Stefanie Stahl gilt als Deutschlands Psychologin Nummer 1. Ihr Selbstverständnis: „Ich bin eine Mutmacherin.“ Und das kommt an, ob in ihren Podcasts oder Seminaren, live auf der Bühne oder in ihren Büchern. Fast schon Klassiker: „Jeder ist beziehungsfähig“ und „Das Kind in dir muss Heimat finden“ – 5 Jahre in Folge Spiegel-Jahresbestseller auf Platz 1. Ihren Kultstatus hierzulande bestätigen nicht nur Verkaufszahlen in Millionenhöhe, sondern auch zigtausende persönlicher, höchst positiver Feedbacks. Elementar für uns alle ist ihr neues Buch: „Wer wir sind“, ein umfassender Einblick, wie wir Menschen „psycho-logisch ticken“.

„Für eine schöne Kindheit ist es nie zu spät.“

Stefanie Stahl frei nach Erich Kästner

„Mein Beruf ist meine Berufung“, versichert Stefanie Stahl. „Als Psychotherapeutin zu arbeiten, war schon immer mein Lebenstraum.“ Erwacht ist er bereits in ihrer Kindheit. Kein Wunder, denn schon ihre Mutter Mona war „eine erfolgreiche Therapeutin und Lebensberaterin mit eigener Praxis“. Und auch sonst fehlte es nicht an spannenden Eindrücken. 1963 in Hamburg geboren, ist Stefanie „in einem bunten und recht unkonventionellen Elternhaus aufgewachsen“. Ihre Eltern luden oft zu Abendgesellschaften ein, denn ihr Vater Walter war Jurist und Geschäftsführer der „Atlantik-Brücke“, einer internationalen Vereinigung zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA. Unter den Gästen: Bundeskanzler Helmut Schmidt und US-Außenminister Henry Kissinger.

Immer auf den Partys ihrer Eltern dabei: Stefanie. Vollauf damit beschäftigt, „diverse Charaktere und Wesenszüge zu beobachten“ – und die gravierenden Unterschiede: Warum lacht die eine mehr als der andere? Warum reden manche so laut und viel, andere hingegen wenig und leise? Fast wie in der Schule, wo ihre KlassenkameradInnen auch sehr verschieden waren: Warum regt die eine etwas auf, was den anderen völlig kalt lässt? Was macht die einen zu Strebern, die anderen zu Faulpelzen? Und nicht zuletzt: Warum bin ich manchmal ohne ersichtlichen Grund schlecht drauf? Was kann ich tun, um möglichst oft gut gelaunt zu sein?
Überlegungen, von denen sie damals noch nicht wusste, dass es grundlegende psychologische Fragen sind, die später für sie im Mittelpunkt stehen würden: erst im Studium, dann in ihrer therapeutischen Praxis in der Altstadt von Trier. Und natürlich auch als Buch-Autorin.

In ihrem aktuellen Buch geht sie diesen Fragen vertieft auf den Grund. „Wer wir sind“ macht vertraut mit dem „Bauplan der Psyche“ – auf wissenschaftlicher Basis und zugleich so lebensnah, dass es für die Leserinnen und Leser spannend wie eine Entdeckungsreise ist. Dieses Buch zu schreiben, bezeichnet Stefanie Stahl als „absolute Herausforderung“. „Mich hat die Frage beschäftigt, ob es ein psychisches Grundgerüst gibt, das alle Menschen teilen? Und aus welchen Komponenten besteht dieses Gerüst?“, sagt sie.

„Nach jedem Buch bin ich ein gutes Stück klüger.“

In den letzten Jahren bekam die Psychologin täglich Anfragen, wann ihr neues Buch erscheinen würde: per Mail, auf ihren Social-Media-Kanälen oder bei Veranstaltungen. Aber der Prozess des Recherchierens und Schreibens braucht Zeit. „Außerdem brauche ich eine gewisse Ruhe zum Schreiben“, sagt die Bestsellerautorin. In der Endphase nahm die Psychotherapeutin „Schreiburlaub“ von ihren anderen Verpflichtungen, ging in Klausur in ihrer Ferienwohnung auf Teneriffa oder zuletzt auf Sizilien. „Ich muss die Dinge wirklich zu Ende denken. Nach jedem Buch bin ich ein gutes Stück klüger.“

Stefanie Stahls Überzeugung: „Wer wir sind, hängt maßgeblich davon ab, wer wir entscheiden zu sein.“ Die Erfahrung der Bestsellerautorin: Entscheiden und etwas zum Positiven verändern können wir um so besser, je genauer wir unsere Psyche kennen. Deshalb ist Stefanie Stahls Mission ganz klar: „Ich möchte Menschen die Angst nehmen, sich mit ihrer eigenen Psyche zu beschäftigen.“ Denn das ist die unabdingbare Voraussetzung, um uns und andere – in jeder Lebensphase – zu verstehen. Dazu möchte Stefanie Stahl ihre LeserInnen ermutigen und ermächtigen: „Mein Anspruch als Psychotherapeutin und Autorin ist es, Zusammenhänge möglichst unkompliziert zu erklären.“

