BISHER DACHTEN bei Volker Keidel alle nur an das eine: Fußball. Seine aktive Karriere verlief sich zwar in der Bezirksliga, doch dafür wird der langjährige Hugendubel Buchhändler als Kultautor von Geschichten um das runde Leder gefeiert. Für Schlagzeilen sorgte er als HSV-Fan durch seine Wallfahrt von München nach Hamburg, um seinem Lieblingsverein symbolisch den Erfolg zurückzubringen. Man kann fast darauf wetten, dass Keidel  Outfitfragen löst, indem er zu einem seiner momentan 48 HSV-Trikots greift. Aber der Mann ist – nicht nur beim Auftritt in Palmen-Print-Bermudas – für Überraschungen gut und sein neues Buch ein Vorher-Nachher-Knalleffekt. Quasi von der WM zur Olympiade! Ob Golf, Online-Gaming-Event, veganes Grillen, Gangsta-Rap oder Glückseligkeit beim Yoga: Keidel testete tapfer Trends und das eigene Talent – mit kritischem Blick, auch auf sich selbst.​

Ganz spontan: Wie würden Sie Ihren aktuellen Status auf den Punkt bringen?
Gut genährt, gut gelaunt und gut informiert in Sachen gängige Trends.

Ihr gegenwärtig originellstes Tattoo? Handelt es sich dabei um einen Prototyp oder eine Metamorphose?
Sie spielen auf mein „Urgestein“-Tattoo an, aus dem nach dem Abstieg des HSV ein „Formerly known as Urgestein“-Tattoo wurde. Gemein!

Seit Ihrem Pilgerweg von München nach Hamburg zum HSV ahnen wir, dass Sie vor kaum etwas zurückschrecken und sich gern kühne Ziele setzen. Welche sind es denn dieses Mal?
Für mein neues Buch habe ich mich vielen Trends gestellt. Eine Stunde Yoga zum Beispiel war für mich anstrengender als die 875 gepilgerten Kilometer ins Volksparkstadion.

Sie erklären, dass Sie ein Fanal setzen wollen. Da denkt man bei einem Buchhändler wie Ihnen natürlich gleich an Karl Kraus. Welche Gemeinsamkeiten verbinden Sie mit ihm?
Kraus ist einer der bedeutendsten Schriftsteller Österreichs, ich einer der bedeutendsten Rimpars (kleiner Ort bei Würzburg, Anm. der Redaktion).

„Mir macht kein Hipster mehr etwas vor.“

Welche Lebensphilosophie vereint Sie mit ihm?
Habe ihn gegoogelt und einen schönen Satz gefunden: „Sein Bewusstsein der eigenen Bedeutung war immens.“ Da will ich auch hin! (lacht)

Wie schätzen Sie denn Ihr gegenwärtiges Hipster-Potenzial ein?
Tatsächlich trage ich Bart. Aber aus reiner Faulheit – nicht, um hip zu sein.

Wo verorten Sie sich auf der Skala zwischen Nostalgie und Avantgarde?
Ich bin sehr nostalgisch. Fast täglich erzähle ich von den 80er Jahren, als der HSV noch gut war. Dabei ist es mir auch egal, ob man mir zuhört.

Hand aufs Herz: Wie vorurteilsfrei würden Sie sich einschätzen?
Vollkommen vorurteilsfrei. Außer, jemand kommt aus Bremen oder outet sich durch ein Totenkopf-T-Shirt als St.-Pauli-Fan. Oder trinkt alkoholfreies Radler. Alles kann ich nicht durchgehen lassen.

Ihr Trend-Check hat Sie mit den unterschiedlichsten Lebensphilosophien und Leidenschaften konfrontiert. Welche Grundhaltung hat sich denn dabei bewährt?
Vor dem Lästern und bevor ich mich lustig gemacht habe, wollte ich erst einmal alles ausprobieren. Außer alkoholfreiem Radler. Leider ging es des Öfteren so aus, dass sich die anderen über mich lustig gemacht haben. Bouldern mit 95 Kilo schaut einfach nicht gut aus.

Sie wagen jede Menge Selbstversuche – und sind da in bester Gesellschaft von Autorenkollegen wie Helge Timmerberg, Meike Winnemuth und Ildikó von Kürthy. Wo und wie ordnen Sie sich da ein?
Mist, das sind ja alles Bestsellerautoren. Wäre schön, wenn ich mich an der Spitze einordnen könnte. Hierfür müsste halt allen Buchkäufern bewusst werden, wie immens meine Bedeutung ist …

Mit welchen Auswahlkriterien sind Sie an den Start gegangen?
Ich habe mir Trends ausgesucht, die mich aufregen, und welche, die ich schon immer mal ausprobieren wollte.

