Mastermind Rolf Dobelli macht so schnell keiner etwas vor, wenn es um das Auf-den-Punkt-bringen geht. So erschrieb sich der Schweizer, der in St. Gallen Philosophie und Betriebswirtschaft studiert hat, internationales Renommee mit seinen brillanten Kolumnen. Und mit Bestsellern wie „Die Kunst des klaren Denkens“, „Die Kunst des klugen Handelns“ und „Die Kunst des guten Lebens“. Aber trotz eigenem Welterfolg glaubt er nicht an Erfolgsgeheimnisse. Dobellis Überzeugung: Am effektivsten lernen wir aus Fehlern. Mit seiner „Not-To-Do-Liste“ das reine Vergnügen!

Der Ansatz Ihres neuen Buches ist nicht einfach nur originell, sondern grundlegend anders als beim Gros der Glücks- und Erfolgsratgeber. Was ist die Essenz?
Was im Leben zu vermeiden ist, ist genauso wichtig wie das, was zu tun ist. Das vergisst man oft. Wir überschätzen systematisch die Rolle von Erfolgsfaktoren, und wir unterschätzen ebenso systematisch die Rolle von Misserfolgsfaktoren. Warum? Weil die erfolgreichen Unternehmen, Projekte und Personen es in die Medien schaffen. Für die Gescheiterten hingegen interessiert sich keine Seele. Versager schreiben keine Autobiografien – und falls doch, finden sie keinen Verlag oder zumindest keine Leser. So studieren wir Erfolgsgeschichten und leben mit der Illusion, Erfolg entstehe durch die gewissenhafte Aneinanderreihung von Erfolgsfaktoren statt durch das Vermeiden von Erfolgskillern.

Sie haben zwar beträchtlichen Erfolg, aber Sie setzen nicht auf Erfolgsrezepte. Warum nicht?
Weil Misserfolge aussagekräftiger sind als Erfolge. Man lernt mehr von Misserfolgen. Bei Erfolgen ist meist sehr viel zufälliges Glück im Spiel. Und aus dem Zufall lernt man nichts.

„Unglück hat Struktur. Und es lehrt uns etwas.“

In Ihrem Buch drehen Sie den Spieß um und beleuchten Misserfolgsfaktoren und Wege ins Unglück. Welche guten Gründe sprechen dafür?
Glück ist etwas fade und eindimensional. Das Unglück hingegen verrät viel mehr über die Welt. Unglück hat Struktur. Und es lehrt uns etwas. Deshalb sammle ich es – das Unglück. Und deshalb schreibe ich darüber.

Der Fachbegriff für Ihre Methode heißt „Inversion“. Was hat es damit auf sich?
Inversion heißt Umkehrung. Diese Methode hat mir im Leben sehr viel Nutzen gebracht. Anstatt herauszufinden, was mich gesund macht, konzentriere ich mich darauf, ungesunde Gewohnheiten zu vermeiden. Anstatt zu überlegen, wie ich produktiver sein kann, identifiziere und eliminiere ich Ablenkungen. Anstatt nach Wegen zu suchen, reich zu werden, vermeide ich absehbare Verluste. Anstatt zu analysieren, was Beziehungen gelingen lässt, achte ich darauf, woran sie zerbrechen. Anstatt endlos Gedanken zu wälzen, um zur perfekten Entscheidung zu gelangen, vermeide ich jene Entscheidungsfallen, in die schon so viele vor mir getappt sind. Und anstatt dem Glück hinterherzujagen, beseitige ich die Dinge, die mir den Weg zum Glück verbauen.

Was beinhaltet Ihre Not-To-Do-Liste konkret?
Es sind 52 Misserfolgsrezepte, die es zu vermeiden gilt. Etwa „Seien Sie unzuverlässig“ oder „Seien Sie hörig“. Wenn Sie diese 52 Dinge vermeiden, stellt sich das gute Leben von allein ein.

Obwohl es um Lebensfehler geht, klingen Sie kein bisschen belehrend oder moralisch. Im Gegenteil: Sie scheinen beim Schreiben ziemlich viel Spaß gehabt zu haben. Wie wichtig sind Ihnen Humor und Ironie für Ihr Buch gewesen und warum?
Jedes Kapitel beginnt mit einem ironischen Teil, bevor ich „zur Sache“ komme. In der Tat, es hat mir Spaß gemacht, den erhobenen Zeigefinger durch Ironie abzuschwächen.

Mit am lustigsten liest sich das 9. Kapitel: „Predigen Sie Wasser, und trinken Sie Wein“. Was ist Ihr Lieblingsbeispiel und worin besteht das Verhängnis?
Deklarieren Sie mit verträumten Augen, wie wichtig Ihnen die Liebe zu Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner sei, aber gönnen Sie sich auf Ihren Geschäftsreisen ruhig den einen oder anderen romantischen Ausflug. Oder: Bläuen Sie Ihren Kindern ein, wie wichtig Fleiß im Leben sei, während Sie Ihren Tag auf der Gartenschaukel verbringen, das Bier in der einen Hand, das Handy in der anderen. Der Effekt, wenn die Scheinheiligkeit auffliegt, liegt auf der Hand.