„Wahrnehmung ist subjektiv.“

Für „Wer wir sind“ hat Stefanie Stahl aus einer Vielfalt an professioneller Erfahrung geschöpft – mitten aus dem Leben. Neben ihrer psychotherapeutischen Tätigkeit war sie über 20 Jahre – bis 2014 – als Gutachterin für Familiengerichte im Einsatz. Eine aufschlussreiche Tätigkeit: Nicht selten hat die Psychologin die Erfahrung gemacht, „dass ein Partner zum Erstgespräch erschien und mir eine absolut schlüssige Geschichte erzählte. Dann kam die Partnerin und deren Geschichte war genauso glaubhaft – nur vollkommen anders.“ Ihre Arbeit als psychologische Gutachterin hat Stefanie Stahl „permanent vor Augen geführt, wie subjektiv Wahrnehmung ist.“

Bei ihrer Arbeit als Therapeutin hat sie oftmals mit Klienten und Klientinnen zu tun, die sich – trotz besseren Wissens – selbst schlecht behandeln. Sie wählen beispielsweise immer wieder einen bestimmten Typ Partner, der ihnen nicht guttut. Sie verharren in einem Job, der sie anödet, obwohl sie andere Möglichkeiten hätten. „Es fällt vielen Menschen schwer, sich von vertrauten Mustern zu lösen, obwohl sie damit unglücklich sind.“

In „Wer wir sind“ geht Stefanie Stahl auch den Ursachen für dieses widersprüchliche Verhalten auf den Grund. Welche Rolle spielen unsere Erwartungen dabei? Was bremst uns? Was motiviert uns? Im Fokus: das Zusammenspiel von Wahrnehmung, Bewusstsein und Verhalten. Und die Frage: „Wie hängt das alles mit unserem Selbstwert zusammen?“

„Der Selbstwert ist das Epizentrum unserer Psyche.“

Ganz stark, wie Stefanie Stahl zeigt, denn: „Der Selbstwert ist das Epizentrum unserer Psyche.“ Und somit ein wesentlicher Ansatzpunkt, um uns selbst besser zu verstehen. Der erste Schritt: Zurück zum Ursprung – in die ersten Kindheitsjahre, die entscheidende Zeit für die Prägung unseres Selbstwertgefühls. Haben wir damals Zuwendung, Geborgenheit und die Erfüllung unserer Bedürfnisse erlebt? Oder haben wir schon früh verinnerlicht, dass wir unseren Eltern zur Last fallen, ihren Ansprüchen nicht genügen, uns ändern oder mehr anpassen müssen? Solche Erfahrungen geben den Ausschlag, ob wir Urvertrauen in uns und die Welt entwickeln oder ob in uns ständiges Misstrauen gärt … Klar, dass das unser Selbstbild, unser Befinden und unsere Beziehungen beeinflusst. Aber nur, solange uns die Ursachen nicht bewusst sind, eine Eigendynamik entwickeln und unsere Emotionen Achterbahn fahren lassen.

Wir sind diesen Prägungen nicht ausgeliefert. „Unser Gehirn ist unser Leben lang lernfähig und es lässt sich umprogrammieren.“ Stefanie Stahl hat dafür ein therapeutisches Modell entwickelt, das sich inzwischen tausendfach bewährt hat und mit dem sie berühmt geworden ist: Der entsprechende Ratgeber „Das Kind in dir muss Heimat finden“ hat sich über zwei Millionen Mal verkauft.

Manche Menschen halten die Beschäftigung mit der eigenen Psyche für übertrieben selbstbezogen. Stefanie Stahl sagt, dass das Gegenteil der Fall ist. „Viele Probleme, die wir in der Welt haben, entstehen überhaupt erst, weil es Menschen an Selbstreflexion und Mitgefühl mangelt“, sagt die Psychotherapeutin. „Die Aggression, die uns täglich umgibt und mit der einige Menschen andere verbal abwerten, kränken, demütigen, lässt sich im Kern auf einen Mangel an Selbstreflexion zurückführen.“

Wie aber können wir uns besser reflektieren? In ihrem neuen Sachbuch „Wer wir sind“ zeigt Stefanie Stahl in drei Teilen, wie das geht. Im ersten Teil widmet sie sich den genetischen Voraussetzungen, den psychologischen Grundbedürfnissen und dem individuellen Suchen nach Sinn und Lebensglück. Der zweite Teil besteht aus therapeutischen Gesprächen mit unterschiedlichen Klientinnen und Klienten, die in Protokollform zusammengefasst sind. Da gibt es beispielsweise Hanna, die bei jeder kleinen Schwierigkeit den Job wechselt, oder Torsten, der sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden kann. Stefanie Stahl formuliert dazu zunächst Fragen und ermutigt die LeserInnen, die psychologischen Muster hinter dem jeweiligen Verhalten zu erkennen. Dann fasst sie ihre eigene Analyse und Anregungen zusammen.

Im dritten Teil stellt sie die wichtigsten Lösungsansätze der Psychotherapie vor, erklärt, wie man sich aus Verstrickungen lösen und dem Leben Sinn geben kann. Ganz wichtig dabei: Stefanie Stahl ist keine, die Druck macht und Optimierungszwang ausübt. Ihr Ansatz ist auf den Bauplan unserer Psyche abgestimmt ist und berücksichtigt, wie wir Menschen „psychologisch ticken“. Dazu gehören auch disziplinübergreifende, kleine Exkurse, z.B. in die japanische Philosophie des „Kaizen“. „Kai“ steht für Veränderung, „Zen“ für zum Besseren. Es jeden Tag ein bisschen besser machen. Typisch für Stefanie Stahls System der kleinen Schritte und ein schönes, realistisches Ziel!