Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Aktuell ist Lalena im Filialleitungsteam am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns die Schriftstellerin, Dramatikerin und Schauspielerin Karen Köhler.

1. Was hat dich zum Schreiben gebracht? Mit „Wir haben Raketen geangelt“, einem Band Erzählungen, bist du schlagartig bekannt geworden. Hast du dich da als „Schriftstellerin“ gefühlt, oder schon vorher?
Ins Schreiben bin ich ehrlich gesagt hineingeraten. Es bietet mir die größtmögliche Freiheit, auszudrücken, was mich beschäftigt. Ich habe das Glück, vom Schreiben leben zu können, fühle mich aber immer noch nicht als Schriftstellerin. Ich fange ja gerade erst an. Das sickert alles erst sehr langsam in mein Bewusstsein. Meistens denke ich, irgendwann kommt die Literaturpolizei und will meinen Literaturfahrschein sehen, den ich nicht habe, und dann muss ich leider aussteigen aus dem Literaturbetrieb.

2. „Miroloi“ heißt dein neues Buch, diesmal ein Roman, ein dickes Buch, ein seltsamer Titel. Wie kam es dazu?
Der Titel hat den Text gefunden, irgendwie. Als erstes hatte ich die Datei unter „*“ abgespeichert. Dann unter „Das Dorf“. Dann unter „Der Gesang“ und schließlich, als ich etwa 80 Seiten geschrieben hatte, stieß ich auf „Miroloi“, was eine traditionelle griechische Totenklage bezeichnet, und zack: Es passte perfekt. Mein Text war von Anbeginn in Strophen aufgeteilt, es passte einfach sehr, sehr gut, als habe er schon immer so geheißen. Zum Glück hat niemand diesen Titel infrage gestellt in der Überarbeitungsphase. Das hätte mich ziemlich verstört, glaube ich.

3. Es wimmelt von Wortschöpfungen in deinem neuen Roman, warum? Passiert dir das einfach oder suchst du danach? Warum dieses Stilmittel?
Es passiert mir, beziehungsweise der Hauptfigur, der ich dadurch viel verdanke. Ich musste nur noch aufschreiben, was sie da sagt beziehungsweise singt.

4. Die ersten Passagen von „Miroloi“ sind besonders rhythmisch, um nicht zu sagen lyrisch. Liest du gerne Gedichte, schreibst vielleicht sogar auch Lyrik?
Ich lese leider viel zu selten Lyrik. Und schreibe auch nur sehr selten Lyrik. Alle 15 Jahre vielleicht. Und dann gleich mehrere Gedichte hintereinander. Die sieht nie irgendjemand und ich schaue sie mir auch nicht mehr an. Das sind so Nächte, keine Ahnung, da kann ich nur Lyrik schreiben, weil in mir alles so verdichtet ist.

5. „Miroloi“ behandelt stark das Thema Patriarchat – glaubst du, die Rolle der Frau in der westlichen Gesellschaft ist nun endlich selbstbestimmt und gleichberechtigt?
Haha. Sehr lustig. Still a long way to go, denke ich. Ich hätte gerne den Optimismus, den Margarete Stokowski mit dem Titel ihres Essaybandes „Die letzten Tage des Patriarchats“ versprüht. Supertitel. Wenn man den Statistiken glaubt, nimmt Gewalt an Frauen in unserer Gesellschaft gerade stark zu. Wenn ich mir anschaue, dass es heute sogar gegendertes Spielzeug gibt, natürlich sind die blauen Spielzeuge für Jungs immer konstruktive Spielzeuge, die mit Entdecken, Erobern und Abenteuer zu tun haben, während die rosafarbenden Spielzeuge für Mädchen Titel tragen wie „Clean the Toilet“ oder „Barbie beim Frisör“. Da erwartet also eine Gesellschaft von ihrem Nachwuchs, dass der konstruktive, gestaltende Teil männlich ist. Unfassbar. Oder wenn ich mir angucke, dass da ein Mann Präsident der USA geworden ist, gegen den während des Wahlkampfes Vergewaltigungsvorwürfe liefen, dass da jemand gewählt wurde, auch von Frauen, der es okay findet, Frauen einfach an der Pussy zu grabben, das ist für mich noch immer absolut unverständlich. Oder dieses erste Bild von dem ja eh schon sehr fragwürdigen „Heimat“ministerium: Nur Männer, da dachte ich erst, das wäre ein Postillon-Beitrag! Dass es so etwas überhaupt noch gibt und keiner der Beteiligten irgendwie merkt, äh, Moment mal, wir sind ja nur Männer … Dass also die Hälfte der Menschheit heute immer noch strukturell benachteiligt ist, überall und auf allen Ebenen, impliziert ja auch, dass es so nicht länger weitergehen kann. Das Gute ist, dass Frauen (und alle nonbinary, trans und queeren Menschen) sich heute besser vernetzen und gegenseitig unterstützen können. Bis die berühmte Machttorte 50-50 aufgeteilt ist, fühlt es sich für viele Männer in Machtpositionen oder mit Machtphantasien wahrscheinlich nicht so toll an, weil sie es als Verlust wahrnehmen. Dabei ist die Zerschlagung des Patriarchats ja auch in ihrem Sinne eine Befreiung.

6. Du hast viele Jahre als Schauspielerin gearbeitet, hast du das ganz aufgegeben? Oder ist das etwas, was du „im Blut“ hast, du gar nicht ablegen kannst und willst?
Wie gesagt, bin ich ins Schreiben hineingeraten und aus dem Schauspielen herausgeraten sozusagen. Beides braucht sehr viel Zeit und vielleicht die ganze kreative Potenz, die ich zur Verfügung habe. Meine Dialogliebe ist mir erhalten geblieben, ich schreibe ja regelmäßig für das Theater.

7. Du bist Universal-Künstlerin und hast beide Buchcover maßgeblich selbst gestaltet, beide sind blau, hat es mit Blau etwas auf sich? Hmm, ich glaube fast, der Zufall, dass beim Hanser-Verlagsabend in München ein Zeitungsverkäufer hereinplatzte und von deiner „aquamarinblauen Aura“ sprach, klingt da bei mir noch nach …
Haha. Ja. Stimmt: Aquamarinblaue Aura … Keine Ahnung, was das mit dem Blau auf sich hat. Ich kann auch keine Aura, wie geht der Plural, Auren? Die kann ich jedenfalls nicht sehen.

8. Musst du dich entscheiden, oder ist es mal die eine und mal die andere Ausdrucksweise in der Kunst, die bei dir das Sagen hat?
Das entscheidet irgendwie immer die Sache, an der ich arbeite.

 

9. Wie ist das mit der Leidenschaft, die ist zu spüren in deinen Texten, die strahlst du aus, lässt die sich kanalisieren, durch dein künstlerisches Schaffen?
Ich glaube nicht ans emotionale Sparen für schlechte Zeiten. Es geht immer um alles. Und das geht nur mit Leidenschaft. Ich kann auch gut leidenschaftlich still, verstört, traurig, depressiv, verzweifelt sein. Ich habe keine Filter, die die Welt aus mir heraushalten. Das ist anstrengend wenn’s schlimm ist, und berauschend, wenn’s schön ist. Dazwischen hole ich Luft.


10. Meine letzte Frage lautet: Stell dir vor, du hast drei Wünsche frei, Dschinn, Fee, was auch immer – welche wären das?
Diese f***ing Fee. Nagut. 1: Gleichberechtigung aller Menschen. Ploing! Und 2: Friedliches Miteinander weltweit und mit der Erde. Ploing! Das habt ihr jetzt davon.