Für Überraschungen ist der vielseitige Maxim Leo stets aufs Neue gut. Bekannt und mit dem Europäischen Buchpreis ausgezeichnet wurde er 2011 mit „Haltet euer Herz bereit“ über seine bewegende Familiengeschichte, der er auch in „Wo wir zu Hause sind“ nachspürte. Ob Romane wie „Frankie“ oder Realsatiren über Alterspubertierende – Leo ist „immer erstklassig“ (Christine Westermann, wdr2). Nun fesselt er mit einem der aufregendsten Experimente, seit Menschen von ewiger Jugend träumen.

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrem neuen Roman gekommen?
Ich hatte in der Zeitung gelesen, dass die Forschung zur Entwicklung von Medikamenten, mit deren Hilfe sich Menschen verjüngen können, weltweit auf Hochtouren läuft und bereits erstaunliche Fortschritte erzielt hat. Das hat mich sofort interessiert, weil ich davon noch nie gehört hatte.

„Die ewige Jugend – eine ewige Sehnsucht.“

In Ihrem Buch werden fünf Menschen, die an einer medizinischen Studie der Berliner Charité teilnehmen, verjüngt. Wird ihr Leben dadurch besser?
Tja, das ist die Frage. Und die Antwort darauf wird vermutlich nicht nur für die Held:innen meines Romans, sondern für jeden Menschen auf der Welt eine andere sein. Die ewige Jugend, das ewige Leben ist zugleich eine ewige Sehnsucht des Menschen, da es zunächst sehr verlockend erscheint. Je länger man jedoch darüber nachdenkt, desto problematischer wird es.

Was wäre denn problematisch?
Wenn man allein daran denkt, wie schwer es uns fällt, in unserer heutigen Lebenszeit Sinn und Erfüllung zu finden, wie anstrengend wäre es wohl, 150 Jahre lang oder gar für immer glücklich sein zu müssen? Ganz abgesehen von den Problemen der Überbevölkerung, der sich selbst konservierenden Eliten und dem Ende der Renten- und Sozialsysteme.

Ein längeres Leben gäbe uns allen die Möglichkeit, noch mal etwas ganz anderes zu machen, vielleicht sogar, jemand ganz anderes zu sein.
Auf jeden Fall, wobei ich denke, dass eine solche Möglichkeit nicht für jeden reizvoll ist. Manche haben vielleicht diesen einen, großen Traum, den sie bisher nie verwirklichen konnten. Aber viele wären, denke ich, von dieser Möglichkeit auch heillos überfordert.

„Keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann.“

Ihr Roman kommt wie Science-Fiction daher, aber ist er das wirklich?
In der Wissenschaft scheint es mittlerweile Konsens zu sein, dass die Verjüngung des Menschen keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann ist. Optimisten sagen, in zehn bis fünfzehn Jahren werde es ein Medikament geben, mit dem man die biologische Uhr zurückdrehen kann, andere sind da skeptischer. Mich hat dieses Thema vor allem deshalb gereizt, weil es offenbar immer weniger Science-Fiction ist. Fünfzehn Jahre ist es her, dass der japanische Zellforscher und Nobelpreisträger Shin’ya Yamanaka herausgefunden hat, wie man menschliche Zellen durch Reprogammierung verjüngen kann. Seitdem ist unglaublich viel passiert, wovon allerdings außerhalb der Wissenschaftswelt kaum jemand Notiz zu nehmen scheint.

Der wissenschaftliche Hintergrund Ihrer Geschichte ist hoch komplex. Wie lange haben Sie gebraucht, um selbst zu verstehen, woran die Forscher:innen arbeiten?
Lange. Es geht da ja, wie Sie sagen, um komplexe biochemische Zusammenhänge. Und da meine Schulzeit auch schon etwas her ist, musste ich mich erst mal daran erinnern, was Gene, Hormone und Enzyme sind. Ich habe dann lange Interviews mit führenden Forscher:innen in den USA und Europa geführt, die mir das alles geduldig erklärt haben, wobei ich ehrlich gesagt gerade mal die groben Zusammenhänge verstanden habe, und auch das war kompliziert genug.

In Ihrem Buch schildern Sie diese Zusammenhänge auf sehr leichte Art, man versteht das alles sofort.
Das freut mich, denn das war mir wirklich wichtig. Weil ich kein Wissenschafts-Buch schreiben wollte, sondern ein Buch über Menschen. Ich wollte wissen, was mit uns passiert, wenn wir auf einmal jünger werden. Was wird toll sein? Und was möglicherweise ganz schrecklich?

