Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Aktuell ist Lalena im Filialleitungsteam am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Heute interviewt sie für uns die Schriftstellerin Franziska Hauser.

1. In deinen Romanen finde ich unangepasste Frauen, starke Frauen, trotzige Frauen. Woher kommen die?
Vielleicht kommen sie aus dem vorherigen Roman „Die Gewitterschwimmerin“ und sind irgendwie aus diesen ganzen Problemen herausgewachsen. Natürlich sind sie auch aus meinem Umfeld zusammengesetzt. Als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache lerne ich ja ständig so viele neue Leute aus der ganzen Welt richtig gut kennen. Die unangepassten starken Frauen kommen oft aus östlicher Himmelsrichtung oder einfach aus armen und existenziell bedrohten Verhältnissen. Die interessieren und beeindrucken mich immer am meisten.

2. Facebook und Instagram, Twitter, das gehört für die Schriftsteller von heute fast schon zum guten Ton. Was ist das für dich, Last oder Lust?
Beides. Manchmal vergesse ich das einfach für ein paar Tage. Es ist ja eher ein Zeichen von Entspanntheit, wenn ich mein Handy zu Hause vergesse, wie mein Fahrrad vor dem Kino, wenn der Film gut war. Aber, wenn ich mich irgendwie unnütz fühle, dann flüchte ich gerne in diese Sozial-Media-Welt und rühre ein bisschen darin herum, bis ich die leckeren Früchte herausgeangelt habe. Wenn ich etwas poste, ist es ja auch immer Akquise für Lesungen und Bücher. Die sozialen Medien kommen mir dann vor wie ein ständig fahrender Zug. Da kann ich ein bisschen mitschieben und das Gefühl haben, etwas in Gang bringen zu können, aber ich kann auch stillstehen und trotzdem bewegt sich alles weiter.

3. 
Landleben, du nimmst das trügerische Idyll kritisch unter die Lupe: „Dunja will die Sprache des Dorfes nicht sprechen. Wer sie verstehen will, dem will sie ihre Sprache beibringen, aber anpassen will sie sich nicht.“ Ein Zitat aus den „Glasschwestern“. Dennoch, es scheint ein Rückzugsort?
Ja, ich glaube, das können sich auch Stadtmenschen gut vorstellen. Diese Sehnsucht nach dem ruhigen Landleben und der Naturverbundenheit steckt ja in den Meisten. Das ist für mich so ein schmerzhafter Konflikt, immer so getrieben zu sein und die Stadt zu brauchen und Kunst und Kultur und diese ständige Bewegung. Dann will ich mich am liebsten in einen Waldboden graben und frage mich, warum ich mein Leben eigentlich so eigerichtet habe, dass es total unmöglich ist, nackt durch den Wald zu rennen. So was müssen dann die Figuren in meinen Büchern für mich machen. Auch in einem Dorf zu leben, würde ich sicher nur schwer aushalten. Da geht ist mir alles zu langsam und ist mir kulturell zu eingeschränkt

4. Dein Roman „Die Gewitterschwimmerin“ war für den deutschen Buchpreis nominiert, hat aber auch heftige Kritik abbekommen. Wie gehst du damit um, Lob, Aussicht auf Preise, Kritik …?
Am Anfang hat mich das total erschreckt. Aber je öfter ich merke, dass einige super finden, was andere schrecklich finden, umso klarer wird mir, dass ich meinen Stiefel durchziehen muss. Inzwischen verstehe ich die Kritik auch oft und finde sie gut. Manchmal gibt es auch total verletzende Kritik, aber wenn ich das begeisterte Lob haben will, muss ich eben mit der Verletzung auch klarkommen.

5. Mütter und Töchter. Du schreibst viel über diese Konstellation. Was fasziniert dich daran?
Liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass ich beides bin. Und von der Position ausgehend, mit der ich vertraut bin, erzähle ich gerne Geschichten, weil ich mich da sicher fühle. Mit dem vierten Roman muss ich jetzt ganz dringend mal eine fremdere Position einnehmen. Mich fasziniert auch meine eigene Tochter, die absolut keine Augusta ist, wie die in den „Glasschwestern“. Ich finde es irre, wie offen und frei die meisten Mädchen heute miteinander umgehen. Viel offener und selbstbestimmter als ich. Ich frage mich, wer meiner Tochter das beigebracht hat. So war ich nie. Wahrscheinlich schreibe ich deshalb.

6. Wie sieht deine Lieblingspose beim Lesen aus? Kannst du überall lesen oder brauchst du einen passenden Rahmen?
Lesen geht überall. Manchmal sogar im Gehen auf der Straße, wenn ich nicht aufhören kann, weil ich so froh bin, ein tolles Buch gefunden zu haben.

7. Kannst du mir beschreiben wie du den Unterschied zwischen aktiven Schreiben (produzierend) und passivem Lesen (konsumierend) empfindest?
Es ist echt schwer, ein Buch zu konsumieren, ohne sich immer zu fragen, wie es gebaut und sprachlich gestaltet ist. Dann fällt mir ständig was ein für meine eigene Geschichte, und ich muss immerzu Notizen machen. Das ist so wie ein Spaziergang, bei dem ich ständig fotografieren muss, anstatt einfach mal die Landschaft zu bewundern. Da hilft: einfach keine Kamera mitzunehmen. Was mir beim Lesen helfen könnte, weiß ich nicht. Komischerweise liebe ich Bücher mit möglichst wenig Handlung und ganz viel Beschreibung und philosophischer Gedankenwelt.

8.
 Wenn du schreibst, was passiert da mit dir? Lebst du in deiner Geschichte, schreibt sie sich wie von selbst fort?
Ja, manchmal laufen die Figuren von selbst weiter, manchmal bleiben sie stehen wie eingefroren und ich kann in Ruhe zwischen ihnen herumlaufen und mir das Gefüge noch einmal genau ansehen. Aber ja, da entsteht eine ganze Welt und wird immer bunter, lebendiger, größer, bekommt eine Vergangenheit und eine Zukunft. Und je komplexer die Figuren werden, umso schwerer wird es, sie in die Richtung zu lenken, die für sie vorgesehen habe.

9. Fotografin bist du auch. Gibt es Parallelen zwischen dem literarischen Arbeiten und der Fotografie?
Ja, total! Ich liebe es, Situationen bildhaft und detailliert zu beschreiben. Ich finde, dass sich der Raum literarisch weiter öffnen lässt als fotografisch. Aber manchmal wünsche ich mir auch meinen Fotoblick zurück. Den hab ich nicht mehr. Jetzt höre ich eher Geschichten, statt Bilder zu sehen. Deshalb entsteht fotografisch nichts Neues, weil ich die Fotografie jetzt als Handwerk benutze und nichtmehr als kreative Ausdrucksform. Mich in beidem auszudrücken krieg ich momentan irgendwie nicht hin.

10. Was würdest du dir wünschen, hättest du plötzlich durch eine märchenhafte Begebenheit 3 Wünsche frei?
Eigentlich wünsche ich mir nur, dass meine Kinder und meine Enkeltochter und die ganzen kommenden Generationen es schaffen, vernünftiger zu handeln als wir. Zum Glück erzeugt ja jede schreckliche zerstörerische Bewegung auch eine gute und heilende Gegenbewegung. Ich wünsche mir, dass die Gegenbewegungen stark und groß genug wachsen durch ihre noch unbekannten Aufgaben, um ein stabiles Gegengewicht zu bilden.