Lalena Hoffschildt ist von Kindesbeinen an dem Lesen verfallen – die Ausbildung zur Buchhändlerin, die sie 1995 bei Hugendubel am Marienplatz antrat, war quasi zwingend. Heute ist Lalena als Sortimentsmanagerin am Stachus tätig – und auf Instagram unter @lalenaparadiso aktiv. Die Interview-Serie #ZehnFragenAn entstand mehr oder minder durch Zufall. Durch ihre Posts und das Netzwerken kommt sie mit Autoren in Kontakt, deren Bücher ihr gerade besonders am Herzen liegen. Und so entsteht oftmals ein reger und interessanter Austausch. Heute: Ein Gespräch zwischen Lalena Hoffschildt und dem Autor Gunnar Kaiser, der neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch noch Lehrer für Deutsch und Philosophie ist:

1. „Ursprünglich bist Du Lehrer für Deutsch und Philosophie. Was hat dich zum Schreiben gebracht?“
„Wie bei so vielen Schriftstellern, ist es bei mir eher andersrum: Ursprünglich schreibe ich, die Frage ist nur: Was hat mich dazu gebracht, Lehrer zu sein? Neben der Frage, wie man seine Miete bezahlt, ist spielt dabei sowohl der Zufall (eine gute Schule mit tollen Schülern erwischt zu haben), als auch schicksalhafte Berufung eine Rolle: die Lust, mit Menschen über das zu sprechen, was mich fasziniert, gemischt mit einer Portion altkluger Besserwisserei. Eine geradezu ideale Charakterstruktur für Lehrer … Aber eigentlich wolltest du ja wissen, was mich zum Schreiben gebracht hat. Und hier sind es dem Lehrerjob fast entgegengesetzte Features: spätes Aufstehen, niemanden sehen müssen, die Möglichkeit, mit langem Nachdenken, in einer Atmosphäre der Ruhe und Konzentration zu arbeiten. Der größte Unterschied besteht für mich allerdings hierin: Erreichst du ein paar wenige Menschen stark und nachhaltig, vielleicht ohne je Lob und Anerkennung zurückzubekommen – oder erreichst du viele Leserinnen und Leser, dafür aber doch eher unpersönlich und als einer von vielen?  Ganz konkret, waren es aber Gestalten der Weltliteratur, vor allem Hesse, Rilke oder Nietzsche, deren Lebenswandel mich mit 16 Jahren fasziniert hat. So will ich leben, dachte ich, was muss ich dafür tun…?“

2. „Du betreibst einen Youtube Kanal, KaiserTV, auf dem du philosophische Themen diskutierst und literarische Werke vorstellst. Seit wann machst du das, und wie kam es dazu?“
„Es ist ein wenig eine Verlegenheitslösung. Es war im Sommer 2016. Mein Manuskript war fertig, und während die Suche nach dem geeigneten Verlag vonstattenging, hatte ich zu wenig Motivation, einen neuen Roman zu beginnen. Die Zwischenzeit wollte ich mir damit vertreiben, meine alten Rezensionen und Essays als Podcast einzusprechen. Daraus ist dann ein Youtube-Kanal mit nun mehr als 300 Videos geworden, mit Interviews, Livesendungen, Buchvorstellungen und viel Spaß. Auch wenn mich die Arbeit an den Videos zu oft vom Schreiben ablenkt, sind die Ergebnisse doch oft eine schöne Gelegenheit, locker und spontan mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Außerdem gibt es einem das Gefühl, eine kleine Gemeinschaft aufgebaut zu haben – ein Erlebnis, das man beim Schreiben wohl seltener hat.“

