Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Aktuell ist Lalena im Filialleitungsteam am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns die Autorin Zeruya Shalev. Das englischsprachige Originalinterview finden Sie im Anschluß.

1. Kannst du dich an den Moment erinnern, an dem du dich das erste Mal wie eine Schriftstellerin gefühlt hast?
Als ich etwa sechs Jahre alt war, kaum dass ich das Schreiben gelernt hatte, begann ich Geschichten und Gedichte zu schreiben. So wurde Schreiben zum Teil meiner Identität, bevor ich überhaupt wusste was Identität ist.

2. In deiner Heimat Israel sind die Konflikte jeden Tag aufs Neue spürbar. Verarbeitest du das durch dein Schreiben für dich selbst, oder willst du deine Leser darauf aufmerksam machen?
Die externen Konflikte sind eher im Hintergrund. Ich versuche sie von mir weg zu halten, damit sie nicht zu viel Raum einnehmen. Ich versuche mich von der Geräuschkulisse von außen freizumachen, um mich auf die innere Entwicklung meiner fiktionalen Charaktere zu konzentrieren. Auf der anderen Seite spiegeln sich die Anspannungen und Schwierigkeiten des Lebens in einem zerrütteten Land wie meinem in diesen Charakteren wider. So lernt der Leser nicht nur die Charaktere in der Geschichte kennen, sondern auch die Komplexität des Ortes, an dem sie leben.

3. Atara, eine der Hauptcharaktere deines neuen Romans, erlebt eine unglückliche und gewalttätige Kindheit. Alles scheint mit der Vergangenheit zusammenzuhängen, über die niemand spricht. Ist diese Sprachlosigkeit typisch für eine Gesellschaft, die unter den Folgen des anhaltenden Krieges und Terrorismus leidet?
Ohne Zweifel haben Ereignisse von außen Einfluss auf das Individuum, aber in Ataras Fall, und natürlich auch in anderen Fällen, lässt sich so ein komplexes und universelles Thema wie familiäre Gewalt nicht auf eine politische Ebene zurückführen. Auch nicht, wenn diese so unübersichtlich und gewalttätig ist wie unsere. Ich denke der Schlüssel dazu ist immer tief im Inneren verborgen, in der Seele.

4. Ich bewundere die Art, wie du Paare beschreibst, die mit den Schwierigkeiten ringen, Liebe und Begehren über die Jahre am Leben zu erhalten. Was glaubst du, fällt es uns heute schwerer in einer Ehe auszuhalten, als den Generationen vor uns?
Offensichtlich war es für vorangegangene Generationen viel schwerer, eine Ehe zu beenden, das wurde erst mit der letzten oder vorletzten einfacher. Das ist natürlich ein Vorteil, aber es hat auch Nachteile, wir neigen dazu, alles gleich in den Wind zu schießen. Und wieder, ich konzentriere mich eher auf die intimen Dynamiken in einer Beziehung als auf ihre soziologischen Aspekte.

5. Ich vermute, in deinen Romanen gibt es autobiographische Anteile, hilft dir das Schreiben beim Loslassen? Kannst du Schwierigkeiten überwinden, indem du sie hin und herwendest und schließlich in Wörtern auf Papier bannst?
Auch wenn es in meinen Büchern autobiographische Elemente gibt, so hoffe ich doch, dass sie sich entwickeln, unabhängig von den tatsächlichen Details, die einfach nicht so wichtig sind, hin zur Authentizität meiner Figuren. Während dem Schreiben unterscheide ich nicht zwischen fiktionalen und biographischen Ereignissen, dennoch empfinde ich dasselbe Maß an Emotionen.

6. Welche Auswirkungen wünschst du dir für deine Romane auf die Leser?
Ich wünsche mir, dass meine Bücher eine wertvolle Begegnung sind für den Leser, das das Drama, das ich beschreibe, Herzen erreicht und vielleicht sogar das eigene Leben in neuem Licht erscheinen lässt. Ich höre von meinen Lesern, das meine Bücher helfen sich selbst besser zu verstehen und sogar ein Trost sein können – das macht mich zufrieden und glücklich.

7. Zeruya, wie denkst du über die Frauen in deiner Gesellschaft? Seit 1949 absolvieren sie neben den Männern ihren Militärdienst, wie sieht das in anderen Bereichen aus? Gibt es wirklich Gleichberechtigung?
In einem Zustand ständiger Existenzbedrohung zu leben, ist sehr fordernd, für beide, Männer wie Frauen. Frauen müssen in der Armee dienen und wenn sie Kinder bekommen, wissen sie das diese ebenfalls den gefährlichen Militärdienst absolvieren werden, sie müssen das. Diese Art von Alltag macht eine komplette Gleichberechtigung zwischen den beiden Geschlechtern leider nicht möglich, aber wir haben ein geschärftes Bewusstsein dafür, das macht den Unterschied.

