EIN MELANCHOLIKER, der um die kleinen und großen Katastrophen des Lebens weiß, aber dennoch an zwischenmenschliche Wunder glaubt: So stellt man sich Kent Haruf vor, wenn man sein literarisches Vermächtnis für sich entdeckt. In den USA seit Jahrzehnten eine bekannte Größe und vielfach ausgezeichnet, hat sich der amerikanische Schriftsteller mit seinem letzten Roman weltweit in die Herzen der Leser geschrieben: „Unsere Seelen bei Nacht“, verfilmt mit Jane Fonda und Robert Redford, ist die Geschichte eines späten Glücks und des Aufbegehrens gegen die Einsamkeit. Dies ist das große Thema von Haruf – auch im nun druckfrisch auf Deutsch nachgereichten Roman „Abendrot“. Angesiedelt hat ihn Haruf in seiner Heimat Colorado, in der Weite der Prärie und im fiktiven Städtchen Holt. Jeder hier hat sein Päckchen zu tragen. Betty und Luther Wallace scheitern immer wieder am Vorsatz, gute Eltern zu sein. Aber sie kämpfen im Alltagschaos unerschütterlich um ihre Kinder. Die Bilderbuch-Mutter Mary Wells versucht, für alle die Welt schöner zu machen – bis ihre eigene zerbricht. Draußen auf ihrer Ranch müssen inmitten ihrer Rinderherden die unzertrennlichen McPheron-Brüder Harold und Raymond das Abschiednehmen lernen, nicht nur von ihrer Ziehtochter. Das Leben aller gerät aus den Fugen. Doch die Schicksalsschläge bewirken auch, dass die Menschen einander neu begegnen – ob im Krankenhaus oder bei einer unfreiwilligen Tanzeinlage.
„Kent Haruf nimmt uns mit, wohin wir nie wollten – und bald wollen wir nie mehr weg.“ (Bernhard Schlink)