Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Aktuell ist Lalena im Filialleitungsteam am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange.

1. Sehr früh schon hast du schreibend Erfolg gehabt und mit 13 deinen ersten Preis gewonnen. Was würdest du rückblickend sagen, war das ein Vorteil?
Sehr gute Frage! Mein Vorteil war, dass mir schon als kleines Kind von meinen Eltern sehr viel vorgelesen wurde. Das war die Zeit am Tag, zu der meine Geschwister und ich uns mit unseren Eltern zusammengefunden und zugehört haben. Es war ganz still im Raum, nur die Stimmen unserer Eltern waren zu hören, die von diesen entfernten, sonderbaren Welten erzählten. Wir Kinder tauchten ein in diese Bilder, in die Sprache, die Bedeutung, die Empfindungen und offenen Fragen und brachten sie mit uns und unserem Erleben zusammen. So ist in mir das Bedürfnis entstanden, diese Welten und fremden, unerforschten Räume schreibend zu öffnen und zu verstehen.

2. 
Damals in den 90ern hast du mit Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht zum Kanon der Popliteratur gehört. Diesen Pfad hast du eindeutig verlassen. Weshalb?
Der Begriff Popliteratur wurde ja irgendwann zu einer Art Schimpfwort, was ich sehr schade fand. Denn für mich reflektiert die Popliteratur auf direkte Art und Weise das Alltägliche – damit meine ich, sämtliche Gedanken, Empfindungen, Rückschlüsse und Ängste des Erzählenden, mit dem sich der Leser identifizieren und sich fragen kann: Will ich so leben? Doch die scheinbare Einfachheit der Sprache und der Schilderungen galten plötzlich als banal. Das sehe ich nicht so. Nichtsdestotrotz muss ich natürlich zugeben, dass ich heute – etwa zwanzig Bücher später – genauer weiß, was ich tue, wenn ich ein Buch schreibe. Meine Bücher sind thematisch immer noch dicht an dem, was mich früher beschäftigt hat: Das Menschsein an sich. Doch meine Geschichten sind heute klarer dramatisiert.

3. 
„Kampfsterne“, dein letzter Roman, liest sich ebenso wie dein neues Buch „Die Weihnachtsgeschwister“ als Familiengeschichte. Was ist Familie über die Blutsbande hinaus, was macht sie aus?
Ich bin fasziniert von dem Konstrukt Familie. Ich bin fasziniert von kindlichen Prägungen, vom Erwachsenwerden innerhalb der Familie, vom Loslösen vom Elternhaus, von sämtlichen Phasen, die wir als soziale Wesen durchlaufen, immer wieder bemüht, uns und unsere Umwelt besser zu verstehen und uns von Selbstbeschränkungen zu lösen. All diese Bewegungen lassen sich am schönsten in der Familienkonstellation erzählen, weil damit natürlich auch eine enorme Menge von unterschiedlichsten Gefühlen verbunden sind, die das Geschriebene für den Leser auch besonders erlebbar und nachvollziehbar machen.

4. Nachdem dein aktueller Roman eine Weihnachtsgeschichte ist, möchte ich gerne wissen: Warum halten wir so fest an diesem Ritual, dieser Tradition? Kann uns das „Fest der Liebe“ immer noch etwas geben, außer dem Stress, im letzten Moment alle unnötigen Geschenke besorgt zu haben?
Für mich ist der Heiligabend weniger eine Tradition oder ein Ritual, er ist die Erinnerung daran, dass Jesus geboren wurde, Gottes Sohn. Er ist zu uns gekommen, um uns zu erlösen. Wenn man über die – leider etwas bedeutungslos gewordenen – Worte hinaussieht und in sich spürt, was die Geburt von Jesus tatsächlich symbolisiert, müsste man doch eigentlich erfüllt sein mit Freude, mit Frieden. Weihnachten ist eine Erinnerung daran, dass wir die Möglichkeit haben, uns selbst und gegenseitig anzuerkennen und zu lieben.

