Stammbaum der Erkenntnis – Sündenfälle inklusive

VIELE NAMHAFTE Auszeichnungen wie den Booker-Prize und den Jerusalem-Preis hat Ian McEwan schon erhalten. Ganz besondere Bedeutung aber hat für den englischen Schriftsteller die Goethe-Medaille, die ihm im August 2020 verliehen wurde: wegen seiner engen Verbundenheit mit Deutschland, mit seinen Lesern hier und mit Goethe. „Wenn wir eine Persönlichkeit in eine entfernte Galaxie entsenden sollten, um die gesamte Menschheit zu repräsentieren, dann würde ich Goethe vorschlagen … als perfekten freien Geist.“ Mit dem Universalgelehrten teilt er die intellektuelle Neugier und das leidenschaftliche Interesse an den Naturwissenschaften. Davon zeugen neben McEwans Romanen (z.B. „Solar“) auch seine brillanten Essays. In seinem neuen Buch vereint er sie zu einer faszinierenden Saga über die Geschichte der Wissenschaft und ihre Berührungspunkte mit der Literatur: beispielsweise Bonobos, Biologie und „Madame Bovary“! Literatur dient McEwan als aufschlussreiche Erkenntnisquelle der Anthropologie – beim großen Streifzug durch die Wissenschaften auf der Suche nach der Natur des Menschen. Gibt es sie überhaupt als universelles Phänomen? Oder sind wir beliebig formbar? Wenn ja, wodurch? Wer war der moderne Ur-Mensch? Die mitochondriale Eva? Oder Alan Turing? Wie und wann wurden wir zu denen, die wir heute sind? McEwan entwirft eine grandiose geistige Weltkarte von Homer über Darwin und Einstein bis E.O. Wilson – als inspirierende Einladung, dem Forschergeist zwischen Verirrungen und Triumphen nachzuspüren und das Staunen zu lernen. Geistreiches Vergnügen!