8. Frauen am Scheideweg, ich finde sie in jedem deiner Romane. Was fasziniert dich daran?
Scheidewege faszinieren mich, da sie die Möglichkeit zur Weiterentwicklung bieten. Sie haben das wertvolle Potential, Augen für etwas ansonsten Verborgenes zu öffnen. Ich lasse meine Charaktere, seien es Männer oder Frauen, nie in der Schwebe. Ich versuche sie auf ihrer Prüfung, dem Weg zur Veränderung zu begleiten.

9. Wie erreichst du einen „Flow” im Schreibprozess?
Was sich für den Leser vielleicht wie ein „Flow” liest, ist manchmal das Ergebnis harter Arbeit. Ich überprüfe jedes Wort, jeden Satz und jeden Abschnitt wieder und wieder. Ich arbeite mit Prosa als würde ich immer noch Gedichte schreiben. Da ist für mich kein großer Unterschied. Also zählt jede Silbe.

10. Stell dir vor, du hättest drei Wünsche frei, welche wären das?
Nach dieser schwierigen Zeit, die wir alle gerade durchmachen, kann ich es nicht vermeiden, ein bisschen banal, uns Gesundheit für Alle zu wünschen. Ich wünsche meinem Land Frieden. Und Frieden für Jeden, jede Familie, auch meine eigene.

English version

1. How did you become a writer, can you remember the moment when you realised it?
I started to write poems and stories when I was six years old, not long after I learned to write. Writing became part of my identity before I knew what identity is. It came naturally, like breathing almost. I write therefore I exist, so to speak. From the very beginning.

2. Israel, your country, the conflicts so very present every day. Do you process this through your writing for yourself, or do you want to teach your readers awareness?
The external conflicts are mostly in the background. I try to keep them a bit far, so they don’t take center stage. I try to liberate myself from outside noise, so that I can listen to the inner selves of my fictional characters. On the other hand the tension and difficulties of life in a tremolous place like my country are certainly reflected in the lives of these characters. Through this reflection the reader can meet not only the characters in the story but also the complexities of the reality where their lives take place.

3. Atara, one of the main characters of your new novel, experienced an unhappy and violent childhood. All seems to be related to the past that nobody talks about. Do you think this is something typical, for a society suffering ongoing war and terrorism?
There is no doubt that external events have huge influence on the individual, but in Atara’s case, and others of course, you can’t connect everything to do with such a complex and universal issue like violence in the family to a political reality, be it even turbulent and violent as it is in our case. To my mind the key is always hidden deep in the soul.

4. I admire the way you observe couples and the difficulty to keep love and desire alive throughout the years. What’s your opinion, is it more difficult to stay in a marriage in our times then it was for the generations before?
Obviously in previous generations it was much harder to break up marriage, but in the last generation or two it became a lot easier. It’s an advantage of course, but it has its drawbacks, too, mostly you get to be trigger happy. But again, I tend to concentrate on the intimate dynamics of relationship rather than their sociological aspects.

5. Your novels do include autobiographical bits and pieces, I guess. Is this something that helps you let go? Overcoming difficulties by twisting and turning and finally pinning them down with words written?
Even if there are autobiographical elements in my books, they tend to be processed into them, in a way that hopefully dedicates to the authenticity of events and leaves behind the actual details, which are certainly less important. At the time of writing I don’t distinguish between fictional and biographical events, but feel them at the same level of emotion.

6. What impact would you wish for your novels to achieve on it’s readers?
I wish my books will create a meaningful encounter with the reader, so that the drama I describe will move the heart and even shed light on his own life. When I hear from readers, that my books helped them to have a better understanding of themselves and even to find comfort in them, I feel happy and satisfied.

7. Zeruya, what do you think about the women in your society? They have to absolve military service since 1949, what about all the other aspects? Is there true equality to men?
Living in a state of a permanent existential threat is very demanding for both men and women. Women have to serve in the army, and when they become mothers they have to come to terms with the fact that dangerous military service await their children. This kind of reality doesn’t enable complete equality between the two sexes unfortunately, but awareness to this situation is making a difference.

8. Women at a breaking point, I find them in all your novels. What is it, that fascinates you about them?
Breaking points are fascinating, because they create opportunities for personal development. They are a precious potential for opening the eyes to elements, that otherwise would have been hidden. I never leave my character, men or women, in a limbo. I try to accompany them in their challenges, on the way to changing.

9. About the writing process, how do you reach the „flow”?
What seems to the reader a „flow” could sometimes be the result of a very hard work. I go over every word, sentence and paragraph numerous times. I relate to prose as if I still write poetry. There is not much difference for me. So every syllable counts.

10. Imagine you get three wishes granted, what would yours be?
After such a difficult period we are all going through recently, I can’t avoid being a bit banal and wish us all good health. I wish peace to my country. And to every house and family, including mine …