Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Aktuell ist Lalena im Filialleitungsteam am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns die Autorin Benedict Wells.

1. Benedict, welche Bedeutung haben folgende Begriffe für dich: Jugend und Nacht?
Hier würde ich, falls ich darf, mit zwei Zitaten arbeiten. In „Hard Land“ heißt es an einer Stelle in einem Gedicht: „Du wirst zurückkehren zu diesen Jahren, doch betreten wirst du sie nie mehr … Jugend ist der Ort, den du verlassen hast.“ So ungefähr fühle ich mich gerade, und das ist sowohl mit Wehmut verbunden als auch mit Freiheit. Denn erst jetzt, wo ich in meinem Alter die Jugend verlassen habe, verlassen musste, konnte ich wirklich darüber schreiben. Die Nacht dagegen ist mir immer schon sehr vertraut, selbst als Kind bin ich da immer aufgelebt. Oder, wie es in „Spinner“ mal heißt: „Die Nacht ist keine Zeit. Die Nacht ist ein Ort.“

2. Wie findest du deinen ersten Satz für ein neues Buch und ist er dir besonders wichtig?
Das ist von Buch zu Buch verschieden. Manchmal hatte ich den ersten Satz sehr schnell, manchmal war es eine längere Suche. Da es in „Hard Land“ aber auch um berühmte erste Sätze geht, die eine der Figuren sammelt, wusste ich diesmal schon sehr früh, mit welchem ich gern anfangen würde.

3. Du verstehst es, uns Tod und Abschied, die tiefe Melancholie und Trauer, als etwas Wichtiges und ja, sogar manchmal Schönes zu beschreiben,Was bringt dich dazu?
All diese Themen sind nichts Schönes. Gerade bei Tod gibt es oft nur Schmerz und Traurigkeit, und manchmal – die vielleicht hässlichste Maske der Trauer –, nicht mal das, sondern nur ein diffuses Nichts. Und doch gehört das alles zum Leben dazu, man kann diesen Themen nicht ausweichen, niemand von uns. Früher hatte ich nur Angst, habe schnell weggeblickt. Aber irgendwann wollte ich nicht mehr wegrennen. Ich wollte so lange hinschauen, bis ich etwas finde, das ich all dem entgegenstellen kann. Und ich schreibe darüber, um die Worte zu finden, die ich früher nicht hatte.

4. Hier auf dem deutschsprachigen Buchmarkt wird streng zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur getrennt, dein neuer Roman spricht sicherlich beide Gruppen an. Hat dich diese Trennung beim Schreiben irgendwie beeinflusst?
Nein. Ich wusste, dass es vermutlich „sicherer“ gewesen wäre, nach „Vom Ende der Einsamkeit“ nochmal einen Familienroman zu schreiben. Aber ich wollte mich einfach von meiner Leidenschaft für diesmal das Coming-of-Age-Genre leiten lassen und hatte die große Hoffnung, dass das Buch sowohl von der Erwachsenenliteratur in die Jugendliteratur hinüberschwappen würde – und umgekehrt. 

5. Verrätst du uns deinen Lieblingsschreibplatz und alles was dazu gehört?
Das kann ich ganz schnell machen – es gibt tatsächlich keinen. Weite Teile von „Vom Ende der Einsamkeit“ habe ich zum Beispiel in einer Art Kammer in Barcelona geschrieben, ohne Schreibtisch, auf meinen Knien. Und ansonsten schreibe ich überall, wo ich gerade bin, im Bett, an irgendeinem Tisch. Wichtig ist mir nur Ruhe, deshalb wären belebte Cafés schwieriger. Zum Überarbeiten würde es gehen, aber nicht zum Schreiben von etwas komplett Neuem.

6. Du hast für Spotify und Youtube wunderbare Playlists zu deinen Büchern zusammengestellt und freigegeben …Was bedeutet dir Musik und beeinflusst sie dich beim Schreiben?
Vielen Dank. Und Musik ist einfach mein Schlüssel beim Schreiben. Bevor ich eine Zeile von „Hard Land“ getippt hatte, habe ich eine stark 80s-lastige Playlist mit hunderten Titeln erstellt, dann ging ich oft stundenlang spazieren, hörte die Songs und arbeitete an den Figuren oder stellte mir Szenen vor. Später versuchte ich dann Worte zu finden für meine Stimmung beim Anhören dieser Musik. Deshalb war es diesmal ein besonderer Spaß, wieder die Soundtracks zum Buch zu erstellen.

