Aus erster Hand kann Martina Bogdahn über eine Jugendzeit auf dem Land in den 80er Jahren berichten. Auch sie hat in jungen Jahren beschlossen, das Landleben gegen eine Zukunft in einer Großstadt einzutauschen und Fotografin zu werden. Glücklicherweise haben Freund:innen sie auf die Idee gebracht, aus dem reichen Anekdotenschatz ihrer Kindheit doch einen Roman zu erschaffen. Und so bringt sie in ihrem literarischen Debüt neben vielen schon fast vergessenen Erlebnissen auch ein geliebtes Handwerk wieder ans Licht: Das Brotbacken – natürlich im Holzofen!

Stadt und Land: Beides sind für Sie vertraute Lebenswelten. Wie wurde daraus der Keim oder Nährboden für Ihren Debütroman?
Vermutlich hat dieser Text schon sehr lange in mir geschlummert. Ähnlich wie meine Heldin Maria bin auch ich auf dem Land groß geworden und dann mit wehenden Fahnen aus der Einöde in die Stadt gezogen. Ich bin heute aber wieder regelmäßig auf dem Hof meiner Eltern und genieße es, Stadt und Land miteinander verbinden zu können. Außerdem liebe ich es, wie viele skurrile Geschichten dort einfach so passieren. Als ich angefangen habe zu schreiben, konnte und wollte ich gar nicht mehr aufhören. Die Geschichten waren alle irgendwie schon da, sie mussten nur noch zu einem Roman verschmelzen.

„Sehnsucht nach einem entschleunigten Leben.“

Ihre Protagonistin Maria lebt in einer Großstadt, ist Gründerin und Chefin einer Werbeagentur und alleinerziehende Mutter zweier Teenagertöchter. Wie würden Sie sie charakterisieren?
Maria ist pflichtbewusst, sie möchte es allen recht machen und ist trotzdem erfolgsorientiert. Als alleinerziehende Mutter bleibt ihr auch gar nichts anderes übrig. Außerdem sieht sie sich inzwischen als Städterin. Je mehr Zeit sie nun aber auf dem Mühlenhof ihrer Eltern verbringt, desto stärker stellt sie genau das in Frage, und die Sehnsucht nach einem entschleunigten Landleben erwacht.

Aufgewachsen ist Maria in den 1980er Jahren in der Birkenmühle, dem Bauernhof ihrer Familie in Bayern. Würden Sie sagen, dieser Hof war zur damaligen Zeit ein klassischer Hofbetrieb?
Klar, solche Bauernhöfe, wie der, auf dem Maria aufgewachsen ist, gab es in den 80ern überall in Deutschland. Kleine landwirtschaftliche Betriebe mit ein paar Kühen, Schweinen und Hühnern waren keine Besonderheit. So ein Hof hat gerade mal genug für eine Familie abgeworfen. Heutzutage gibt es diese Art von Familienbetrieb aber eigentlich gar nicht mehr. Leider.

„Wo gehöre ich denn eigentlich hin?“

Am Anfang Ihres Romans katapultieren Sie Maria durch einen Hilferuf ihrer Mutter komplett aus ihrer Routine. Was macht es für Sie spannend, das Leben von Maria und ihrer Familie auf den Kopf zu stellen?
Genau weil sie aus ihrem hektischen Alltag gerissen wird, kommt es soweit, dass Maria sich plötzlich leise die Frage stellt: „Wo gehöre ich denn eigentlich hin?“ Dass diese Frage im Laufe des Romans immer lauter wird, das finde ich spannend.

In Maria kommen Erinnerungen hoch. Als Kind von einem Bauernhof hatte sie es in ihrer Grundschulzeit nicht leicht. Was unterscheidet sie von den anderen Schüler:innen?
Der Einödhof, auf dem Maria groß geworden ist, liegt mehrere Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt. Schon allein das hat ihr Aufwachsen geprägt. Und umso mehr hat sie eine große Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Sie möchte dabei sein. Sei es beim Besuch im Freibad oder beim Bummeln in der Stadt mit Freundinnen. Sie würde so gern auch einmal in den Urlaub fahren, das Meer sehen. Diese Wünsche kann ihr aber niemand erfüllen.

