Wagnis eines freien Lebens

IM BERLIN der Start-ups tobt das Leben. Hannah aber hat das Gefühl, dass ihres noch gar nicht richtig begonnen hat. Mit 27 sitzt sie an ihrer Doktorarbeit, einem ewig leeren Dokument im Laptop, und hofft, dass ihr endlich etwas einfällt – am besten auch gleich ein Plan für die Zukunft. Ihre Großmutter Evelyn hingegen kann das eigene Ende scheinbar kaum erwarten. Gleichzeitig greift die energische 94-Jährige nach den Vitaminbonbons und vitalisierenden Mittelchen, die ihre Enkelin bei jedem Besuch mitbringen muss. Eine eingespielte Choreografie – bis überraschend Post eines Anwalts aus Israel eintrifft. Es geht um NS-Raubkunst und späte Wiedergutmachung. Die Botschaft: Dr. Evelyn Borowski ist die Erbin eines 1942 enteigneten jüdischen Kunsthändlers, dessen wertvoller Gemäldebestand seither verschollen ist. Doch über die Vergangenheit hüllt sich die alte Dame hartnäckig in Schweigen. Hannahs Spurensuche führt zurück in die turbulenten 1920er Jahre – zu Hannahs nie erwähnter Urgroßmutter Senta. Wie eingekerkert in der Ehe mit einem Fliegerhelden, ließ sie 1926 alles hinter sich – der Aufbruch in ein freies Leben, aber auch der Anbruch einer bedrohlich finsteren Zeit. Je mehr Hannah über Senta, Evelyn, ihre eigene Mutter Silvia und das Ringen der drei um Eigenständigkeit erfährt, desto mehr findet sie zu sich selbst. Bewegende Schicksale, nuancenreiche Porträts – eine besondere Stärke der Journalistin Alena Schröder, die nun auch ihren Debütroman auszeichnet. Ein Glanzstück über das Erbe der Mütter und den Mut, selbstbestimmt zu leben und auf eigene Talente zu vertrauen.