7. Wie erlebst du die nun schon ein Jahr anhaltende Pandemie, eine Zeit ohne Begegnungen mit deinen Lesern, ohne Buchmesse und Literatur-Events?
Das ist tatsächlich eine sehr bedrückende Zeit für mich. Mir fehlt das alles sehr, das kulturelle Leben generell. Wobei ich sagen muss, dass ich auch vergleichsweise viel Glück hatte. Ich habe keinen Laden, der schließen muss oder bedroht ist, und ich bin auch kein Debütant. Ich habe während des letzten Jahres oft daran denken müssen, was wäre, wenn ich gerade mein erstes Buch herausgebracht hätte – und dann wäre alles ausgefallen, die Buchläden teilweise geschlossen, der Traum von der ersten Tour geplatzt. Deshalb ist es umso wichtiger, in diesen Zeiten nicht nur den stationären Buchhandel zu unterstützen, sondern auch tolle Debüts wie etwa „Fang den Hasen“ von Lana Bastasic, „Nur vom Weltraum aus betrachtet ist die Erde blau“ von Björn Stephan – und viele andere.

8.
 Du führst eine liebevoll gestaltete Homepage und bist auf Facebook aktiv, deine Lesungen können schon mal bis 4 Uhr morgens gehen. Dennoch gehört es schon fast zum „Wells-Mythos“, das du zurückhaltend, ja introvertiert bist. Wie fühlt sich dieser Spagat an?
Ich musste lächeln bei der Frage, denn ich empfinde es tatsächlich auch manchmal als Spagat. Ich liebe die Begegnungen auf Lesungen oder den Austausch auf etwa Facebook, das alles ist wie eine gute Unterhaltung in einer Kneipe. Dieses Persönliche ist mir sehr wichtig, deshalb will ich auch nichts ändern, selbst wenn es nun manchmal auf Lesungen sehr lang geht. Und gleichzeitig ist es für mich nicht immer leicht, zumindest mit einem Bein in der Öffentlichkeit zu stehen und so sichtbar zu sein. Ich überlege deshalb, in Zukunft zumindest alles Mediale noch viel weiter zurückzufahren. Quasi nur noch das Persönliche, nur noch Lesungen und die Gespräche danach. Aber mal schauen. Ich weiß ja ohnehin noch gar nicht, wie es in näherer Zukunft mit dem Schreiben von Romanen weitergeht, deshalb lasse ich das Ganze einfach auf mich zukommen.

9.
 Wie kommst du denn mit dem „Wunderkind“-Status zurecht, der sich durch deinen frühen Riesenerfolg mit „Vom Ende der Einsamkeit“ festgesetzt hat?
Das habe ich bewusst nie so sehr an mich herangelassen und konnte es nach den unzähligen Verlags- und Agenturabsagen in den ersten Jahren auch gut einordnen. Ich bin einfach glücklich, dass ich schon so früh bei Diogenes meine Bücher veröffentlichen durfte, das empfand ich immer als unglaubliches Privileg. Und es gibt natürlich Schlimmeres, als so genannt zu werden. Andererseits bin ich jetzt 37 Jahre alt und gehe sehenden Auges auf die vierzig zu, ich glaube, spätestens da hat sich dieser Status erst mal erledigt. Wobei ich zugeben muss, dass diese Begriffe wie auch etwa „Jungautor“ oder nun „Bestsellerautor“ schon auch komisch sind. Denn dahinter steckt ja immer ein Mensch mit Unsicherheiten und Schwächen, der in diesem Fall staunend auf das alles blickt und oft vergisst, dass damit offenbar er selbst gemeint ist.

10.
 Glaubst du an Magie? Ich ja. Stell dir vor, du hast drei magische Wünsche frei, welche wären das?
Ich glaube nicht wirklich an Magie, aber ich würde sie mir wünschen. Die zwei anderen Wünsche behalte ich aber für mich, sonst werden sie nicht wahr.

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