Literaturstar ist eine glatte Untertreibung bei Rebecca F. Kuang. Mit 27 bringt es die chinesisch-amerikanische Autorin auf eine stolze Bilanz: fünf New-York-Times-Bestseller, Masterabschlüsse in Cambridge und Oxford, preisgekrönter Welterfolg mit ihrem Meisterwerk „Babel“ über die Magie der Sprache und die Macht von Worten. Während sie in Yale promoviert, schrieb sie ihren aktuellen Coup: „Yellowface“, ein elektrisierender Genre-Mix zwischen Literaturthriller und Satire über die Buchbranche.

Dass Sie eine leidenschaftliche Leserin sind, lässt z.B. die Liste Ihrer Buchentdeckungen in Ihrem Newsletter ahnen. Welche Beispiele veranschaulichen Ihr Lektürespektrum am besten?
Im Moment lese ich gerade drei Bücher gleichzeitig: Charles Dickens‘ „Große Erwartungen“, Heather Clarks „Red Comet“ (eine Biografie von Sylvia Plath, bislang nur auf Englisch erhältlich) und Mo Yans „Das rote Kornfeld“.

Für wie wichtig halten Sie das Lesen für Ihre Entwicklung als Autorin?
Es gibt wohl kaum eine Autorin oder einen Autor, der bzw. die nicht zunächst einmal sehr, sehr viel gelesen hat. Ohne diese Lesebiografie, ohne möglichst sorgfältige und umfassende Lektüre, kann man, zumindest glaube ich das, den Beruf des Schriftstellers nicht ernsthaft ausüben.

„Ich bin mittlerweile eher bereit, als Schriftstellerin Risiken einzugehen.“

Wenn Sie heute zurückblicken auf Ihr Erfolgsdebüt „Im Zeichen der Mohnblume“: Was sind im Vergleich zu Ihren neuen Romanen „Babel“ und „Yellowface“ die größten Veränderungen in Ihrem Schreibprozess und in Ihrem Stil?
Es erscheint mir im Rückblick unvorstellbar, dass ich meinen ersten Roman im Alter von 22 Jahren veröffentlicht habe. Das war 2018 und ist also nicht besonders lange her, es fühlt sich aber an, als sei seitdem eine Ewigkeit vergangen. „Yellowface“ ist bereits mein fünftes Buch und ich bin mittlerweile eher bereit, als Schriftstellerin Risiken einzugehen, wenn ich Themen aufgreife, die mich interessieren und umtreiben.

Was ist Ihr neuer Roman „Yellowface“ für Sie? Ein literarischer Thriller? Eine Realsatire?
„Yellowface“ ist alles davon. Ich wollte mich nicht festlegen, sondern die verschiedenen Themen des Romans in allem Facettenreichtum aufs Papier bringen. Der Roman ist ein Querschnitt durch viele Genres, die mich begeistern.

Was möchten Sie mit dem Romantitel „Yellowface“ zum Ausdruck bringen?
Wie es manchmal so ist in der Zusammenarbeit zwischen Autor und Verlag, fließen beim Titel, beim Cover und anderen Aspekten verschiedene Ideen und kreative Impulse zusammen. Oft ist das ein bereichernder und gemeinschaftlicher Aspekt, der auf die eher einsame Phase des Schreibens folgt. Der Titel „Yellowface“ war tatsächlich gar nicht meine Idee, aber er gefällt mir. Gerade bei der Titelfindung meiner Romane freue ich mich über die Einfälle der anderen – ich bin schrecklich, was Titel angeht.

„Kann aus dieser Beziehung eine Freundschaft erwachsen?“ ​

Im Mittelpunkt von „Yellowface“ stehen zwei Autorinnen. Wie würden Sie Athena und June mit je drei oder vier Eigenschaften charakterisieren?
Die beiden sind sich eigentlich ziemlich ähnlich. Athena ist unsicher, ehrgeizig, isoliert und betrachtet die Welt mitunter recht eindimensional. June ist unsicher, ehrgeizig, isoliert und geht auch sehr oft mit Scheuklappen durchs Leben. Vielleicht erwächst aus dieser Ähnlichkeit eine Freundschaft, vielleicht belastet gerade das aber auch die Beziehung der beiden.

Was macht die Beziehung zwischen Athena und June so toxisch?
Viele Menschen sind neidisch auf ihre Freund:innen. Ich habe sicherlich Freund:innen, die ich beneide, und ich weiß, dass einige Freund:innen neidisch auf mich sind. Neid ist etwas Natürliches, und Freundschaften können stärker werden, wenn man ihn anerkennt und darüber spricht. Allerdings gelingt es Athena und June nicht, einander ihre ehrlichen Gefühle mitzuteilen.

Am Ende einer gemeinsamen Feier ist Athena tot und ihr neues Manuskript in der Handtasche von June. Chance oder Verhängnis?
Der Roman ist aus Junes Perspektive geschrieben, und June entwirft eine bestimmte Erzählung, sowohl um äußeren Erfolg zu erzielen als auch um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen. So stellt June Athenas Tod natürlich als einen Unfall dar. Ob das nun Chance oder Verhängnis ist, darüber sollen sich die Leser:innen am besten eine eigene Meinung bilden.

„Athena ist trotz ihrer Abwesenheit präsent …“

Auch nach ihrem Tod bleibt Athena für June sehr präsent – um nicht zu sagen das Maß aller Dinge. Warum?
Mir gefiel die Herausforderung, mit Athena eine Figur zu erschaffen, der es gelingt, trotz ihrer Abwesenheit während des größten Teils der Geschichte präsent und eindringlich zu sein.

Welche Ihrer Romanfiguren spricht Ihnen am meisten aus dem Herzen, was das Schreiben und das Leben als Autorin anbelangt?
Alle Figuren, die ich mir ausdenke, tragen ein Stück meines Herzens in sich, aber die Figur, die mir am ähnlichsten ist, ist Robin – der Protagonist aus meinem Roman „Babel“.