Ihr erstes Thema im Buch ist „Hygge“, ein Phänomen, das ganz Dänemark und wohl auch halb Deutschland in Kerzenschein und Kuscheldecken hüllt. Wie interpretieren Sie das?
Dass den Menschen immer langweiliger wird. In Corona-Zeiten mag das helfen, aber zu Hause bleiben und es sich gemütlich machen, ist schon grenzwertig.

„Die anderen haben sich über mich lustig gemacht …“

Und was löst bei ihnen Allergie aus?
Auf jeden Fall selbstgestrickte Socken.

Auf dem Hygge-Fest schien sich die Frage zwischen Sein und Nicht-Sein zwischen Bärenfell vor dem Kamin und Schläfenmassage zu stellen. Wie ist die Sache denn ausgegangen?
Sagen wir es so: Diesen Leuten waren tolle Gespräche wichtiger als eine Eskalation auf dem Bärenfell.

Konnten Sie eigentlich inzwischen das Mysterium mit dem „Weißen Fest“ klären?
Nein, ich weiß immer noch nicht, warum sich Menschen zum Grillen treffen und dazu alle weiße Kleidung tragen.

Und was ist aus der dafür eigens von Ihnen erworbenen und auch tatsächlich öffentlich getragenen knielangen Hose mit dem Palmenprint geworden?
Hören Sie auf, mich daran zu erinnern. Beinahe hätte ich sie vergessen.

Bei einem bekennenden Bier-Enthusiasten wie Ihnen kommt man an den Kneipen nicht vorbei. Da haben Sie Ihre Prinzipien. Welche?
Es sollte niemand eine Krawatte tragen und Pils aus der Flasche zu erwerben sein.

Und aus welchen guten Gründen hätte es die „Hexe“ in Gröbenzell verdient gehabt, zum Weltkulturerbe erklärt zu werden? Wofür haben Sie dieses Lokal geliebt?
Schnief, ich liebte es wirklich … Es wurde abgerissen. Wie alle guten Kneipen mit Herzblut und Patina.

Von der Kneipe legen Sie eine elegante Überleitung zu sportlicher Betätigung hin – zum Cola-Asbach-Stiefel-Wettrennen. Was ist der Witz dabei?
Es gibt keinen Witz und es ist auch kein Wettrennen. Man trinkt in großer Runde im Kreis den Stiefel leer. Wer als Vorletzter getrunken hat, zahlt. Mittlerweile bin ich aber erwachsen und trinke einfach so ohne Spielchen.

„Körperlich an Grenzen, aber am Ende echt ergriffen vor Glück.“

Sie haben sich auch ins Yoga-Studio begeben. Hatten Sie eine Erleuchtung?
Es hat mir tatsächlich gefallen. Körperlich bin ich an Grenzen gestoßen, aber am Ende war ich echt ergriffen vor Glück.

Ein praktizierender Yogi aus Ihrem Freundeskreis wollte Sie erst gar nicht mitnehmen, um keinen „Wallraff“ einzuschleusen. Verstehen Sie das?
Er wusste, dass ich rein zu Recherchezwecken mitkommen wollte. Und dass ich lieber einen Freund verliere, als einen Witz zu verschenken.

Wie berechtigt ist der Verdacht oder Argwohn?
Vollkommen unberechtigt, wie der Text über Yoga zeigt. Respekt schreibe ich schon groß. Meistens. Aber lesen Sie selbst!

Warum sind Sie bei der Schnupperstunde auf dem Golfplatz so ins Schwitzen geraten?
Es hatte so um die 30 Grad, ich trug ein schwarzes T-Shirt und war enttäuscht von mir. Dachte, ich würde den Ball sofort gut treffen. Fehleinschätzung …

 

„Morgens schreiben, mittags golfen, abends Bier trinken.“

Haben Sie sich inzwischen für einen Golfkurs angemeldet, der Sie zur Platzreife führt?
Wenn mein Buch ein Bestseller wird und mich reich macht, werde ich in Zukunft morgens schreiben, mittags golfen und am Abend Bier trinken. Hach, wie ich mich freue.

Das alles hat ja auch ein bisschen was von sozialer Feldforschung. Ihre wesentlichen Erkenntnisse über die Welt?
Alle nehmen sich selbst zu wichtig und feiern zu wenig.

Als Vater zweier Teenager dürften Sie dauernd mit Trends konfrontiert sein. Wie wirkt sich das auf Sie aus?
Ich habe Nackenschmerzen, weil ich den ganzen Tag den Kopf schüttle.