3. „Dein erster Roman ,Unter der Haut‘ ist im renommierten Berlin Verlag erschienen. Wie ist das geglückt?“
„Sehr viel habe ich der hervorragenden Arbeit der AVA Literaturagentur in München, und dort vor allem meinem Agenten Markus Michalek zu verdanken. Für einen unberühmten Menschen ist es heutzutage sehr schwer, ein unverlangt eingesandtes Manuskript bei einem großen Verlag unterzubekommen. Mein Agent hat mich nicht nur unermüdlich motiviert und den Prozess kritisch begleitet, sondern auch die Suche nach dem geeigneten Verlag geduldig vorangetrieben. Und dass es der Berlin Verlag geworden ist, hat mich natürlich besonders gefreut, weil er durch sein exquisites Programm seit Jahrzehnten im Literaturbetrieb auf sich aufmerksam macht.“

4. „Was ich mich immer frage: wie kommt einem Schriftsteller die Idee zu seinem Roman?“
„Bei mir ist es eher die konventionelle Art: zum einen hat man Lebensthemen. Nach einer gründlichen Psychotherapie sind sie einem auch mehr oder weniger bewusst. Bei mir ist es das Berühren und Berührtwerden, die Schönheit, die Verführung, Körper an sich, und natürlich die Literatur, das Lesen und das Buch. Zum anderen kommen die Ideen beim Lesen: die Weltliteratur bietet so viele Inspirationen, dass ich kaum einen Roman lesen kann, ohne Ideen für drei weitere notiert zu haben.“

5. „Und die Charaktere, sind die gleich da? Und fertig, oder entwickeln die sich im Laufe der Handlung?“
„Bei mir entwickeln sie sich während der Planungsphase. Ich male mir aus, wie das Begehren der einzelnen Menschen zu Konflikten unter ihnen führen muss. Was sie wiederum dazu zwingt, sich zu entwickeln. Danach, beim eigentlichen Schreiben, ist es weniger eine Entwicklung als eine Annäherung. Ich beginne zu verstehen, wieso sie sich so entwickeln, wie sie es tun. Diese intime Bekanntschaft mit den Figuren zu machen, ist das Schönste am Schreiben eines Romans, und ich hoffe immer, dass die Leserinnen und Leser auch das Gefühl eines solch intimen Kennenlernens erleben können.“

6. „Woher nahmst du den ,Schneid‘ zu sagen, so ich schreibe jetzt einen Roman? Gab es da Zweifel?“
„Ich sehe mich, seit ich 16 bin, als nächster in der Reihe Grimmelshausen – Goethe – Thomas Mann. Diese Hybris, die sicher die Götter erzürnen wird, hilft sehr dabei, sich in dieser Hinsicht nicht zu sehr in Zweifeln zu ergehen. Schneid würde es eher benötigen, den Traum aufzugeben – es wäre wie lebendig begraben zu sein. Aber während des Schreibens kommen natürlich, morgens, mittags, abends, nachts, die bohrenden Fragen: Will das jemand lesen? Schreibe ich für die Schublade? Rufe ich Tag für Tag in eine unbewohnte Höhle hinein?“

7. „Wie lange hast du gebraucht für „Unter der Haut?“
„Geschrieben wurde von Januar bis Januar. Danach wurde hier und da noch etwas, in enger Zusammenarbeit mit dem Verlagslektor Andreas Paschedag, an Formulierungen gefeilt.“

8. „Persönlicher Lieblingsschriftsteller?“
„Neben den oben genannten, wären das wohl Paul Auster und Philip Roth – ich befürchte, das merkt man „Unter der Haut“ auch an.“

9. „Schreibst du einen weiteren Roman?“
„Atmest du einen weiteren Atemzug …? Herbst 2020, so Gott will.“

10. „Was, würdest du sagen, offenbart Dein Roman über deine eigene Persönlichkeit?“
„Viel, allzuviel. Ich befürchte, wer mich gut kennt, wird nicht besonders erstaunt sein, wenn er den Roman liest. Zum Glück kennen mich wenige Menschen gut. Andererseits ist ja die spannende Frage: Was offenbart es über die Persönlichkeit der Leserin, des Lesers, wenn sie/er sich in dem Roman wiederfinden, sich sogar mit den Figuren identifizieren kann? Haben wir das nicht alle, diese Besessenheit, diese Monomanie, tief in uns?“