Auch als eBook auf hugendubel.de erhältlich
Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Heute ist Lalena als Sortimentsmanagerin am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns die 2015 mit dem Nicolaus-Born-Debütpreis ausgezeichnete Schriftstellerin Daniela Krien.
1. 2011 ist dein erster Roman „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ erschienen.
Es gab Begeisterung, es gab Kritik, es wurde diskutiert, du hast viel Aufmerksamkeit erregt. Wie ist es dir damit ergangen, und wie ist das heute, jetzt ist ja gerade dein neuer Roman „Die Liebe im Ernstfall“ erschienen, liest du die Rezensionen überhaupt? Lässt du dich davon beeinflussen?
Zunächst einmal habe ich mich nach dem Erscheinen von „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ sehr darüber gefreut, dass ein Text, in den ich meine ganze Kraft gesteckt hatte, so stark beachtet und im Großen und Ganzen positiv aufgenommen wurde. Allerdings bin ich es als Schriftstellerin gewohnt, allein zu arbeiten und sehr viel Zeit im stillen Kämmerlein zu verbringen. Der plötzliche Rummel hat mich ziemlich angestrengt. Natürlich habe ich damals alle Rezensionen gelesen, aber recht bald gemerkt, dass mir das einen enormen emotionalen Stress macht. Mittlerweile bin ich gelassener. Wenn das Buch einmal in der Welt ist, kann ich ohnehin nichts mehr tun. Einfluss auf mein Schreiben haben Rezensionen nicht. Ich kann nur schreiben, wie ich eben schreibe. Würde ich anfangen, mich nach den Bedürfnissen der Rezensenten zu richten, käme dabei nichts Gutes raus.
2. Wie bist du Schriftstellerin geworden,
ist das der Lebensweg den du immer einschlagen wolltest?
Ja, es ist das, was ich immer wollte. Trotzdem habe ich lange gebraucht, bis ich mich an einen Verlag wandte. Ich war schon fünfunddreißig. Glücklicherweise hat es dann schnell funktioniert. Tanja Graf vom Graf Verlag entschied sich gleich nach dem Lesen des Manuskripts von „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ für die Veröffentlichung in ihrem Verlag.
3. Ein zündender Gedanke, ein Satz, wie beginnst du mit einem neuen Roman, hast du eine fertige Storyline oder trägt es dich fort? Und gibt es literarische Einflüsse auf dein Schaffen, hast du Lieblingsschriftsteller?
Ich weiß am Anfang nie, wohin die Reise geht. In der Regel habe ich einen ersten Satz, eine noch unscharfe Figur, und damit fange ich an. Alles Weitere ergibt sich beim Schreiben. Unter den Schriftstellern der Vergangenheit gibt es natürlich viele, die ich bewundere – Dostojewskij, Knut Hamsun, Sigrid Undset oder Carson McCullers um nur einige zu nennen, aber inwieweit sie mich beeinflusst haben, kann ich nicht sagen. Derzeit lese ich wenig Prosa. Meine letzten Lektüreerlebnisse waren Sachbücher. Es wird mal wieder Zeit für einen guten Roman. Mit zunehmendem Alter geht es mir jedoch so, dass ich ein gutes Buch lieber ein zweites und drittes Mal lese, anstatt zu einem neuen zu greifen. Ich denke, für die langen Zugfahrten während der bevorstehenden Lesereise packe ich mal wieder „Falken“ und „Wölfe“ von Hilary Mantel ein.
4. Frauen, Frauen und ihre Männer, Frauen die kreisen um ihre Männer. Ein Thema das sehr stark verankert ist. Geht es um Weiblichkeit, geht es um Geschlechterverhältnisse, sind das Erfahrungen?
In „Die Liebe im Ernstfall“ geht es stark um den Wandel der Geschlechterrollen und die daraus resultierenden Konflikte. Da das Buch aus der Perspektive von fünf Frauen geschrieben ist, kreist es natürlich mehr um die weiblichen Überlegungen. Was es bedeutet, weiblich zu sein, ist in den letzten Jahrzehnten radikal neudefiniert worden. Aber Theorie und Praxis decken sich oft nicht. Mich hat interessiert, welche Wege meine Protagonistinnen unter den Bedingungen einer liberalen Demokratie finden und wo sie an Grenzen stoßen.
