Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Heute ist Lalena als Sortimentsmanagerin am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns den deutschen Autor, Moderator und Journalist Friedemann Karig.

1. 2017 erschien „Wie wir lieben“ im Blumenbar Verlag, hier stellst du die These auf, das die Monogamie eine von uns Menschen konstruierte Lebensform ist, die nicht unserem natürlichen Verhalten entspricht. Leicht provokant, gab es viel Widerstand? Verrisse, Schmähungen gar? Wie war das für dich?  
Ich habe viel gelernt. Am Ende saß ich bei Markus Lanz und habe über Sperma referiert. Dass viele Leute lieber glauben möchten, woran sie schon immer geglaubt haben, ist keine Überraschung und darf man nicht persönlich nehmen. Fragt mal Galileo Galilei. Und ich wollte nie so ein Aufklärer und auf keinen Fall Dr. Sommer sein. Insofern eine lustige Zeit, aber auch gut, dass sie langsam vorbei ist.

2. Wie kam es dazu, das du so intensiv über Liebe, Partnerschaft, Sex und Erotik nachgedacht hast, dass du ein Buch darüber schreiben wolltest? Oder wolltest du ein Buch schreiben und hast nach einem griffigen Thema gesucht?
Sehr gute Freunde von mir haben lange eine offene Beziehung geführt. Ihre Liebesgeschichte habe ich für das SZ-Magazin aufgeschrieben. Und als meine Agentin Elisabeth Ruge die Idee hatte, ein Buch draus zu machen, kamen sofort Angebote von Verlagen. Mir wäre das, ganz ehrlich, nie eingefallen. Dann aber habe ich schnell gemerkt, was in dem Thema steckt. Wenn man so will, geht das an den Kern unserer Existenz und Menschwerdung. Also bin ich dankbar für die glücklichen Umstände. Und was ist bitte wichtiger als Liebe und Sex? Genau. 

3. Jetzt also ein Roman, „Dschungel“ bei Ullstein erschienen. War das ein großer Schritt für dich einen Roman zu schreiben, nach dem Sachbuch? Wie ist das mit dem Selbstvertrauen, Schriftsteller ist ja schon etwas anderes als Sachbuchautor, oder?
Es ist viel, viel schwerer. Und viel schöner. Ich wollte immer nur Romane schreiben. Insofern fühlt es sich nach Ankommen an. Auf dem Gipfel eines sehr, sehr hohen Berges. Jetzt muss ich erstmal verschnaufen. Mir die anderen Gipfel anschauen. Den nächsten aussuchen.

4. Das Thema in „Dschungel“ ist die Freundschaft. Freundschaft bis hin zur Selbstaufgabe. Über alle Grenzen hinweg. Das ist Liebe, finde ich. Ist Liebe der Dreh- und Angelpunkt im Leben, Monogamie hin oder her? Und wie definierst du den Unterschied zwischen Freundschaft und Liebe? 
Das übersteigt meine Fähigkeiten. Ich würde es so versuchen: Liebe ist für mich das Nicht-Bedenken aller Folgen. Freundschaft wird ständig neu ausgehandelt. Nur nicht in „Dschungel“, hier ist die Freundschaft ins Extrem gesteigert, fast pervertiert, so abhängig ist der Erzähler von seinem verschwundenen Freund Felix. Nur warum? Was ist zwischen ihnen passiert, dass er alles stehen und liegen lässt, um ihn am anderen Ende der Welt zu suchen? 

5. Du gehst sehr gerne in die Öffentlichkeit, hältst lockere und charismatische Vorträge, bist aktiv auf allen sozialen Kanälen, eine Rampensau, wie es im Volksmund so bildhaft heißt. Ist das angeboren oder hast du das trainiert, gibt es einen Punkt, an dem du dich überwinden musst? Und warum, weshalb dieser Drang zur Aufmerksamkeit? 
Ich hatte noch nie in meinem Leben Angst vor einer Bühne oder einem Publikum. Ein Geburtsfehler, nehme ich an, der natürlich hilft. Der Rest ist eine Mischung aus Größenwahn und Mangel an Alternativen. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich sonst tun sollte, außer Geschichten zu erzählen. Und das halt überall, wo jemand zuhört. Am Ende wollen wir ja alle nur geliebt werden für das, was wir können. 

6. Was denkst du über die Zukunft der Menschheit, haben wir eine Chance? 
Ja. Aber wir müssen uns jetzt wirklich mal zusammenreißen. Wenn ich die lächerlich Klagen über die Schulpflicht, die für ihre Zukunft demonstrierende Schüler verletzen, als Maß nehme, haben wir es nur gerade so eben verdient, eine Zukunft zu haben. 

7. Politik, dazu äußerst du dich häufig, zum Beispiel auch auf deinem YouTube Kanal. Wenn du eine politische Partei gründen würdest, was wären dann die wichtigsten Punkte in deinem Programm?
Würde ich niemals tun. Politik ist viel schwieriger, langweiliger und undankbarer, als wir immer denken. Ich bin grundsätzlich sehr froh, dass das Menschen für uns machen. Von mir aus könnten sie nur mehr für Minderheiten, die Umwelt und die Kunst tun, weniger langweilig sein und bitte endlich das Internet nicht mehr als so etwas wie ein lästiges Videospielchen betrachten, das bald wieder verschwindet. 

8. Was liest ein Friedemann Karig, verrätst du uns drei Bücher, die dein Leben geprägt haben? 
Momentan lese ich ein American Novel „Max, Mischa und die Tet-Offensive“, ein Great American Novel, aber von einem Norweger namens Johan Harstad. Über 1200 fantastisch dicht geschriebene Seiten. Man findet das ganz Große im ganz Kleinen und umgekehrt. Das soll hier stellvertretend für die Franzens und Foers und Boyles stehen, die mich geprägt haben. Aber auch Margaret Atwoods dystopische Superfantasie und die Twists bei Gillian Flynn waren prägend, gerade was das eigene Schreiben angeht. Ich suche immer nach deutschen AutorInnen, die so erzählen können, jenseits der üblichen Verdächtigen Kracht, Zeh, Herrndorf et al. – über allem aber steht „The Beach“ von Alex Garland, ein unterschätztes Meisterwerk, was Spannung und Sprache und durchtrainierte Erzählkraft angeht, ohne das ich „Dschungel“ sicher nie geschrieben hätte.  

9. Bist du Träumer oder Realist, hast du einen Plan im Leben oder wirst du mitgerissen? 
Ich plane mehr oder weniger erfolgreich, mitgerissen zu werden.

10. Stell dir vor, eine Fee kommt vorbei und bietet dir an, drei Wünsche zu erfüllen, welche wären das? Also, dann darf ich raten, du kannst ja widersprechen: 

  1. Alle lieben Friedemann: Furchtbare Vorstellung.
  2. Reichtum: Kommt von alleine irgendwann oder auch nicht, also ebenso lieber nicht.
  3. Weltruhm: Macht nur Spaß, wenn er selbst erarbeitet ist, und da bin ich ja dran.

Ich würde mir tatsächlich etwas weniger Egoistisches wünschen und auf KEINEN FALL den Schlaumeier-Wunsch „alle meine Wünsche sollen in Erfüllung gehen“, weil wie schief das geht, kann man in „Das Leben der Wünsche“ von Thomas Glavinic lesen, grandiose Geschichte, bitte lest die alle, ja, genau das wünsche ich mir: mehr gute Geschichten und mehr LeserInnen dafür.