„Mit Insta-InfluencerInnen an der Theke philosophieren.“

Welche Trendentdeckungen verdanken Sie Ihren Kindern?
Mit meinem Sohn war ich beim Bouldern. Das heißt, er war bouldern und über mich haben alle in der Halle gelacht. Meine Tochter hat mich mit dem Trend der VSCO-Girls vertraut gemacht.

Erklären Sie doch mal bitte die Besonderheiten dieser Girls für alle über 23!
Man kann das nicht so erklären, dass es jemand versteht. VSCO-Girls sind Ökos der Neuzeit, kleiden sich komisch und tun bizarre Dinge. Wenn sie mit ihren Hydro Flasks (Trinkflaschen, Anm. d. Red.) anstoßen, sagen sie „Save the turtles!“ Außerdem sage sie Sachen wie „And I oop!“ und „sksksksks“. Verstanden? Sag ich doch.

Als Begleiter Ihres Sohnes erlebten Sie eine weitere bemerkenswerte Horizonterweiterung auf der „Gamescom“. Wie fühlten Sie sich in der Community?
Auch da habe ich nichts verstanden und es war unglaublich laut. Aber mein Sohn war sehr glücklich.

Ihre tollste Entdeckung?
Irgendwann habe ich eine Ecke für genervte Eltern gefunden. Da standen alte Flipper herum. Und Videoautomaten wie „Asteroids“ und „Donkey Kong“. Als ich das spielte, hat mich im Gegenzug mein Sohn nicht verstanden. Aber ich war sehr glücklich!

Haben Sie – wie 1,35 Millionen anderer Minecrafter – ein Abo bei DoctorBenx?
Zu der Zeit spielte mein Sohn noch Minecraft, ja. Eine verrückte Community ist das. 14-jährige YouTuber geben Autogramme und sind Superstars. Irgendwann habe ich mir vorgestellt, wie ich herumsitze und in einem Buch lese. Wie fasziniert die Autogrammjäger von einem gewöhnlichen Buch sind und deshalb von mir Autogramme wollen. Kurzum: Ich hatte Spaß da.

Wenn Sie sich Ihre persönliche Idealwelt basteln könnten: Was wären die wichtigsten Ge- und Verbote?
Alle sollen das tun, was ihnen gefällt. Wenn es anderen nicht schadet und bestenfalls mir persönlich was bringt.

Was ziehen Sie vor? Twittern mit Insta-InfluencerInnen? Oder das Philosophieren im Ingeborg-Bachmann-Lesekreis?
Mit Insta-InfluencerInnen an der Theke philosophieren.

Im Prolog Ihres Buches bekennen Sie, dass Sie durchaus über sich selbst erschüttert waren. Warum das denn?
Zum einen darüber, was es alles für Sachen gibt. Zum anderen über mein fehlendes Golftalent.

Was hat Sie Überwindung gekostet? Und wo könnten Sie – entgegen allen Vorbehalten – zum Wiederholungstäter werden?
Tatsächlich kann ich beides mit „Yoga“ beantworten. Ich hatte erst Angst hinzugehen, aber dann hatte ich ein fast spirituelles Erlebnis.

Was tun Sie sich garantiert kein zweites Mal an?
Zum Bouldern gehe ich erst wieder, wenn ich unter 80 Kilo wiege und beweglich bin. Also sicher nie mehr.

„Besonders fiese Passagen habe ich absegnen lassen.“

Und bei wem bzw. wofür möchten Sie Abbitte leisten?
Naja, über den einen oder anderen habe ich mich durchaus lustig gemacht … Aber meine Freunde kennen das schon. Besonders fiese Passagen habe ich sie gegenlesen und absegnen lassen.

Jetzt in der Ferienzeit drängt sich natürlich die Frage auf, wie Sie sich den idealen Anti-Trend-Urlaub vorstellen?
Ruhen Sie sich aus von den Strapazen der letzten Monate. Finden Sie sich selbst, ob mit Yoga oder Bier. Werden Sie glücklich, egal wo!

Zu guter Letzt laden Sie die Leser ein, aktiv zu werden – beispielsweise mit lustigen Listen und einem DIY-Bierdeckel. Welche Inspiration bescherte das größte und kreativste Echo?
Ich habe die Leute dazu aufgefordert, ein Bild zu machen, auf dem sie das Buch lesen. Quasi täglich erreichen mich neue Bilder.

Und Ihre Kernbotschaft?
Probiert Dinge aus, lebt, liebt, feiert. Zur Not auch mit alkoholfreiem Radler!