5. Nun zu den Männern in deinen Texten, das sind sehr „männliche“ Charaktere und den Frauen die sich verlieben gelingt oft keine echte Nähe … wie soll ich das nun richtig formulieren, ist das ein traditionelles Rollenbild, das ein ums andere Mal nicht gelingen kann? Ist das der Konfliktpunkt?
Die Männerfiguren sind ja sehr unterschiedlich. Es gibt den Mann in einem traditionellen Verständnis und es gibt in diesem Buch Männer, die diesem Bild gar nicht mehr entsprechen. Probleme gibt es mit beiden Typen, da sich die Frauen und Männer noch mitten im Prozess des Wandels befinden. Zum Teil müssen die Beziehungen erst scheitern, bevor in einer neuen Partnerschaft das gelingen kann, was sich meine Figuren von Beginn an wünschen.
6. Du lotest Sinnlichkeit aus, bis an die Schmerzgrenze, was fasziniert dich daran?
Das Zwingende darin und die dunkle Seite. Das Ausleben der Sexualität schafft ja viel Leid und mit ein bisschen Verstand könnte man dieses Leid scheinbar leicht umgehen. Aber so ist es nicht. Offenbar gibt es kaum etwas Stärkeres als diesen Trieb.
7. Ich empfinde deinen Schreibstil als intensiv, sprachlich sehr klar, ich bekomme sofort Bilder in meinen Kopf – wie entsteht das, ich stelle mir vor, du bist besonders empfindsam, alles was du wahrnimmst fließt in dein Schreiben ein?
Tatsächlich fließt alles, was ich wahrnehme, in mein Schreiben ein. Ich habe die Fähigkeit, mich sehr offen zu machen. Das ist manchmal fast unheimlich. Die Gefühlswelten anderer Menschen werden dann so spürbar für mich, dass ich ihnen in jeden Abgrund und in jede Höhe folgen kann. Das ist jedoch extrem erschöpfend. Auf solche Episoden folgen notwendige Zeiten des Rückzugs, wo ich mich komplett verschließe und versuche, gar nichts mehr an mich heranzulassen.
8. In deinen Romanen und Erzählungen spielt Ostdeutschland, deine Heimat, eine große Rolle. Heimat, was bedeutet der Begriff für dich?
Heimat – ein schwieriger Begriff. Auf jeden Fall ist der Osten für mich Heimat. Und wenn ich nach Mecklenburg fahre, wo ich geboren aber nicht aufgewachsen bin, fühle ich mich schlagartig wohl und zu Hause. Heimat hat für mich also eine Verortung, hat aber auch mit Menschen zu tun. In Leipzig, wo ich seit zwanzig Jahren lebe, leben die meisten meiner Freunde. Von hier wegzugehen, fiele mir sehr schwer.
9. Das Landleben, die Idylle, die Langsamkeit, das Dorf … du lebst in Leipzig, ist das Dorf ein Sehnsuchtsort für dich?
In gewisser Weise. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Meine Kindheit verbrachte ich hauptsächlich in freier Natur, damals noch ohne permanente Elternaufsicht. Der Wald fehlt mir hier in der Stadt besonders, obwohl Leipzig relativ grün ist. Aber ich weiß um die Härten eines bäuerlichen Dorflebens. Und das ist ganz und gar nicht idyllisch und wäre nicht mein Weg gewesen.
10. Eine gute Fee schneit vorbei und gibt dir drei Wünsche frei, was wünschst du dir?
Ein Wunsch genügt mir: Jeder Mensch soll fortan für sich und alle anderen Lebewesen nur noch das Gute wollen und tun. Ob dabei dann wirklich nur Gutes herauskäme und die Menschen diesen Zustand überhaupt ertragen würden, weiß ich nicht. In Goethes „Faust“ sagt Mephistopheles, er sei „Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Dreht man das um, dann könnte sich mein Wunsch als äußerst gefährlich erweisen. Dennoch: Einen Versuch wäre es wert.
Hinweis:
Lesen Sie dazu auch unsere Rezension des Titels.