zuckerberg selbst beschrieb das Unternehmen 2006 als „The Information Engine“.

„Die Schuld liegt nicht nur bei Facebook.“

Viele halten Facebook für eine Gefährdung der Demokratie. Teilen Sie diese Befürchtung?
Es ist schwer, die Probleme der modernen Demokratien alle nur an Facebook festzumachen. Diese Plattform hat gewisse destruktive Trends gefördert, aber nicht verursacht.

Datenschützer schlagen Alarm bei Facebook. Worin bestehen für Sie die Hauptkritikpunkte?
In den Vereinigten Staaten (im Gegensatz zu Europa) haben wir sehr laxe Datenschutzgesetze – und Facebook hat diese Lücke ausgenutzt. Die Einführung von Datenschutzrichtlinien ist nicht dasselbe wie der Schutz der Privatsphäre. Ich bin jedoch der Meinung, dass Facebook sich an strengere Gesetze gehalten hätte, wenn sie in Kraft gewesen wären. Die Schuld liegt also nicht nur bei Facebook.

Worin bestehen für Sie Segen und Fluch von Facebook?
Der Segen von Facebook ist, dass Menschen mit anderen in Kontakt treten und Dinge teilen können, die oft inspirierend oder tröstlich sind. Zum Beispiel hat Sheryl Sandberg dadurch, dass sie über ihre Trauer über den Verlust ihres Mannes gesprochen hat, vielen Menschen geholfen. Der Fluch besteht darin, dass es zu einfach ist, giftige oder absichtlich irreführende Informationen zu verbreiten.

„Die Geschichte von Facebook ist unsere!“

Wie würden Sie heute die Bedeutung von Facebook auf den Punkt bringen?
Während wir Facebook für seine Praktiken und Mängel kritisieren können – und das tue ich mit Sicherheit – ist es eine Tatsache, dass wir alle Facebook sind. Über zwei Milliarden Menschen stimmen täglich mit ihren Fingern ab, indem sie es nutzen. Die Geschichte von Facebook ist also unsere – wie Technologie uns durchdringt und unseren Charakter entblößt. Im Guten wie im Schlechten.

Was waren Ihre letzten Aktivitäten auf Facebook?
Ich schaue jeden Tag in meinen News Feed. Instagram ist für mich eine großartige Möglichkeit, die Arbeit meines Sohnes zu verfolgen, der als Fotograf in Los Angeles Komiker fotografiert. Ich bin Mitglied von zwei kleinen privaten Gruppen von engen Familienmitgliedern, die über Facebook in Kontakt bleiben. Beruflich ist Facebook eine gute Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen und mehr über Quellen zu erfahren. Ja, ich benutze Facebook, um mich über Menschen schlau zu machen.

Ihr wichtigster Rat für die Nutzer von Facebook & Co.?
Relativ wenige Menschen nutzen die von Facebook angebotenen Datenschutzeinstellungen. Ich empfehle den Nutzern dringend, die Einstellungen zu wählen, mit denen sie gut leben können. Ich bin außerdem der Meinung, dass die Menschen skeptischer sein sollten, wenn es um die Weitergabe von Informationen über diesen Dienst geht. Informieren Sie sich, von wem Informationen gemeldet werden und glaube Sie nur vertrauenswürdigen Quellen. Blockieren Sie Personen, die Ihnen falsche Informationen senden. Beschäftigen Sie sich nicht mit Trollen. Seien Sie vorsichtig, was Sie teilen. Und denken Sie daran: Die besten Interaktionen finden im echten Leben statt!