„37 wäre ein schönes biologisches Alter …“

Wenn Sie persönlich die Möglichkeit hätten, würden Sie das Medikament nehmen?
Ich denke schon, weil ich sehr neugierig bin und immer wissen will, wie es weitergeht. Ich hätte auch nichts dagegen, wieder ein paar mehr Haare auf dem Kopf zu haben, die verdammten Rückenschmerzen los zu sein und beim Fußball noch mal richtig sprinten zu können. 37 wäre ein schönes biologisches Alter, das ich sicherlich eine Zeit lang genießen könnte. Ich schätze allerdings, dass meine Kinder es nicht so toll finden würden, wenn wir auf einmal gleichalt wären und sie keinen Nachwuchs bekommen dürften, weil wir sonst zu viele auf der Erde sein werden.

Wieviel Realität und wieviel Fiktion stecken in Ihrem Buch?
Ich habe versucht, die wissenschaftlichen Hintergründe so realistisch wie möglich zu gestalten. Die Leser:innen sollen spüren, dass es keine Science-Fiction ist, sondern schon bald Realität werden könnte. Die Schwierigkeit bestand darin, eine Methode zur Herstellung eines Medikaments zu entwickeln, das es noch gar nicht gibt. Deshalb habe ich mit den Forscher:innen gesprochen, die am nächsten dran sind, die jeden Tag daran arbeiten, dieses Ziel zu erreichen.

Und wie haben Sie die Lücke zur Fiktion gefüllt?
Ach, das war lustig, weil ich zusammen mit den Forscher:innen, sehr seriösen Professor:innen aus renommierten Instituten, Fantasieszenarien entwickelt habe.

Da haben die Professor:innen mitgemacht?
Ich glaube, das hat denen großen Spaß gemacht, weil sie mal ein bisschen rumspinnen durften, ihrer Fantasie freien Lauf lassen konnten, das kommt in ihrer normalen Arbeit ja selten vor.

„Mosländer selbst nimmt das Verjüngungs-Medikament.“

Beim Lesen schauen wir Professor Martin Mosländer über die Schulter. Wie würden Sie ihn beschreiben?
Er ist ein etwas schrulliger Mitfünfziger, der fast sein ganzes Leben im Labor verbringt und eigentlich nur eine verwandte Seele kennt, nämlich die seines Hundes Charles. Mosländer selbst nimmt das Verjüngungs-Medikament, und er gibt es auch Charles, damit sie zusammen weiterleben können.

Die vier Proband:innen, die an Professor Mosländers Studie teilnehmen, haben alle einen Herzfehler. Eigentlich soll das Medikament nur den Herzmuskel heilen, die Verjüngung ist also eine Art unerwartete Nebenwirkung?
Ja, sie wissen am Anfang selbst nicht, dass sie jünger geworden sind. Was vor allem für Jakob, der 16 Jahre alt ist, dramatische Auswirkungen hat, weil er gerade Marie, seiner ersten Liebe, begegnet ist, aber nicht mit ihr schlafen kann, weil er einfach zu jung geworden ist.

Wer sind die anderen Proband:innen?
Da gibt es Jenny, die sich seit vielen Jahren vergeblich ein Kind wünscht und plötzlich schwanger wird. Und da ist Wenger, ein schwerkranker Immobilienpatriarch, der sich mit einem rauschenden Fest von der Welt verabschiedet, um kurz darauf – zur Verzweiflung seiner Erben – wieder aufzublühen. Und dann gibt es da auch noch Verena, eine zweifache Olympiasiegerin über 100 Meter Freistil, die ihre Profizeit längst hinter sich hat und bei einem Schaukampf überraschend Rekorde aufstellt.

Welche Ihrer Romanfiguren spricht Ihnen am meisten aus dem Herzen?
Erstaunlicherweise der 80jährige Wenger, keine Ahnung, was das über mich sagt.

Im ersten Kapitel Ihres Romans sagt die 14-jährige Marie: „Erwachsensein ist kein gutes Konzept.“ Wie bewahrt man sich am besten den Esprit der Jugend?
Indem man neugierig bleibt, sich nicht allzu ernst nimmt und das Leben als Spiel begreift.