5. „Ihr Frauen – verschafft euch Muße und ein Zimmer für euch allein – lebt in der Gegenwart, der Wirklichkeit, ein erlebendes Leben“, schrieb Virgina Woolf. 
Du bist Mutter von 5 Kindern, wie findest du dein eigenes Leben? Wie schaffst du es, zu schreiben?
Alles, was passiert, empfinde ich als mein Leben. Egal, was ich tue. Ich habe all das ja selbst gewählt. Den Satz von Virginia Woolf kenne ich nur zu gut. Ich bin damit aufgewachsen und habe für mich mit Anfang zwanzig den Entschluss gefasst, dass ich als Frau nicht als zweigeteiltes Wesen existieren will: Mutter und arbeitende Frau. Alles ist gleichwertig und absolute Wirklichkeit. Ich schreibe, wenn meine Kinder in der Schule und im Kindergarten sind. Um aber auch immer wieder neuen Schreibinhalt zu sammeln, brauche ich die vollkommene Loslösung vom Schreiben. Allein in meinem Zimmer – da wäre ich irgendwann leergeschrieben.

6. Deine fünf Kinder haben drei verschiedene Väter. Wie lautet dein Statement zur Frage der Emanzipation? Viel erreicht oder still a long way to go?
Ich habe mich sehr viel mit dem Thema Emanzipation der Frau beschäftigt, weil ich mit feministischer Literatur großgezogen wurde und meine Mutter und ihr Umfeld sich mit diesem Thema stark auseinandergesetzt haben. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und dafür, dass ich für diese Problematik ein Bewusstsein entwickeln konnte. Ich habe mir geradezu die Zähne daran ausgebissen und konnte meine Lebenssituation lange Zeit nur unter dem Aspekt der „Selbstbestimmung“ sehen. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich mit diesem dualistischen Denken nicht weiterkomme, sondern ständig rechne, wer es besser hat: Mann oder Frau. Leichter wird es, wenn Mann und Frau sich aufeinander zubewegen und nicht sämtliche persönliche Schwierigkeiten als emanzipatorisches Problem verstanden werden, sondern als ganz normale Herausforderungen, für die gemeinsam eine Lösung gefunden werden kann. Also: Ich glaube, es kommt – zumindest in unseren Breitengraden – beinahe eher auf den persönlichen Blick an, ob viel erreicht ist oder noch längst nicht.

7. 
Was ist mit den Männern, müssen die sich nun auch emanzipieren?
Sicherlich gibt es einige Männer, aber auch Frauen, die noch recht stark in alten patriarchalen Mustern verhaftet sind, weil diese Muster eben auch bekannt und gewohnt sind und unser Gesellschaftssystem zum Teil noch darauf fußt. Aber ich denke, dass diese Muster mehr und mehr aufbrechen, weil sich grundsätzlich sehr viel um uns herum verändert.

8.
 Wer Bücher liebt und Kinder hat, liest in der Regel gerne vor. Wie ist das in deiner Familie? Wer liest vor, habt ihr ein Lieblingsbuch?
Mein Mann liest unseren Kindern jeden Abend vor. Gerade „Wir Kinder aus Bullerbü“ von Astrid Lindgren. Davor war es „Die Schule der magischen Tiere“. Was für mich sehr schön ist: Meine Kinder mögen es auch, wenn ich ihnen eins von meinen Kinderbüchern vorlese. Zum Beispiel „Lelle“.

9. Welche Schriftsteller, welche Bücher haben dich am meisten geprägt und was haben sie ausgelöst?
Besonders geprägt haben mich die Märchen der Brüder Grimm. Dann die Märchen von Astrid Lindgren, die ich wirklich ganz besonders finde. Dann Sylvia Plath, Max Frisch, Thomas Bernhard, Charles Bukowski. Also Schriftsteller, die sehr aus ihrem eigenen Erleben, ihrem Umfeld, in ihrer stark rhythmisierten Sprache erzählen und ihre Beobachtungen und Gedanken reflektieren. 

10. Der Weihnachtsmann kommt vorbei und erfüllt dir jegliche 3 Wünsche. Was wünschst du dir, Alexa?
Innere Ruhe. Freude. Präsenz.