Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Aktuell ist Lalena im Filialleitungsteam am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns die Schriftstellerin Karosh Taha.

1. Sprache ist der Zugang und die Verinnerlichung einer Kultur. Du schreibst in einer Sprache, die deine Eltern vermutlich nicht verstehen. Was für ein Sprung! Was hat dich zum Schreiben gebracht?
Sprache ist für mich ein Mittel, um Kultur zu durchschauen, nicht umgekehrt. Ich will keine Kultur verinnerlichen, das macht blind. Meine Mutter ist, nach Marquez, die beste Erzählerin, die ich kenne. Sie konnte mir bei den Deutschhausaufgaben nicht helfen, hat mir aber immer Geschichten erzählt. Noch vor kurzem konnte ich sie wöchentlich besuchen und habe ihr sehr gerne zugehört, auch wenn sie nur von ihrem letzten Einkauf bei Kaufland erzählt hat. Mein Vater hat in Kurdistan als Freiheitskämpfer gekämpft, sein Leben ist ein Geschichtsbuch – mein Schreiben ist nur die Konsequenz aus dem, was meine Eltern mir mitgegeben haben und es noch tun.

2. Dein Roman „Im Bauch der Königin“ ist besonders, denn er lässt sich von zwei Seiten lesen, ist ein Wendebuch. Wie ist das entstanden?
Am Anfang war Shahira und der Blick auf sie als eine promiske Frau, aber auch der Fokus auf Younes, ihren Sohn. Da es mir um den Blick von außen ging, schien es mir notwendig, die Geschichte aus der Perspektive einer außenstehenden Person zu erzählen, einer Person, die eng mit dieser kleinen Familie verbunden ist, aber trotzdem den Blick der Gesellschaft widerspiegelt. Raffiq als Erzähler eignete sich dafür sehr gut, doch im Laufe der Geschichte fragte ich mich, wie ich es schaffe, dass Shahira sich dem Erzähler öffnen könnte. So ist Amal entstanden und ihre Geschichte hat sich mir aufgedrängt. Plötzlich hatte ich zwei verschiedene Geschichten, die in zwei Realitäten spielten, aber beide von dieser Frau erzählten. Ich wollte auf keinen Fall dieselbe Geschichte erzählen, die lediglich aus zwei Perspektiven geschrieben ist, um dann zu sagen: So unterschiedlich sehen Männer und Frauen die Welt.

3. Wie wünschst du dir unsere Position als Frauen in der Gesellschaft, muss sich etwas ändern?
Es verändert sich schon viel und es wird sich noch viel mehr verändern. Für mich stellt sich vor allem die Frage, ob weiße Deutsche es ertragen werden, auch eine Deutsche mit Kopftuch zu akzeptieren. Wir werden als Frauen nicht weit kommen, wenn wir nur an unsere eigene Position und an unseren Vorteil denken. Wenn Alice Schwarzer das Kopftuch verdammt, dann kann ich mich nicht mit ihrem Feminismus identifizieren; es interessiert mich auch nicht, wieviele Frauen im Vorstand sitzen, wenn die Putzkräfte (meist weiblich und migrantisch) unterbezahlt sind.



4. Wenn du dir ein Land wählen könntest in dem du geboren bist, welches wäre das?
Das Land gibt es nicht.

5. Fühlst du dich zerrissen zwischen den kulturellen Unterschieden, die dich prägen, oder ist das auch eine Heimat, eine Identität, die sich aus Mehrsprachigkeit und den unterschiedlichen Werten speist?
Als Schriftstellerin fühle ich mich vor allem in der Heimatlosigkeit wohl, in der absoluten Unabhängigkeit von jeder Kultur, jedem Land, jeder Gruppe, nur so kann ich schreiben. Ich fühle keine Zerrissenheit aufgrund kultureller Unterschiede, sondern aufgrund sozialer Ungerechtigkeiten.

6. 
Verändert dich die Corona-Epidemie, hat die Einfluss auf dein Schreiben, dein Leben?
Konkret: Meine Buchpremiere hat immer noch nicht stattgefunden, viele Lesungen sind in den Herbst verschoben worden, einige abgesagt. Die Reaktion der Menschen auf die Corona-Epidemie (Hamsterkäufe, Denunziation von Nachbarn, Diebstahl von Masken aus Krankenhäusern) fand ich besorgniserregend, aber was kann man auch von einer Gesellschaft erwarten, die es hinnimmt, dass auf Flüchtende im Mittelmeer geschossen wird.

7. Was war das erste Buch in deiner Jugend, das bei dir gezündet hat?
Als Jugendliche habe ich nur Schrott vom Woolworth-Grabbeltisch gelesen, erst in der Oberstufe habe ich verstanden, dass Bücher deutliche Qualitätsunterschiede haben. „1984“ von Orwell hat mich absolut beeindruckt, „Clockwork Orange“, „Bonjour Tristesse“, aber auch Bukowski, Hubert Selby, Henry Miller, alles dirty old men.

8.
 Du bist hauptberuflich Gymnasiallehrerin. Kommt es vor, dass deine Schüler dich auf deine Bücher ansprechen? 
Ich unterrichte seit zwei Jahren nicht mehr, habe mich dem Schreiben gewidmet. Das ist auch gut so. Das Lehramt war nur ein Kompromiss zwischen mir und meinen Eltern, sie wollten, dass ich was Anständiges mache. Das habe ich gemacht, jetzt mache ich das, was ich schon immer tun wollte, alhamdulillah.

9.
 Welches Buch liegt auf deinem Nachttisch?
Zu viele, aber während andere Bücher wieder ins Bücherregal gestellt werden, bleibt da der Band mit den großen griechischen Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides liegen. Ich lese immer wieder zwischen den Romanen ein altes Stück.

10.
 Vielleicht findest du irgendwo am Straßenrand eine alte Glasflasche, öffnest sie gedankenlos und – ziiisch – faucht ein Dschinn heraus. 
Du hast natürlich 3 Wünsche frei, welche wären das?
Impfstoff gegen Covid-19, neues OG Keemo Album und den obligatorischen Weltfrieden.