Wenn Marias Mutter sagt: „Heute lassen wir die Sau raus!“, dann plant sie keine wilde Diskonacht. Was verdeutlicht diese Episode?
Nein, keine Diskonacht für Marias Mutter. Es kommt noch besser! In dieser Episode erzähle ich, wie ein Schwein Auslauf bekommt, damit es rauschig wird. (So ein Aufwand ist heutzutage leider nur noch in Demeter- oder Biobetrieben möglich.) Was darin genau passiert, will ich hier aber lieber noch nicht verraten.

„… eine einfache ­Tätigkeit, die der Oma das Leben sinnvoll füllt.“​

Mit ihrer Oma verbindet Maria den Geruch und Geschmack von Apfelkuchen. Wie geht die Familie mit Omas Demenz um?
Marias Familie lässt die demente Großmutter so gut es geht am Alltag teilhaben. Schon allein wegen der Tiere im Stall muss ja ohnehin immer jemand auf dem Hof sein, und da ist das Äpfelschälen eine einfache Tätigkeit, die der Oma das Leben trotz Vergesslichkeit beruhigend aber auch sinnvoll füllt.

Marias Eltern haben sich ihren Lebensweg nicht ausgesucht, sondern die Familientradition fortgesetzt. Wie ergeht es den beiden damit?
Die beiden haben sich mehr als nur mit dieser Tradition arrangiert. Wie bei allen Familienbetrieben, die ich kenne, sind die Arbeit und das bisschen Freizeit fast nahtlos miteinander verwoben. Das sind eben einfach fleißige Leute.

Maria ist die Erste in der Familie, die ein Gymnasium besucht und Abitur macht. Wie verändert das ihr Leben?
Zunächst ist Maria aufgeregt und stolz, dass sie auf eine höhere Schule darf, schließlich hat es so was in ihrer Familie bis dato noch nicht gegeben. Später, als Teenager wünscht sie sich aber weg von der Idylle des elterlichen Hofs, und zwar so vehement, dass in ihr die Fantasie reift, einmal in der Stadt und in einer Straße zu leben in der es keinen einzigen Baum gibt.

„Natürlich gibt es auch bittere Momente …“

24/7 hat auf einem Hof eine ganz grundsätzliche Bedeutung: rund um die Uhr im Einsatz. Klar, dass auch die Kinder mithelfen müssen. Wie ergeht es Maria damit?
Maria stellt die viele Arbeit grundsätzlich nicht groß in Frage. Genau damit ist sie ja aufgewachsen und es ist selbstverständlich, dass sie und ihr Bruder Verantwortung und damit auch Aufgaben auf dem Hof übernehmen müssen. Natürlich gibt es auch bittere Momente, zum Beispiel, wenn die beiden an einem heißen Sommertag nicht mit den anderen Kindern ins Freibad dürfen, sondern bei der Feldarbeit helfen müssen. Aber auch das nehmen die Kinder relativ schnell als gegeben hin und machen das Beste daraus.

Ihr erstes Taschengeld haben Maria und ihr Bruder Thomas einst bei der Hopfenernte verdient, nebst vielen Blasen und Muskelkater. Wie empfinden die beiden diesen Job?
Es ist für die Kinder selbstverständlich, dass sie bei der Hopfenernte mithelfen müssen. Da wird einfach jede Hand gebraucht. Umso mehr freuen sie sich, dass sie dieses Mal etwas daran verdienen. Beide haben große Pläne mit dem Geld.

Auf dem Hof leben die Menschen mit Tieren. Das Schlachten gehört dazu. Auch hier muss die ganze Familie anpacken. Wie geht Maria mit dem Tod um?
Tod und Geburt gehen auf dem Land oft erschreckend eng einher. Maria erlebt beides sehr bewusst und geht mit dem Tod auf eine kindlich natürliche Weise um. Beneidenswert.