„Ich habe etwa 400 systematische Lebensdummheiten gesammelt.“

Ihr Buch umfasst 52 Kapitel – 52 Lebensfehler, die man besser vermeiden sollte. Wann und wie hat Ihre Sammlung solcher Faktoren ihren Anfang genommen?
So, wie andere Vinylplatten, Videospielkonsolen oder Vintage-Kleider sammeln, sammle ich seit Jahren Geschichten von Misserfolgen – Fehlschlägen im Leben, in Karrieren, Ehen und Familien. Ich habe etwa 400 systematische Lebensdummheiten gesammelt. Nicht alle eignen sich für ein ganzes Kapitel. Nicht allen kann man einen ironischen Dreh verleihen. Deshalb hat dieses Buch nicht 400 Kapitel.

Teilweise staunt man nicht schlecht. Beispielsweise beim 28. Kapitel. Da steht auf Ihrer Not-To-Do-Liste: „Hören Sie auf Ihre innere Stimme.“ Warum halten Sie das für einen Lebensfehler beziehungsweise für eher kontraproduktiv?
„Hören Sie auf Ihre innere Stimme“ ist seit 30 Jahren ein Mode-Tipp. Die innere Stimme aber ist kein Kompass, sondern ein unaufhörlich speiender Vulkan heißer und sogleich wieder erkaltender Gedankensplitter. Die meisten Gedanken sind irrelevant. Wer sich von der inneren Stimme leiten lässt, ist selber schuld.

Ein Seufzen dürfte bei vielen Leser:innen das 44. Kapitel auslösen: „Versuchen Sie, Menschen zu verändern.“ Warum ist das der Unglücklichmacher schlechthin, und warum bemühen sich dennoch so viele, es zu schaffen?
Sich selbst können Sie ein bisschen verändern – ein langsamer, mühsamer Prozess. Andere Menschen hingegen können Sie nicht verändern. Äußere Motivation, Anreize, Druck – nützt alles nichts. Deshalb: Begeben Sie sich nie in Situationen, in denen Sie Menschen verändern müssen. Sie können nur verlieren. Das Dümmste ist es, sich mit Menschen anzufreunden oder sie gar zu heiraten mit der Absicht, sie zu verändern. Das ist beinahe kriminell idiotisch.

Seit Ihrem Studium befassen Sie sich intensiv mit Philosophie. Was macht sie relevant für Ihr Buch und für das Alltagsleben?
Bis vor etwa zweihundert Jahren stand die Frage „Wie führt man ein gutes Leben?“ im Zentrum der Philosophie. Hunderte von smarten Menschen haben über Jahrtausende darüber nachgedacht und geschrieben. Warum nicht von ihnen lernen?

„Bücher sind die perfekte Lebenssimulation.“

Ganz in unserem „büchermenschen“-Sinn ist Kapitel 14 ein leidenschaftliches Plädoyer für das Lesen. Biografien und Romane legen Sie Leser:innen besonders ans Herz. Aus welchen guten Gründen?
Bücher sind die perfekten Lebenssimulatoren. So wie Piloten ihr Handwerk in Simulatoren erlernen, kann man einen großen Teil des „Handwerks des Lebens“ aus Büchern lernen. Das Lesen von Biografien und Romanen lässt uns auf angenehme und effiziente Weise hunderte verschiedener Lebensentwürfe durchspielen, ohne in gefährliche Fallen zu treten.

Unter all den beeindruckenden Persönlichkeiten in Ihrem Buch zitieren Sie wohl am häufigsten Charlie Munger. Was ist das Imponierende an ihm?
Munger war einer der intelligentesten, witzigsten, erfolgreichsten Menschen. Auch einer der besten Investoren aller Zeiten. Zuweilen etwas arrogant, aber nur, wenn man seinen Witz nicht verstand. Leider ist Munger während des Schreibens dieses Buches wenige Tage vor seinem hundertsten Geburtstag gestorben. Ich bin ein solcher Fan von Munger, dass in unserem Garten eine Bronzestatue von Munger steht. Meine Frau hat über die Jahre still und heimlich Efeu darüber wachsen lassen, sodass meine Munger-Vergötterung den Besuchern nicht allzu sehr ins Auge sticht.

Als wesentlichen Faktor für Seelenruhe bezeichnen Sie das „Fuck-You-Polster“. Was hat es damit auf sich?
Geld macht nicht notwendigerweise glücklich. Aber kein Geld zu haben macht todsicher unglücklich. Deshalb: Geben Sie nie mehr aus, als reinkommt. Sparen Sie sich ein möglichst dickes Polster an. Das verleiht Seelenruhe. Fuck-You-Geld bedeutet schlicht und einfach: Sie haben die wirtschaftliche Freiheit, Ihrem ungeliebten Chef / Ihrer ungeliebten Chefin diese beiden Wörter an den Kopf zu werfen und sich in aller Ruhe einen besseren Job zu suchen. Ohne finanzielles Polster sind Sie möglicherweise nicht in der Lage, sich aus einer toxischen Arbeitssituation zu befreien.

Auch für „Die Not-To-Do-Liste” hat El Bocho wieder die Illustrationen beigesteuert. Was schätzen Sie an Ihrer traditionsreichen Zusammenarbeit und an seinem Stil?
El Bocho ist einer der hervorragendsten Illustratoren unserer Zeit. Und was bei ihm besonders angenehm und bei den meisten anderen Künstlern kaum der Fall ist: Er liefert immer vor der Deadline ab. Martin Janik, mein erstklassiger Lektor, hat ihn bei unserem allerersten Buchprojekt („Die Kunst des klaren Denkens“) vor 12 Jahren gefunden. Seither arbeiten wir drei super gut und gern zusammen.

Aus welchen Fehlern haben Sie selbst am meisten gelernt?
Leider aus meinen eigenen!