Das Thema Vererben ist in vielen Familienbetrieben ein heikles. Auch bei Maria und ihrem Bruder kommt es zu einem Konflikt. Woran zeigt sich der?
Einen Bauernhof kann man bei mehreren Kindern nicht gerecht vererben. Auch die Besitzer der Birkenmühle, Marias Eltern, stehen vor dieser Herausforderung. Wenn der Hof geteilt wird, bleibt oft nur der Verkauf. Beim Birkenhof wäre genau das der Fall, denn mit einer kleinen Landwirtschaft wie in Mühlensommer kann man heutzutage keine Familie mehr versorgen, geschweige denn ein halbes Erbe auszahlen. Maria ist stur und will trotzdem nicht auf ihren Anteil, ihr Zuhause verzichten. Vielleicht ist sie auch einfach noch nicht bereit dazu.

„Die Birkenmühle wirft zu wenig Geld ab.“

Der erste Versuch der Eltern, den Hof zu übergeben, scheitert krachend. Nun, viele Jahre später, haben sie einen neuen Vorschlag. Welche Veränderungen eröffnen nun neue Perspektiven?
Die Birkenmühle wirft zu wenig Geld ab und macht zu viel Arbeit. Es muss also etwas passieren. Veränderung bringt aber auch Unsicherheit. Es braucht Mut, Gelassenheit und Zuversicht, um neue Wege zu beschreiten, und das ist in heutigen Zeiten und ohne finanzielle Reserven nicht leicht. Marias Mutter aber ist eine kluge Frau. Sie möchte die alte Tradition des Brotbackens auf der Mühle wiederaufleben lassen. Schließlich steht mitten auf dem Hof ein alter Holzbackofen. Und es gibt da ein jahrhundertealtes Familienrezept: Sauerteigbrot mit Mehl aus dem eigenen Getreideanbau. Gute Handarbeit. So könnte man, geht es nach Marias Mutter, Tradition und Zeitgeist verbinden und etwas produzieren, das nachhaltig und sinnstiftend ist, ausgesprochen gut schmeckt und auch noch unglaublich gut riecht.

Würden Sie sagen, Maria und ihr Bruder hatten eine glückliche Kindheit?
Sie hatten auf jeden Fall eine besondere Kindheit, eine, die nicht einfach war, ihnen aber doch viele kleine Freiheiten eröffnet hat. Und dass Langeweile die Fantasie beflügelt, steht heutzutage in jedem Erziehungsratgeber. Also würde ich sagen: ja!

Geschwister reiben sich aneinander, sind sich nicht immer grün. Welche Chancen haben die beiden sich wieder näher zu kommen?
Die beiden kommen aus einem Topf. Und obwohl sie inzwischen sehr verschieden sind, so sind sie doch unter den gleichen Umständen großgeworden. Die zwei werden schon noch merken, wie wichtig sie füreinander sind.

„Körperliche Arbeit sorgt für eine Art innere Zufriedenheit.“

Das Landleben war und ist nicht Idylle pur. Dennoch kann Maria ihm auch heute noch Positives abgewinnen. Was verbindet Maria mit ihrer Herkunft?
Man merkt schnell, dass Maria viele ihrer Fähigkeiten während ihrer Kindheit auf dem Land erlangt hat. Und sie hat über all die Jahre nicht vergessen, wie man anpackt. Die körperliche Arbeit tut ihr gut, und sorgt schnell für eine Art innere Zufriedenheit. Vielleicht spürt sie auch deshalb eine versteckte Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land.

„Man weiß nie, wo es hingeht im Leben, aber man weiß immer, wo man herkommt.“ Welche Bedeutung hat dieser wunderbar weise Satz für Sie persönlich?
Am intensivsten habe ich dieses Gefühl, wenn ich an der Mühle meiner Eltern, auf der ich groß geworden bin, ankomme. Da wird es warm in meiner Brust und ich muss für einen kurzen Moment die Luft anhalten, weil es so tröstlich ist, heimzukommen. Es ist ein Platz, an dem ich mich auskenne und immer weiß, woran ich bin.